Eine Fabel mit noch ungewisser Moral

Der Roman „Die leuchtende Republik“ von Andrés Barba gibt zu denken

Von Gerhard PoppenbergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gerhard Poppenberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der spanische Romancier Andrés Barba ( geboren 1975) lebt seit einiger Zeit in Misiones, einer Region im subtropischen Norden Argentiniens. Dort könnte auch der Roman Die leuchtende Republik (2017) spielen. Zwar ist der Schauplatz, die zweihunderttausend Einwohner große Stadt San Cristóbal am Fluss Eré, auf keiner Karte zu finden, und auch die teils indigene Bevölkerung der Ñeê ist eine Romanfiktion, aber „die gewaltigen braunen Wassermassen des Eré und San Cristóbals Urwald“ erinnern an die Gegend des Paraná. Dort gibt es Orte wie Concepción und Encarnación, Apóstoles, Mártires und Paraíso, dort könnte es auch ein San Cristóbal geben; der Erzähler stellt sich die Stadt, bevor er dort ankommt, als einen „paradiesischen Ort“ vor. Allerdings verweisen die Namen einiger – „über tausend Kilometer“ entfernter – Städte ins mittelamerikanische Nicaragua. Und der Romantitel ist ein Echo auf den Namen der revolutionären Guerrilla in Peru: Leuchtender Pfad. Das ist kein müßiger Faktencheck, denn der Roman handelt von der Gren­ze zwischen der lebensweltlichen Wirklichkeit und einer möglichen anderen Wirklichkeit: einer „anderen Welt“ mit einer „anderen Zivilisation“. Die Gruppe von Kindern, die einen Fokus der Geschichte bildet und die ihren Einfluss auf die Stadt von einem „Nicht-Ort“ ausübt, macht aus der Welt der Erwachsenen – ihrer Sprache, ihrem Gefühlsleben, ihrer Form der Vergesellschaftung – „etwas anderes“. Die „Keime des Menschlichen“, die mit ihr aufgehen und eine geheimnisvolle Wirklichkeit – die titelgebende „leuchtende Repu­blik“ – schaffen, bleiben den Bewohnern des Orts unverständlich. Der Roman nähert sich dieser anderen Wirklichkeit, ohne ihr Geheimnis zu enthüllen. „Die Kindheit ist mächtiger als die Fiktion.“

Die Geschichte ereignet sich von Oktober 1994 bis März 1995. Sie wird von einem namenlosen Ich-Erzähler aus der Rückschau nach zwanzig Jahren erzählt, ergänzt um andere schriftliche und filmische Zeugnisse; aber im Wesentliche ist es seine „Version der Ereignisse“. Der Stil ist nüchtern und sachlich, präzise an der Chronologie der Ereignisse orientiert, ohne die geringste Intention auf magischen Realismus. Die geordnete Darstellung der Wirklichkeit des Orts ist der Kontrapunkt zur vagen geographischen Situierung der außerordentlichen Geschichte. Deshalb ist es ärgerlich, dass sich in der Übersetzung Fehler in die Darstellung der Fakten eingeschlichen haben. Der Fluss ist einmal vier Kilometer, einmal vier Meter breit, die Kinder werden einmal am 15. Oktober, einmal am 15. Dezember zum ersten Mal in der Stadt auffällig. Das und anderes hätte ein nur mäßig aufmerksames Lektorat bemerken müssen.

Der Erzähler ist zwei Jahre zuvor mit seiner Ñeê-Frau und deren Tochter in den Ort gekom­men, weil er auf eine Leitungsstelle in der Sozialbehörde berufen wurde. Er gehört zur sozialen Oberschicht des Orts, ist aber auch ein Fremder; und durch seine Verbin­dung mit der in­digenen Frau hat er zudem eine soziale Zwischenstellung. In San Cristóbal tauchen irgendwann Gruppen von bettelnden Kindern auf, deren Herkunft unklar ist. Nachdem sie in einem Supermarkt Waren geplündert und Menschen getötet haben und danach geflohen sind, sucht die lokale Polizei sie erfolglos im umliegenden Urwald. Als man sie schließlich in der weitläufigen Kanalisation des Ortes in ihrer „leuchtenden Republik“ aufspürt, ertrinken sie in den durch ein Unglück einbrechenden Wassermassen des Eré.

