Eine vertane Chance
Julia Wolfs Roman „Alte Mädchen“ handelt Fragen nach vererbten Traumata reichlich programmatisch ab und bleibt somit hinter seinen Erwartungen zurück
Von Monika Grosche
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEigentlich ist in Alte Mädchen wirklich „alles drin, was man sich von einem deutschsprachigen Gegenwartsroman nur wünschen kann“, wie Alf Mentzer in seiner Laudatio zum Robert Gernhardt-Preis betonte, der 2018 an Julia Wolf für ihren Roman ging. Und recht hat er auch mit seiner knappen Zusammenfassung der Themensetzung:
„Scheitern der kleinbürgerlichen Familie, Sprachlosigkeit und die Ohnmachtserfahrungen deutscher Nachkriegsgeschichte, das Ganze als kaleidoskopartige Erforschung weiblicher Subjektivität erzählt.“
Doch auch wenn hier alles dafür spricht, dass man es mit einem gelungenen Roman zu tun hat, will doch der Funke beim Lesen nicht wirklich überspringen. Dies liegt größtenteils daran, dass die Fragen nach vererbten Erfahrungen und Traumata und deren möglicher Aufarbeitung reichlich programmatisch abgehandelt werden.
Zunächst fällt an dem Roman auf, dass für diesen die Zahl drei prägend ist: So kann dieser zwar völlig unabhängig gelesen werden, ist aber von der Autorin als letzter Teil einer Trilogie (Alles ist jetzt 2015, Walter Nowak bleibt liegen 2017) gedacht. Zudem umfasst der Text selbst drei Teile. In diesen erzählt Wolf von drei Frauengenerationen (Großmütter – Mütter – Töchter) und präsentiert jeweils drei Frauen aus den unterschiedlichen Generation.
Im ersten Romanteil mit dem Titel „Marjellchen“, geht es um drei sehr betagte Damen in einem Altersheim, die aus dem früheren Ostpreußen stammen. In ihrer Wahrnehmung vermischen sich die Erinnerungen an Flucht- und Kriegserlebnisse mit dem Alltag im Heim, so etwa mit dem dahinplätschernden Fernseher, wo sie bevorzugt das Geschehen von ‚Germany’s Next Topmodel‘ mitverfolgen. Das tun sie nicht von ungefähr, wurde ihnen doch in Aussicht gestellt, selbst in einer Werbeaktion fürs Altenheim als Modell tätig sein zu können. Und so wechseln ihre Gedanken in einem rasanten Fluss zwischen kindlichen Fluchterfahrungen, dem „schnatternden Gänschen“ Heidi Klum, rassistischen Nörgeleien über die Pflegerinnen und der aufregenden Frage nach dem richtigen Outfit für das Fotoshooting hin und her.
Beim mittleren Teil, „Neue Heimat, altes Haus“ übertitelt, widmet sich die Autorin der Generation der Töchter. Zwei Schwestern, Gerlinde und Gudrun bringen mit dem Auto die Pflegerin ihrer Mutter zurück in deren polnische Heimat. Ihre „Mutti“, die in Alter, Intoleranz und Biestigkeit den Marjellchen aus dem ersten Romanteil entspricht, ist vor kurzem verstorben. Nun berichtet Gudrun ihrer Nichte Tini in schier endlosen WhatsApp-Sprachnachrichten während der Fahrt von den Geschehnissen. Tini hat aber nicht nur ihr Studium, sondern auch den Kontakt zur Familie abgebrochen, nachdem dort ihre drängenden Fragen nach deren NS-Vergangenheit auf äußerst geringe Gegenliebe gestoßen waren. Sie arbeitet nun bei einer NGO in Kambodscha und antwortet nicht auf Gudruns Nachrichten, in deren Verlauf sich nach und nach herausstellt, dass das lieblose Diktat der Großmutter noch über den Tod hinaus die Familie beherrscht: Während die Enkelin das Haus erbt, gehen beide Töchter leer aus, sodass sie nicht einmal wissen, wie sie Ola, die Pflegerin, nun bezahlen sollen.
Im dritten und letzten Teil mit dem Titel „MILF“ geht es um die Enkelinnen-Generation. Über lange Jahre hinweg waren Undine, Thao und Jenny beste Freundinnen. Doch seit einiger Zeit haben sich die Lebenswege der Mittdreißigerinnen voneinander entfernt, zumal auch die sozialen Unterschiede zwischen ihnen immer deutlicher spürbar werden. Nun treffen sie sich allerdings auf Betreiben von Jenny zu einem gemeinsamen Wochenende bei ihr in Berlin. Es soll das letzte Zusammentreffen wie in alten Zeiten sein, denn Jenny erwartet in Bälde ein Kind. Das Wiedersehen verläuft jedoch anders als gedacht. Da Charlotte, in die Jenny früher einmal heftig verliebt war, wegen einer akuten Depression ins Krankenhaus eingeliefert werden muss, verbringt deren Tochter Kay das Wochenende ebenfalls überraschenderweise bei Jenny. Bei dem Zusammentreffen wird deutlich, dass alle Freundinnen schwer an fehlerhaften Entscheidungen, fragwürdigen Lebensentwürfen und familiärem Ballast tragen, wobei bei der abwesenden Charlotte zudem erneut das Wissen um Mittäterschaft des Großvaters im Naziregime hinzukommt. Sogar Kay, die doch erst 10 oder 12-jährig sein mag, spürt bereits die Bürde alter Traumata und totgeschwiegener Konflikte, die frühere Generationen an sie weitergegeben haben.
Auch wenn sich alle drei Teile deutlich um transgenerative Traumatisierung drehen, bleibt die Chance ungenutzt, sich dem vielschichtigen und komplexen Thema sensibel und exemplarisch anhand der unterschiedlichen Figuren der drei Romansequenzen anzunähern. Der Umgang mit der Thematik wirkt vielmehr recht konstruiert und eher plakativ, zumal auch die Romanteile unverbunden nebeneinander stehenbleiben.
Ebenso wenig können die wechselnden Erzählperspektiven – sie reichen vom anfänglichen „Wir“ im 1. Teil über eine Du-Anrede im 2. Teil zu Kays „Ich“ im dritten Teil, das von den Stimmen der Frauen ergänzt wird – dazu beitragen, mehr Tiefe zu entwickeln. Vielmehr nervt vor allem bei den ersten beiden Teilen der plappernde Redefluss der erzählenden Frauen. Dieser erhält vor allem durch einen fast durchgängig parataktischen Satzbau etwas Monotones und Ermüdendes, sodass man nach kurzen Leseabschnitten das Buch erst einmal wieder aus der Hand legen möchte.
Das ist bedauerlich, umso mehr, als die Dreiteilung des Romans interessant ist und sich der Anfang des Romans mit den inneren Monologen der Marjellchen durch die Verknüpfung von altem Leid, verdrängter Schuld und gesellschaftlichen Konformitätserwartungen an Frauen recht vielversprechend anlässt, bevor auch er durch permanente Wiederholungsschleifen und den allzu homogenen Stil ermüdend wird.
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