Der Resilienzbooster aus Japan
Ken Mogi präsentiert in seinem neuen Ratgeber „Der japanische Weg zu Harmonie und Lebensfreude“ das Prinzip „nagomi“
Von Lisette Gebhardt
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseNagomi. Der japanische Weg zu Harmonie und Lebensfreude (dt. 2022; engl. The Way of Nagomi. Live a Balanced and Harmonious Life the Japanese Way, 2022) von Ken Mogi ist sozusagen die Fortsetzung seines für den internationalen Markt konzipierten Bandes Ikigai. Die japanische Lebenskunst (dt. 2020; engl. The Little Book of Ikigai. The Essential Japanese Way to Finding your Purpose in Life, 2018); das Buch erschien u.a. in spanischer und französischer Sprache. Mogi, Jahrgang 1962, Physiker und Jurist, tätig bei den Sony Computer Science Laboratories als Thinktank-Berater und Projektleiter sowie als Dozent bei verschiedenen Einrichtungen, veröffentlichte in Japan zahlreiche populärwissenschaftliche Schriften u.a. im Bereich der Hirnforschung. Mit Ikigai und Nagomi hat der erfolgreiche Publizist seinen Radius bis hin zur international florierenden Ratgeberliteratur (jap. ikikata no hon) erweitert. Es kommt ihm dabei zugute, dass das westliche Bild von japanischer Weltanschauung, Weisheit und Spiritualität immer noch zu einem gewissen Grad Bestand hat. Im vorliegenden Band betreibt der Autor also auch Imagepflege, wobei er auf das bereits überwunden geglaubte exotistische Genre des Japandiskurses (Nihonron) zurückgreift.
Ken Mogis Kulturessayistik und der neue Japandiskurs
Der sogenannte Japandiskurs war vor allem in der Phase des japanischen Wirtschaftshochs in den 1980er Jahren beliebt. Er bestätigte die Erfolge der Nation und diente zur Vergewisserung der landeseigenen Identität. So zielten etliche einschlägige Bücher des PHP-Verlags (eine Gründung des Industriellen Kônosuke Matsushita), für den Mogi häufig schreibt, darauf ab, der Bevölkerung eine konservative Werteorientierung zu vermitteln. Viele der Texte sollten japanischen Geschäftsleuten im Ausland eine Handreichung geben, in der Fremde die Heimat mit dem indigenen Denken zu erklären. In der letzten Dekade im Zeichen identitätspolitischer Strömungen etablierte Japandiskurse übergehen die Kritik an der Selbstorientalisierung, die die damaligen Exegesen zum Ausdruck brachten, und stellen ein weiteres Mal bestimmte, mehr oder weniger willkürlich gewählte Begriffe und Konzepte als typisch japanisch aus. Früher waren dies oft ästhetisch-religiös konnotierte Vokabeln wie wabi, sabi oder satori, die für eine japanische Elitekultur standen, neuerdings hat man ikigai oder auch shinrinyoku (Waldbaden) und kintsugi (Kunst des Kittens) entdeckt; ikigai wurde – wie shinrinyoku – im Übrigen relativ schnell auf dem Psychomarkt als Basis für kommerzielles Motivationscoaching erschlossen (z.B. https://finde-zukunft.de/blog/ikigai-ausbildung, https://www.resilienz-akademie.com/resilienz-staerken-mit-japanischen-lebenssichtweisen/).
Der Verfasser räumt zwar zu Beginn seiner Darstellung ein, dass das, was er anhand des Schlüsselwortes nagomi erörtern möchte, vielschichtig sei und nicht nur in Japan verbreitet sein mag, spricht aber im Verlauf seiner Ausführungen, die als Kulturessay durchaus unterhaltsam sind, einige Male von japanischen „Geheimnissen“, kann also die kulturalistische Argumentation nicht vermeiden – zumal es eben das Versprechen des Ratgebers ist, mit einer typisch japanischen Formel den Weg zum harmonischen Leben zu eröffnen. Das Konzept, so hält er fest, ermögliche es wie in einem Schnellkurs, „fünf Säulen“ unmittelbar in die „Tat umzusetzen“, darunter das Gebot „Finden Sie Frieden in allem, was Sie tun“. Die letzte Maxime „Erlangen Sie ein tieferes Verständnis der japanischen Lebensphilosophie“ muss demnach zwangsläufig die Grundlage für Mogis nagomi-Beratung bilden.
