Halbteufel in Weiß
Elinor Cleghorns Sachbuch „Die kranke Frau“ spannt einen medizinhistorischen Bogen von der Antike bis zur Gegenwart
Von Rolf Löchel
In ihrem Sachbuch Die kranke Frau unternimmt es die Kulturwissenschaftlerin Elinor Cleghorn dem Untertitel zufolge zu zeigen, „wie Sexismus, Mythen und Fehldiagnosen die Medizin bis heute beeinflussen“. Im Buch selbst spitzt sie dies zu der These zu, dass „die Geschichte der Medizin und der Krankheiten […] mindestens so stark von gesellschaftlichen und kulturellen Einflüssen geprägt [ist] wie von wissenschaftlichen“, da „Überreste alter Geschichten, Irrtümer, Mutmaßungen und Mythen […] bis heute das biomedizinische Wissen [trüben]“.
Um ihre These zu plausibilisieren, beschränkt sich die Autorin keineswegs darauf, die Gegenwart des 21. Jahrhunderts zu beleuchten, sondern begibt sich tief in die Medizingeschichte hinein, nämlich bis in die griechische Antike. Die Anfänge der Medizin dürften zwar noch um einiges weiter zurückreichen, waren Heilkundige im ägyptischen Pharaonenreich doch schon einige Jahrtausende zuvor aktiv und auch die Geschichte der medizinischen Künste des fernen Ostens – etwa in China – dürfte ebenfalls weiter zurückreichen.
Cleghorn beschränkt sich jedoch auf die europäische und nordamerikanische Historie und Gegenwart der Heilkünste, mithin also den Teil der Welt, der heute – auch von der Autorin – mit dem Begriff ‚westlich’ zu fassen versucht wird. Tatsächlich hat sie ihr Untersuchungsgebiet sogar noch etwas stärker eingegrenzt und „befasst sich mit der Medizinkultur insbesondere in den USA und in Großbritannien“.
Dabei nimmt sie die Medizin nicht als Ganze unter dem geschlechtlichen Gesichtspunkt in den Blick, sondern fokussiert ihn bis ins 20. Jahrhundert hinein weitgehend auf Sexualität, Fortpflanzung und Geschlechtsorgane betreffende Erkrankungen sowie auf solche, die auf diese zurückgeführt wurden. Das mag insofern gerechtfertigt sein, als überhaupt erst im letzten Jahrhundert ein Bewusstsein darüber entstand, dass es darüber hinausreichende Unterschiede der Anatomie und des Metabolismus zwischen den Geschlechtern gibt, die medizinisch relevant sind, da sie dazu führen, dass Männer und Frauen unterschiedliche geschlechtsspezifische Krankheiten, Krankheitsverläufe und Syndrome haben können oder dass bestimmte Erkrankungen bei einem der (biologischen) Geschlechter häufiger auftreten, wie etwa Multiple Sklerose und andere Autoimmunerkrankungen bei Frauen.
Jedenfalls hat die Autorin ein weithin informatives und zudem gut lesbares Sachbuch vorgelegt, in dem zunächst alleine die oft pejorativen Attribute und Wendungen stören mögen, mit denen Ärzte belegt werden. Bald jedoch überwiegt die Verwunderung darüber, dass die Autorin nicht zu weit härteren Worten greift angesichts zahlreicher frauenfeindlicher Untaten, wie sie etwa von dem US-amerikanischen Arzt James Marion Sims im 19. Jahrhundert an als „medizinische Versuchsobjekte“ missbrauchten Sklavinnen verübt wurden, oder den Genitalverstümmlungen, die der mörderische Gynäkologe Isaac Baker Brown an Londoner Patientinnen durchführte.
Etliche der häufigen Redundanzen wären hingegen sicher zu vermeiden gewesen. Auch gleiten die schier zahllosen Fallbeispiele erkrankter Frauen und ihrer (Nicht-)Behandlung öfter einmal ins Anekdotische ab. So etwa wenn Cleghorn von der „Frau eines bescheidenen Dorfvikars“ erzählt.