Die Kinder wirken verwahrlost, „verdreckt“ und mit „zerzaustem“ Haar, „doch mit dieser winzigen Würde“. Sie unterscheiden sich von den anderen Kindern durch „eine andere Haltung, einen fast aristokratischen Stolz“ und sind „alle zwischen neun und dreizehn“ Jahre alt. Sie kommen in kleinen Gruppen in die Stadt und sprechen eine unverständliche Sprache. Sie haben keinen Anführer, handeln aber koordiniert; der Erzähler und andere Bürger vergleichen ihre Vergesellschaftung mit der von Vogelschwärmen. Sie betteln zunächst und greifen später Menschen an, um sie zu bestehlen. Dann wiederum spielen sie ausgelassen, tollen umher mit einer „Freude und Freiheit“, die „normale“ Kinder nicht haben; das Kindhafte findet besseren Ausdruck in ihren Spielen „als in den Spielen unserer Kinder mit ihren Regeln und Verboten“. Alles wirkt, „als hätten die Kinder das Geheimnis der Freude gefunden“. Ihr Lachen vermittelt das Gefühl, „die Welt sei ein wenig entschädigt worden, nur weil sie fähig war, diesen Klang hervorzubringen. Aber wir verstanden kein einziges Wort.“

Einen Kontrapunkt zu dieser Ausgelassenheit bildet eine drastische Aktion der Kinder. Kurz vor Weihnachten hat die Sozialbehörde der Stadt nachts große Mengen Lebensmittel vor den Häusern von Bedürftigen abgestellt. Am nächsten Morgen sind die Packungen aufgerissen, das Essen ist verstreut; die Kinder haben sich daran ausgetobt. „Die ganze Zerstörung war bloße Spiellust gewesen.“ Hätten sie die Lebensmittel gestohlen, wäre das verständlich gewesen. „Aber diese absurde Zerstörung war zu viel.“ Die spanische Formulierung destrucción gratuita zitiert einerseits den acte gratuit, den André Gide als die Handlung immoralischer Freiheit dargestellt hat: eine Tat ohne Grund und ohne Zweck, nur um ihrer selbst willen vollzogen. Andererseits verweist sie auf die Konzeption des Bösen, die der heilige Augustinus entwickelt hat. Die grund- und zwecklose Untat ist das Böse schlechthin; es wird nicht um eines Nutzens willen, sondern um seiner selbst willen getan: ut essem gratis malus. Damit öffnet sich in der kindlichen Freiheit und Freude ein Abgrund. Die „bloße Spiellust“ und das radikal Böse sind zwei Dimensionen des Kindlichen. Das gratis malus des Augusti­nus ist das Revers der gratia: der ebenfalls ohne Grund und Zweck gespendeten Gnade. Die Aura der anarchischen Freiheit ist das Charisma des Bösen.

Bei der Entschlüsselung der Sprache hilft das Tagebuch, das eine zwölfjährige Tochter aus gutem Hause während der Monate geführt und Jahre später veröffentlicht hat. Sie erkennt, dass die Sprache der Kinder etwas von dem hat, was sie selbst und andere als Geheimsprache entwickeln, indem sie zwischen die Silben der Wörter andere Silben einfügen. „Das Wort Pinsel wird zu Pinkasel.“ Allerdings ist die Sprache der Kinder „unglaublich komplexer“. Eine Soziolinguistin hat sie auf der Grundlage von Videoaufzeichnungen als „neue Sprache“ analysiert. Ihre These ist, sie sei nicht aus dem Wunsch nach Verschlüsselung entstanden, sondern weil „diese Kinder im Kontext einer neuen Welt, eines neuen Lebens, eine neue Sprache brauchten, neue Wörter, um das zu benennen, was noch nicht benannt worden war“. Es ist eine „magische Sprache, bei der die Namen der Dinge spontan ihrer Natur entsprangen“. Auch die neue Sprache ist aus der Spiellust hervorgegangen. Ihr „Ursprung“ ist das „Spiel selbst“. Die Kinder haben sie nicht „aus dem Bedürfnis zu kommunizieren, sondern aus dem Bedürfnis zu spielen“ erfunden, indem sie Wörter des Spanischen modifizierten oder ganz neue Wörter bildeten. Sie hatten begonnen, „die Namen der Dinge zu ändern“. Der Erzähler nimmt an, die Kinder hätten über Monate im Urwald gelebt, wo die Natur sie „auf eine neue Zivilisation vorbereitete, der unseren fremd“. Er stellt sich vor, wie sie alle Formen der Vergesellschaftung neu erfunden haben. „Ebenso wie sie eine neue Sprache aus der spanischen hatten entstehen lassen, gingen sie vielleicht von unseren wohlbekannten Liebesgesten aus, um etwas anderes daraus zu machen.“ Das Mädchen notiert in ihrem Tagebuch: „wie sie denken, ist das Schwierigste von allem“.