Widersprüche
Der Autor hebt in seiner Darlegung hervor, nagomi sei die wichtige Fähigkeit, sich der Umgebung anzupassen und dabei Auseinandersetzungen zu vermeiden, würden die doch das Individuum daran hindern, sein „Potential bestmöglich entfalten zu können“:
Wenn Sie sich Widrigkeiten gegenübersehen, können Sie ihre Stimme erheben und aufbegehren. Sie können allerdings auch einen anderen Weg wählen, der weniger direkt und konfrontativ ist, dafür aber wirkungsvoller – einen Weg, der nach außen hin zurückhaltend wirkt und tatsächlich von Mut zeugt.
Er erklärt weiter, Selbstbehauptung und Selbstverneinung würden im nagomi-Modus „ganz natürlich“ ineinanderfließen. Auch um das Altern bewältigen zu können, diene nagomi mit seiner Forderung nach der Akzeptanz äußerer Umstände als ein „Puzzleteil der Philosophie des Lebens“. Während die Ratschläge des Publizisten sicher viel Nachvollziehbares enthalten, der Band das Genre um eine Spielart der Schlüsselwort-Sinnstiftung erweitert und seine Inhalte im Übrigen dem entsprechen, was man von einem Ratgeber erwartet, dürften bei Lesern, die die Ereignisse der letzten Jahre zur Kenntnis genommen haben, an einigen Stellen der Ausführungen Zweifel aufkeimen – sollte sie nicht schon das Lob der Selbstverneinung irritiert haben. Gerade in Bezug auf „Fukushima“ und die Folgen der Dreifachkatastrophe lässt sich die nagomi-Strategie nicht leicht anwenden – etwa wenn sich Anwohner der von der Evakuierung betroffenen, radioaktiv belasteten Gebiete juristisch Gehör zu verschaffen haben, um Entschädigungen zu erhalten. Betrachtet man japanische soziopolitische Strukturen, z.B. im Fall der Prekarisierung jüngerer Generationen oder das seit geraumer Zeit im Land konstatierte Problem der Einsamkeit sowie die im Jahr 2020 signifikant angestiegene Selbstmordrate, kann man nur zum Schluss kommen, dass es unter der Agenda der Globalisierung weltweit ungemütlich geworden ist und auch in Japan alte Konzepte kaum mehr hilfreich sein dürften. Schon 2003 hatten Akteure im Auftrag des Staates unter dem Motto „zest“ ein Programm gegen eine sich zum Leidwesen der Regierenden stetig vermindernde jugendliche Lebenslust aufgelegt, 2021 wurde ein Minister ernannt, der sich des Phänomens der in den Medien verlautbarten Hypersolo-Gesellschaft annehmen und entsprechende politische Schritte gegen die soziale Malaise in Japan umsetzen soll.
Kapitalismus, Kneipe, Psychohygiene
Mogi vertritt indes die Meinung, dass in Japan noch alles im Lot sei. Ohnehin beinhalte die japanische Ausprägung von Wirtschaft und Konzernwesen „viel Weisheit“, obschon er einräumt, es zeige sich „inzwischen ein vom Gewinnstreben getriebener Kapitalismus“; bislang sei dieser allerdings eher eine „Randerscheinung“. Er freut sich zudem, berichten zu können, dass er einer Besucherin aus Deutschland vorführen konnte, wie gut japanische Psychohygiene funktioniert. Bei dem Gast handelt es sich um die Berliner Sozialwissenschaftlerin Dr. Anna Froese (WZB): „Sie wollte mehr über die gesellschaftliche Bedeutung von ikigai erfahren, dem Thema meines letzten Buchs“. Nach dem Gespräch geht es wie üblich in die Kneipe. Hier, so beschreibt der Verfasser den Ort in einer Idealform, treffen sich vor allem Büroangestellte, um sich beim Essen und Trinken die „Sorgen von der Seele zu reden“. Mogi kommentiert enthusiastisch, am japanischen Arbeitsplatz herrsche – im Unterschied zu Deutschland – ein „Grundgefühl von Vertrautheit und Zusammengehörigkeit, getragen von der Maxime des Gebens und Nehmens“. Zur Situation am Arbeitsplatz entwerfen japanische Autorinnen wie Natsuo Kirino und Sayaka Murata jedoch gänzlich anders geartete Befunde. Bevor man in deutschen Thinktanks nun plant, zum Zwecke einer Resilienzsteigerung des hiesigen Humankapitals social engineering mit ikigai und nagomi in Deutschland zu implementieren, möge man bei den genannten Schriftstellerinnen nachlesen. Selbstredend brächte auch der Besuch in einer japanologischen Forschungseinrichtung vollumfänglich Aufklärung.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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