Engführung und Durchführung

Friedrich Anis „Bullauge“ als Kommentar zu aktuellen Entwicklungen

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Kriminalroman lebt davon, dass er eine erwartbare Form mit einem erwartbaren Plot zusammenbringt, was dann zu einer erwartbaren Lösung führt. Fälle müssen geklärt sein, am Ende wenigstens. Das narrative Wunder, das sich darin verbirgt, dass die im wesentlichen immer selbe Erzählung zum immer selben Ergebnis führt und dennoch immer wieder Leser:innen findet, basiert darauf, dass er zum einen seine Kernelemente immer wieder in experimentellen Konfigurationen anordnet, und dass dem eine immer erneuerte Aktualität innewohnt. Es gibt wenig Neues unter der Krimisonne, dennoch wirken Krimis immer wieder unerhört neu (wenn sie gut gemacht sind).

Allerdings gibt es eine Gewohnheit im Genre, die mit ein wenig Argwohn zu betrachten ist: Wenn beinahe alle Figuren, die ins Spiel gebracht werden, irgendwie zusammenhängen. Der Zufall mag sie zur Tat zusammengeführt haben, aber die Zusammenstellung des Personals, das bei der Aufklärung herangezogen wird, darf keineswegs zufällig sein. Im Film gibt es für solche Gewohnheiten ein relativ sicheres Zeichen, wenn nämlich eine vermeintliche Nebenfigur prominent besetzt ist – klar, so teuer bezahlt niemand einen Schauspieler oder eine Schauspielerin, wenn damit nur ein Satz wie „Hallo, ich bin der Chef von Martin“ (der dann der Mörder ist) verbunden ist. Um es mit einem gern benutzten Satz aus dem Verschwörungskrimi zu sagen: Alles hängt zusammen, irgendwie. Aber die Frage, die sich daran knüpft ist: Warum eigentlich?

Die Normantwort darauf ist, dass Logik keine Zufälle und keine Kontingenz zulässt, was übersetzt heißt, dass es keine Täter von außerhalb gibt, also kein ‚deus ex machina‘ zulässig ist, will einem der Kosmos, und eben auch der Krimikosmos nicht auseinanderfallen.

In der deutschsprachigen Krimiszene ist Friedrich Ani eine Ausnahmegestalt, auch wenn er sich den Kernregeln des Genres nicht entziehen will. Das zeigt sich auch in seinem zuletzt erschienenen Roman Bullauge, der sich zum einen auf eine dieser unwahrscheinlichen Konfigurationen einlässt, in denen alle mit allen verbunden sind, zum anderen ein ungemein aktuelles politisches Thema aufbringt, das vor ein paar Jahrzehnten noch als Konterrevolution geführt worden wäre. Was Ani auszeichnet ist allerdings, wie er die oben skizzierte Engschließung seines Personals entwickelt. Anders gewendet: man nimmt es ihm ab.

Ein Polizist, der bei einer Demo einer rechtpopulistischen Partei durch einen Bierflaschenwurf ein Auge verliert, sucht – durch die Bläsur aus der Bahn geworfen – Kontakt mit der Hauptverdächtigen, einer älteren Frau, gerät auf diese Weise an eine Verschwörung gegen die Bundesrepublik, die er mit der Hilfe der Frau, die schnell zu einer Vertrauten wird und die sich ihm im Gegenzug anvertraut, aufzuklären sucht. Die Frage, ob diese Frau die Flaschenwerferin gewesen ist, gerät in diesem Zusammenhang in den Hintergrund. Beide, Polizist und Frau, scheinen in dem Projekt nicht zuletzt so etwas wie eine Möglichkeit zu sehen, sich von den Blessuren zu kurieren, die sie sich zugezogen haben.

Denn auch die Frau ist Opfer einer Gewalttat. Hier der Polizei, die ihr – unabsichtlich und zugleich fahrlässig – Schaden zugefügt hat. Ein rasender Einsatzwagen hat sie als Radlerin von der Bahn gedrängt. Seit dem Unfall hinkt sie, und hat sich, weil niemand dazu stehen will, politisch radikalisiert. Auf diese Weise ist sie in Kontakt mit jenen rechtsradikalen Kreisen gekommen, die sie für den finalen reichsdeutschen Aufstand zu keilen versuchen. Darüber informiert sie den merkwürdigen Polizisten, der ihr nachstellt, weil er sich mit seinem Schicksal nicht abzufinden weiß.

Unter der Hand gerät damit eben nicht nur ein Salonstück über die Verschwörungsphantasien auf der politischen Rechten in den Blick, die ja anscheinend immer noch den Hitler-Putsch nachstellen will, dieses Mal aber wenigstens erfolgreich, sondern auch die Problematiken, die sich im politischen System und seinen Handlungsbevollmächtigten einstellen.

Wie tief also sind nationalistische, völkische und rechtsradikale Haltungen und Meinungen in den Ämtern und Institutionen verankert? Polizist:innen, Richter:innen, Lehrer:innen, Feuerwehrleute – gut ausgebildete Leute, die sich gegen ein System stellen und gelegentlich auch verschwören, das ihnen anscheinend nicht schnell genug zu spuren scheint. Was einem dann das Recht gibt, mal wieder gründlich mit allem aufzuräumen, was einem nicht zu passen scheint. Aktueller könnte ein Roman gar nicht sein.

Titelbild

Friedrich Ani: Bullauge.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2022.
267 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-13: 9783518430323

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