Irgendwie was zu Bücherverbrennungen

Annette Kelms Fotoserie „Die Bücher“ zeigt Buchumschläge von Texten, die zwischen 1902 und 1945 erschienen sind, von Autor/innen, deren Werke von den Nazis verboten wurden – mehr oder weniger

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Resonanzraum des Dritten Reiches klingt bis heute nach, auch noch knapp 80 Jahre nach dem Untergang des „Tausendjährigen Reiches“, nach dem Holocaust und nach einem verheerenden Weltkrieg, der die politische Landkarte weitreichend verändert hat. In diesem Zusammenhang haben die von den Nationalsozialisten verbotenen Bücher einen besonderen Stellenwert, nicht zuletzt weil sie die Vielstimmigkeit einer multipolaren modernen Welt repräsentieren, die spätestens 1933 dem Untergang entgegen zu taumeln schien. Die Bemühungen um diese Bücher begannen direkt nach dem Ende des Nationalsozialismus und erhielten in den 1970er Jahren im Zusammenhang mit der forcierten Modernisierung der Industriegesellschaften einen weiteren Schub. Seitdem sind zahlreiche Texte neu ediert und dem Lesepublikum wieder zugänglich gemacht worden. Die Literaturwissenschaft hat sich intensiv mit ihnen beschäftigt, was eben auch die Beschäftigung mit der Buchgestaltung einschließt, die in zahlreichen Sammlungen und Publikationen, bis hin zu den Antiquariatskatalogen gesammelt und präsentiert worden ist.

Die 1975 in Stuttgart geborene, heute in Berlin lebende Fotografin Annette Kelm wählt nun einen verblüffenden Ansatz, die Welt dieser unterdrückten Bücher vorzustellen. Sie hat anscheinend aus der „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ der Jahre 1938 bis 1941 eine Reihe von Autorinnen und Autoren entnommen (wenn ein Hinweis aus den im Netz verfügbaren, Ausstellungen und Katalog begleitenden Interviews und Videos korrekt verstanden ist), von ihnen verfügbare Bücher ausgewählt und sie fotografiert: 135 Bücher werden nun in dem vom Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König in Köln verlegten Band präsentiert, nur mit den basalen bibliografischen Angaben versehen und von einem knappen Nachwort der Herausgeber des Bandes, Udo Kittelmann, Nicolaus Schaffhausen und Mirjam Zadoff begleitet.

Die Auswahl ist insbesondere für die deutschsprachige Literatur und Essayistik der Jahre zwischen 1918 und 1933 repräsentativ, soweit sie vom Aussonderungswillen der Nazis ergriffen wurden. Konservative Autorinnen und Autoren finden sich deshalb nur dann, wenn sie von den Nazis aus politischen Gründen auf den Index gestellt, als jüdisch gebrandmarkt wurden oder sich in Misskredit gebracht hatten. Im Katalog finden sich mithin Bücher von heute noch bekannten, wenn nicht berühmten Autor/innen wie Alfred Döblin, Bertolt Brecht, Carl Einstein, Thomas und Heinrich Mann, Vicki Baum, Irmgard Keun, Arnold Zweig, Sigmund Freud und Robert Musil neben unbekannteren wie Alice Berend, Alexander Moritz Frey, Walter Schoenstedt oder Ruth Rewald.

Kelm hat alle Bände frontal, weitgehend gleichbleibend ausgeleuchtet und, wie zu betonen ist, brillant fotografiert. In den Ausstellungen der Serie, etwa in Berlin, Hamburg oder Kiel, wurden sie anscheinend weiß gerahmt im Hochformat, jeweils ins Zentrum der Rahmung mit viel Weißraum präsentiert, was sich im Katalog wiederfindet.