Am 7. Januar findet die nächste Eskalationsstufe statt. Die Kinder spielen ausgelassen auf dem Parkplatz eines Supermarkts. Einer versucht im Laden etwas zu stehlen und wird von einem Wachmann brutal geschlagen, ohne dass die Kunden eingriffen. Es kommen immer mehr Kinder, die schließlich spontan den Laden überfallen. Dabei ist keine „Autorität“ erkennbar; „niemand scheint etwas zu organisieren“. Die „anarchischen Bewegungen gleichen eher einem Spiel“. Die „Abwesenheit eines Anführers“ wird durch alle „Videoaufzeichnungen, alle Fotos, alle Dokumente“ belegt. Fast dreißig Kinder stürmen plötzlich den Supermarkt und fangen an, die Waren aus den Regalen zu zerren und im Raum zu verstreuen, als hätten sie die Lizenz, „alles im Umkreis zu zerstören“. „Der erste Rausch ist Freude.“ Das ist der „Kindheitstraum schlechthin“: die „Rebellion gegen die Organisation der Erwachsenen“. Der „Aufstand“ wird schließlich zu einem Massaker; ohne erkennbaren Plan und geradezu aus einem „Überschwang an Euphorie“ erstechen die Kinder zwei Erwachsene und verletzen drei andere mit Messern aus dem Laden. Die Aktion endet in einem „Auseinander­stie­ben“ der Kin­der: „Als hätte sie plötzlich etwas tief erschüttert, ein unbezähmbares Grauen.“ Auf den Filmen der Überwachungskameras des Ladens erkennt der Erzähler in den Messerattacken „etwas Unnatürliches und zugleich vollkommen Kindliches“.

Das Verhalten des Wachmanns und der Supermarktkunden markiert den anderen Fokus der Geschichte: die Reaktion der „‘achtbaren‘ Erwachsenen“ auf die Kinder. Nach dem Überfall auf den Laden beginnt eine „Jagd“ auf die Kinder, die man im Urwald versteckt glaubt, aber nicht findet. „Etwas hatte uns getroffen und war dann verschwunden“, so dass die Bürger der Stadt beginnen, „an der Wirklichkeit selbst“ zu zweifeln. Die Gesellschaft von San Cris­tó­bal reagiert vor allem mit Aggression. Die Forderung einer konservativen Abgeordneten, das Minderjährigenrecht abzuschaffen, zielt darauf, die Kinder als Verbrecher zu bestrafen; sie wird von siebzig Prozent der Abgeordneten unterstützt. Die Zumutung der Freude und Freiheit über einem Abgrund des Bösen als Form einer anderen Gesellschaft löst Widerstand und den Wunsch nach Gewalt aus. „Indem sie ‚unwirklich‘ wurden, hatten sich die 32 in das perfekte Ungeheuer verwandelt“.

