Kindheit in Westfalen

Sprachwitz und ein eigenwilliger Stil mit kraftvollen Bildern prägen Kerstin Brunes Roman „Die Jahre des Maulwurfs“. Der Plot kann sich aber leider nicht zwischen Dorfroman und Coming-of-Age-Geschichte entscheiden

Von Monika GroscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Grosche

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach mehr als drei Jahrzehnten kehrt die Ich-Erzählerin des Romans Die Jahre des Maulwurfs in das Dorf ihrer Jugend zurück. Der Anlass dieser Rückkehr in die westfälische Provinz ist ein trauriger – sie fährt zur Beerdigung ihrer Kindheitsfreundin Tanja. Mit im Gepäck hat sie Herrn Klotho, einen ausgestopften Maulwurf, der Tanja einst auf Schritt und Tritt bei ihren Abenteuern begleitete, die sie in dem ansonsten eher ereignislosen Kaff anzettelte. Im Dorf angekommen, taucht die Erzählerin tief ein in die Erinnerungen an die wilde, ungezähmte Freundin, die damals scheinbar aus dem Nichts und ohne Familie im Dorf aufgetaucht war.

Deren ungezügelter Fantasie, überbordender Neugier und unerschöpflicher Energie hat sie es zu verdanken, dass in ihr – damals eine schüchterne Brillenträgerin, die gehänselt wurde – ebenfalls der Wille nach Freiheit und Selbstbestimmung reifte, der sie aus der Enge des Dorfes ausbrechen ließ. Mit Tanja lernte sie eine eigene, fast magische Sichtweise auf die Dorfstrukturen kennen, deren autoritäres Oberhaupt Bauer Deiwel war und in deren Zentrum der „Ochse“, die einzige Kneipe am Ort, stand. Unter dem Tisch der Träumenden (einer schlafenden Melkerin) versteckt, erlebten die beiden Mädchen dort die allabendlichen verbalen Scharmützel, die zwischen den ewiggleichen Akteuren wie Hausmeister Hackholz, Fleischer Stopf, Fußballtrainer Kimme, Doktor Fauseweh und dem Kneipenwirt Winzé ausgetragen werden.

Auch tagsüber machen sie sich gemeinsam mit ihren Spielgefährten meistens am liebsten unsichtbar, denn fast alles, was spannend und verlockend erscheint, ist aus Sicht der Erwachsenen streng verboten …

Was die Autorin Kerstin Brune in ihrem Romandebüt auszeichnet, ist ihre kraftvolle, kreative Sprache, die es versteht, das Verschrobene und Schöne ebenso wie das Tragische im Leben der Dorfbewohner in wunderbare Metaphern und prägnante Bilder zu gießen.

Doch auch wenn einige Episoden, wie etwa der Öko-Protest der Klasse 2b gegen Plastikjoghurtbecher oder der Versuch der Dorfbewohner, den vermeintlichen lokalen Starjournalisten an Gaby Dohm aus der Schwarzwaldklinik zu verkuppeln, sehr gelungen sind, fehlt der Story insgesamt so etwas wie ein roter Faden. Das Bemühen, hier zugleich einen Dorfroman wie auch eine Coming-of-Age-Gesichte zu erzählen, führt dazu, dass das Ganze unfertig wirkt und die Quintessenz des Erzählten im Verborgenen bleibt.

Dazu trägt auch bei, dass einige Passagen extrem detailliert und langatmig ausgestaltet sind – so etwas das Debakel bei der Eröffnung des Hofcafés oder der ungleiche Wettstreit der einheimischen Gymnastikgruppe mit bulgarischen Spitzenturnerinnen – während an anderer Stelle eilig durch die weiteren Jahre der Freundschaft zwischen den Mädchen gehetzt wird. Dies schafft weder eine Identifikationsmöglichkeit mit der Ich-Erzählerin noch mit Tanja, die Charaktere bleiben dem Lesenden bei der Lektüre seltsam fremd.  

Wer trotz sprunghafter Erzählweise und ermüdender Passagen bis zum Ende am Ball bleibt, wird mit überraschenden Wendungen und dem ausgeprägten Wortwitz der Autorin belohnt. So freut man sich an klugen Wortschöpfungen Tanjas – „gehirnlogisch“! – und an der Beobachtungsgabe der Ich-Erzählerin, die trotz dicker Brillengläser einen scharfen (selbst-)ironischen Blick auf das Geschehen wirft. Insgesamt betrachtet, finden sich hier überzeugende Ansätze für eine hervorragenden Roman, doch leider bleibt man am Ende ein wenig ratlos zurück. Dennoch macht dieses Romandebüt neugierig darauf, auch in der literarischen Langform mehr von Kerstin Brune zu lesen.

Titelbild

Kerstin Brune: Die Jahre des Maulwurfs.
Penguin Verlag, München 2022.
464 Seiten, 22 EUR.
ISBN-13: 9783328601814

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