Fotogeschichtlich schließt Kelm damit an dokumentarische Formen etwa Bernd und Hilla Bechers an. Das unterscheidet die Fotografien allerdings nur wenig von den Konventionen, die bei der Präsentation von Buchcovern in anderen Kontexten eingehalten werden, etwa im von Jürgen Holstein herausgegebenen Katalog der Buchumschläge Berliner Verlage der Weimarer Republik, der 2015 bei Taschen erschienen ist. Die Rahmung für Ausstellung und Katalog hebt die Umschlagsfotografien allerdings mit einem Mal in einen neuen Kontext, dem nämlich von Kunst, was auf die Musealisierung der Fotografien einerseits, der Problematisierung ihres historischen Kontextes anderseits verweist.

Aber damit beginnt das Problem: Die Fotografien der Buchobjekte stehen im Katalog in erster Linie jeweils für sich. Es ist Aufgabe der Betrachter, sie historisch einzuordnen und gegebenenfalls zu problematisieren, was einigermaßen kompetent nur mit entsprechend hinreichendem Kontextwissen gelingen kann. Dass es sich um alte Bücher handelt, ist an der Gestaltung und am Zustand der Objekte erkennbar. In einzelnen Fällen werden Betrachter auch gängige Titel wiedererkennen und einordnen können. Bei anderen wird dies allein deshalb schon nicht möglich sein, weil Autor/in und Text heute völlig unbekannt sind.

Hinweise gibt allerdings das im Anhang mitgelieferte Datenmaterial, das Autor/in, Titel und die Publikationsdaten der Bücher liefert, und das Nachwort der drei Herausgeber, das allerdings einigermaßen assoziativ mit dem historischen Kontext umgeht, legt es doch nahe, dass die von Kelm ausgewählten Bände den Bücherverbrennungen im Frühjahr 1933 zum Opfer gefallen seien. An einer Stelle sprechen sie von „verbannt und verbrannt“, an anderer Stelle von den Zerstörungen der Bücherverbrennungen. Dieser Bezug hat sich in der Rezeption anscheinend selbständig gemacht, bis in die Besprechung der Berliner Ausstellung in der renommierten Kunstzeitschrift Texte zur Kunst, die in der These mündet, „Kelms Arbeit“ stelle „die verbrannten Bücher als Knotenpunkte im Netzwerk der Weimarer Kultur vor“ und arbeite sich an der „Darstellbarkeit des Holocaust am Beispiel der NS-Bücherverbrennungen“ ab. Zugleich gibt es eine kleine Watsche für den „naturalistischen“ Umschlag von Vicki Baums „stud. chem. Helene Willfüer“, der auch in Zeitschriften der NS-Ära hätte abgedruckt werden können. Und John Heartfields Cover zu Upton Sinclairs Das Geld schreibt (1930) wird im Bildprogramm nebenbei mit antisemitischen Motiven in Verbindung gebracht.

Hier geht es also um die großen Themen auch der Gegenwart, es geht um die Vernichtung von Kultur und Menschen, um den Fortbestand inhumaner Denkkonzepte und der Rolle von Literatur in diesen Zusammenhängen – nur wird das von der Serie Kelms nur halbwegs abgedeckt.

Was ein Blick auf die mitgelieferten Daten zeigt: Anscheinend hat sich nämlich niemand weiter die Mühe gemacht, die Anachronismen und Unstimmigkeiten wahrzunehmen, die sich in der Auswahl finden. Das beginnt bei der Auswahl der Bücher, deren Erscheinungsjahre von 1902 bis 1945 reichen, und setzt sich beim Bezug auf die Kultur der Weimarer Republik fort (das Problem mit der österreichischen Literatur schlabbern wir einfach sowieso). Aber was vor 1918 erschienen ist, gehört wohl nur bedingt zur Literatur der Weimarer Republik, und was nach 1933 publiziert wurde, kann kaum den Bücherverbrennungen vom Frühjahr 1933 zum Oper gefallen sein – was allerdings für beide Gruppen nicht bedeutet, dass sie nicht den literarischen Säuberungen der Nazis zum Opfer gefallen sind.