Die gesellschaftliche Gewalt der Stadt steigert sich, als eines der Kinder aufgegriffen und vom Polizeipräsidenten und dem Erzähler zwei Tage lang unter Schlafentzug verhört wird. In der Rückschau ist das für ihn der Höhepunkt der Gewalt gegen die Kinder. Er erinnert sich an einen indischen Weisen, der alles Unglück seines Lebens darin begründet sah, als Kind „aus purer Laune eine Wasserschlange mit einem Stein erschlagen“ zu haben. Für den Erzähler steht das Verhör des Kinds in der Linie dieser Untat: „vierzig Stunden einen zwölfjährigen Jungen nicht schlafen“ zu lassen und unaufhörlich nach dem Ort der Kinder zu fragen, den er schließlich, gebrochen, verrät. Die Kinder haben sich in die Kanalisation der Stadt zurückgezogen. Auch wenn die Folter des Jungen einen Zweck hat, um der Aussage willen vollzogen wird, ist sie für den Erzähler ebenfalls eine Ausprägung des radikal Bösen: „dass ich fähig war, zwei Tage lang einen zwölfjährigen Jungen zu foltern, damit er seine Gefährten verriet“. In der Erinnerung an diese zwei Tage sieht er sich „als jemand anderes, jemand Fremdes“, in dem er sich aber auch „wiedererkennt“ und sich an seine Gefühle „genau erinnert“.

Die abwesenden Kinder nehmen von ihrem  „Nicht-Ort“ Einfluss auf die Kinder des Orts, so dass diese „in einem Erwachen“ deren „Ideen“ übernehmen: als „Quelle ihrer künftigen Rechte“ und ihrer „künftigen Freiheit“. Für einen Moment gehen die „Keime des Menschlichen“ auf und vergehen wieder. Anfang März 1995 verschwinden zunächst „drei Kinder aus der Mittelschicht“, dann weitere drei. Entführung oder Mord, so die Stimmung in der Stadt, wäre allen lieber, da vertrauter, gewesen als die Vorstellung, ihre „tadellos erzogenen“ Kinder hätten sich der Gruppe im Urwald angeschlossen. „Was muss gesche­hen“, dass Kinder „oh­ne familiäre Probleme“ plötzlich „eines Tages verschwinden und sich einer kleinen Meute von Kindern anschließen, die sich im Urwald ver­steckt haben?“ Was ist das Objekt des Wunsches, der sie angetrieben hat?

Als eine Gruppe von Polizisten und Freiwilligen versucht, die Kinder in der Kanalisation einzukesseln und gefangen zu nehmen, finden sie einen Ort, an dem das Geheimnis der „leuchtenden Republik“ sichtbar wird. Der über mehrere Seiten geschilderte Ort macht das prinzipienlose Prinzip der Freude und Freiheit dieser Kinder erkennbar. Der große Raum wird erleuchtet durch Licht aus den Kanaldeckeln in der Straße. Der Gesamteindruck ist „wunderbar“. Die Wände sind „ohne sichtbare Logik“ übersät mit Glasscherben verschiedener Farben, die „das Licht von einer Wand an die andere“ werfen und im wechselnden Licht der Tageszeiten verschieden leuchten, so dass die „Leuchtbotschaft“, die der Erzähler darin zu erkennen meint, dauernd wechselt. Er fragt sich, warum „wir die Höhlenmalereien im Morgendämmer des menschlichen Bewusstseins bewundern“, nicht aber, „und aus den gleichen Gründen, diese Leuchtbilder“ der Kinder. Das Leuchten entfaltet einen „solchen Zauber, dass wir minutenlang schwiegen“; dem Erzähler kommt es „heilig“ vor. Das Lichtspiel ist „peinlich genau und voller Lust“ koordiniert. „Es glich einem Freudensprung, einer strahlenden, berührenden kindlichen Lust“, entstanden aus einer „neutralen, kollektiven Liebe zum Spiel“. Der Erzähler fühlt sich an das erhabene Farbenspiel der Bilder von Mark Rothko erinnert. Es ist das „Strahlen“ einer „berauschenden Freiheit“, die „als Spiel begonnen hatte“: eine „künstliche Welt übervoll von Wundern, Offenbarungen und Kameradschaft“. Der Raum ist wie ein „Körper“, in dessen Innern, „in seinem Schoß“, die Kinder lebten.