Aber auch, was das angeht, finden sich Irritationen: So wird zwar Hanns Heinz Ewers auf der Verbotslisten von 1938 bis 1941 gelistet (er galt als Pornograf),zugleich hat Ewers mit Romanen wie Reiter in deutsche Nacht (1932) oder Horst Wessel (1933) versucht, sich in den NS-Kontext einzuschreiben. Vergeblich. Alices Berends Kinderbuch Zwei Kinder fahren den Rhein hinab etwa stammt aus dem Jahr 1934 (wie der Eintrag in der Deutschen Nationalbibliothek erschließen lässt) und ist in Deutschland erschienen, vor ihrer Emigration im Jahr 1935. Erich Kästners Das verhexte Telefon das offenbar in Schweizer Ausgabe von 1935 fotografiert worden ist, ist zuerst 1930/31 in Deutschland erschienen. Kästner, dessen Bücher in seinem Beisein in Berlin auf den Scheiterhaufen kamen, blieb nach den Bücherverbrennungen in Deutschland, wie er selbst schrieb, um Zeuge sein zu können, publizierte, wenngleich unter Schwierigkeiten und vor allem in Schweizer Verlagen, aber arbeitete Anfang der 1940er etwa am Münchhausen-Film mit, der gute Stimmung im verlorenen Krieg machen sollte und zugleich als früher Farbfilm Filmgeschichte schrieb. Hans Falladas Kleiner Mann was nun (1932) findet sich zumindest auf den Verbotslisten 1938 bis 1941 nicht, und ist – in einer Bearbeitung – bis 1937 in Deutschland in hoher Auflage erschienen. Zwar scheinen Bücher von Thomas Mann von den Bücherverbrennungen betroffen gewesen zu sein. Das Regime hat jedoch lange um Thomas Mann, den Autor der Betrachtungen eines Unpolitischen (1918) geworben. Mann selbst, der selbst nicht mehr in Deutschland war, wollte wohl den Absatzmarkt Deutschland anfangs nicht gefährden und positionierte sich erst nach einigem Zögern öffentlich gegen NS-Deutschland.

Nun mag es durchaus im Sinn der Fotografin sein, wenn das Material, das sie präsentiert, nicht eindeutig und einwandfrei politisch verwertbar ist, sondern eben auch widersprüchlich, komplex und anspruchsvoll. Offenheit ist für Kunst ein hohes Gut. Und sie hat solche Unschärfen gegebenenfalls nicht nur billigend in Kauf genommen, sondern sehr bewusst provoziert. Dabei hat sie, um für sie zu sprechen, möglicherweise eine heuristische Falle gestellt: Die Fotografien beinahe unkommentiert zu präsentieren, generiert – das ist zu konzedieren – potentiell einen Resonanzraum, in dem Literatur, Politik und Gesellschaft, auch Fragen von Konsum und Zensur anders und neu reflektiert werden können. Kommen dann noch Stichworte wie Nationalsozialismus, Bücherverbrennung und die Vertreibung von Autor/innen dazu, kann die Interpretationsmaschine ihre gewohnten Bahnen laufen.

Aber damit ist es nicht getan, denn zugleich bieten die Fotografien die Möglichkeit, sie vorrangig als ästhetische Objekte wahrzunehmen und es dabei auch zu belassen. Sie stehen mithin in ihrer visuellen Präsenz vor Augen, ohne dass sie von vorneherein festlegen, was mit ihnen anzufangen ist. Alte Bücher, gebrauchte Bücher, schöne Bücher – Bücher eben. Diese Offenheit aber ist die eigentliche Provokation dieser kleinen Serie, die für ein breiteres Publikum nun im Katalog zu besichtigen ist, für das museale Publikum in ansprechenden Räumlichkeiten angemessen gehängt wird. Man schaue sie am besten an.

Titelbild

Mirjam Zadoff / Nicolaus Schafhausen / Udo Kittelmann (Hg.): Annette Kelm. Die Bücher.
Walther König, Köln 2022.
32 cm x 24 cm, 60,00 EUR.
ISBN-13: 9783753301624

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