In den Wänden gibt es Nischen, die den Kindern als Schlafplatz dienten. Als der Erzähler an einer der Nischen das Wort „Hure“ geschrieben sieht, bricht für ihn der Zauber des Raums zusammen. Er schließt daraus, dass es ein Vorher gegeben haben muss: „die körperliche Lie­be, die Freundesliebe, die sexuelle Liebe“, die durch das Wort „Hure“ und das mit ihm gefäll­te Urteil zerstört wurde. Damit „hatten die Kinder verloren, war die Gemeinschaft zerbrochen“. Fraglich ist, ob die Deutung des Erzählers erneut dem Mythos der kindlichen Unschuld aufsitzt, den er zuvor kritisiert hat. Erstaunlich ist auch, dass der Einbruch in den „hei­ligen“ Ort der „Lichtkathedrale“ als sexuell motivierte Beschimpfung geschieht, denn das Urteil „Hure“ ist schwerlich als ein sprachliches Spiel aus Freude, Freiheit und Lust zu deuten. Es sei denn, das Wort hätte in der „neuen Sprache“ der Kinder eine ganz neue Bedeutung gehabt.

Im Zusammenhang des Romans wirft das Wort in der Deutung des Erzählers die alte und immer wieder neue, seinerzeit von Camus entfaltete Frage nach der Dialektik der Revolutionen auf. Wie und warum bricht in einen revolutionären Prozess die Reaktion ein? In diesem Fall nimmt sie die dümmste Form moralisierter Sexualität und verachtender Diskriminierung an. Welche Reaktion gegen die „leuchtende Republik“ kommt darin zum Ausdruck? Revolutionäre messianische Sekten wie die des Conselheiro im brasilianischen Canudos, des Königs der letzten Tage im westfälischen Münster oder alle durch zentralisierte Strukturen organisierten revolutionären Bewegungen – von der Französischen über die Russische und die Chinesische bis zu ihren Nachfolgern in Korea und Kambodscha, Kuba und Nicaragua – sind nur bedingt vergleichbar, weil die Kinder keinen Führer und keine eschatologische Ausrichtung haben, sondern eine wirklich andere Form der Vergesellschaftung entwickeln. Das Neue, das sich in der „leuchtenden Republik“ andeutet, ist eine Menschlichkeit jenseits von Klischees und Gewohnheiten, Regeln und Verboten, eine Lust am Spiel, zu der Rausch und Übermaß bis zur Gewalt gehört. Die Frage ist, wie sich die anarchische, aus dem immoralischen Spiel hervorgehende Gewalt der Kinder zur gesellschaftlichen Gewalt der Erwachsenen verhält: zur verbalen und körperlichen im zwischenmenschlichen Zusammenleben, zu der von Verbrechen und Polizei im öffentlichen Raum. Sie steht im Horizont der Frage, wie sich das von Regeln und Verboten geleitete Spiel der bürgerlichen Gesellschaft und das regellos spontane, gleichwohl koordinierte Spiel der Kinder zueinander verhalten. Das eine zielt auf die Unterscheidung von Gewinnern und Verlierern, das andere ist Verwirklichung von Lust. Die „bloße Spiellust“ bis zur „Zerstörung“ neutralisiert die Unterscheidung von gratis malus und gratis bonus, von Sünde und Gnade. Das Spiel um des Spiels willen ist die wahrhafte Gestalt des acte gratuit.

Nach Friedrich Schlegels am Don Quijote gewonnener Einsicht soll ein Roman „zwei Centra“ haben: eine narrative und eine reflexive Dimension. Barbas Roman hat sie im Narrativen selbst. Die Geschichte der Kinder und die Reaktion der Erwachsenen darauf sind die beiden Dimensionen, die sich gegenseitig spiegeln. Deshalb bleibt das Geheimnis der Kinder eingehüllt in die Aura dieses Spiegelspiels, das uns ratlos zurücklässt. Warum reagiert die Gesellschaft mit Widerstand und Gewalt auf ein Versprechen von Freude in Freiheit und, schlimmer noch und rätselhafter, warum und wie bricht die Reaktion in die „leuchtende Republik“ der Kinder ein?

Titelbild

Andrés Barba: Die leuchtende Republik. Roman.
Aus dem Spanischen von Susanne Lange.
Luchterhand Literaturverlag, München 2022.
218 Seiten , 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783630875996

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