Die Autorin hat ihr Buch in drei größere Abschnitte eingeteilt, deren erster die Medizingeschichte „vom antiken Griechenland bis ins 19. Jahrhundert“ umfasst, während der zweite „vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1940er Jahre“ und der letzte „von 1945 bis in die Gegenwart“ reicht. Ihr Gang durch die Medizinhistorie beginnt mit Hippokrates und der über Jahrhunderte andauernden Vorstellung, dass die Gebärmutter durch den weiblichen Körper wandert, wobei sie unterwegs alle möglichen Beschwerden und Krankheiten hervorruft. Für seinen ebenso langlebigen wie fatalen Gebärmutterirrtum unterstellt die Autorin Hippokrates jedoch keinen bösen Willen, konnte er sich doch „kaum auf handfeste wissenschaftliche Erkenntnisse stützen“. Denn Obduktionen menschlicher Leichen waren zu seiner Zeit und noch lange darüber hinaus verboten, so dass die genaue Lage der Organe unbekannt war. Bemerkenswert ist, dass Hippokrates seinen in späteren Jahrhunderten wirkenden Kollegen insofern voraus war, als er die Auffassung vertrat, dass „Körper und Krankheiten von Frauen völlig anders behandelt werden [müssen] als die von Männern“.
Einige Jahrhunderte nach seinem Wirken erlangte ein Werk des zur Zeit des Wechsels vom ersten zum zweiten nachchristlichen Jahrhunderts tätigen römischen Arztes Soranus von Ephesus Berühmtheit. Seine Gynäkologie wurde „eines der beliebtesten Handbücher der Zeit“. In ihm wurde zwar die misogyne These verworfen, „Frauen seien aufgrund ihrer biologischen Andersartigkeit von Natur aus minderwertige und mangelhafte Kreaturen“, doch nahm Soranus ebendarum auch Abstand von der hippokratischen Theorie, dass für Frauen „ein völlig eigener Strang der Medizin nötig sei“.
Den Irrtum von der wandernden Gebärmutter aber schaffte auch er nicht aus der Welt. Denn „als der Mensch in das Mittelalter eintrat, wanderte die Gebärmutter mit“, wie die Autorin launig formuliert. Außerdem waren mit dem Aufkommen des Christentums zu den bis dahin schon gängigen Ansichten, die einer angemessenen Behandlung kranker Frauen im Wege standen, etliche neue hinzugekommen. So „[verboten] die christlichen Moralgesetze des Mittelalters den medici die körperliche Untersuchung von Frauen“.
Dabei galt die Medizin im Mittelalter grundsätzlich als ureigenstes Metier der Männer. Zwar begannen Ärzte der im Süden Italiens gelegenen Stadt Salerno im 11. Jahrhundert damit, „Frauen für den Arztberuf auszubilden“. Doch wurde der Autorin zufolge im 14. Jahrhundert „in ganz Europa Ärztinnen das Praktizieren untersagt“.
Christlicher Glaube und Pseudomedizin gingen auch in einem Kompendium eines Pseudo-Albertus genannten, unbekannten Autors eine fatale Allianz ein. Sein Secreta Mulierum fand im 13. Jahrhundert eine weite Verbreitung und stand dem 1486 erstmals erschienenem Hexenhammer an Frauenhass kaum nach, gab sich jedoch als „neue[s] System aus ärztlichem und religiösem Wissen“ aus.
Nicht nur der Mythos von der umherwanderden Gebärmutter erwies sich als langlebig. Von der Antike bis weit ins zweite Jahrtausend hinein hielt sich ein weiterer frauenfeindlicher Irrglaube hartnäckig: Frauen könnten „jederzeit krank werden […], weil ihr Körper auf Gedeih und Verderb Babys produzieren wollte“. Entsprechend sahen die Therapien für alle möglichen ‚Frauenleiden’ aus: häufiger Geschlechtsverkehr und möglichst viele Kinder gebären.
Wurde im Laufe der Neuzeit immerhin erkannt, dass die Gebärmutter keineswegs im Körper der Frau umherwandert, war ihr schon im 16. Jahrhundert ein zweites Organ zur Seite getreten, das fortan für allerlei Frauen zugeschriebenen Erkrankungen verantwortlich gemacht wurde: die als „Werkzeug der Verderbtheit pathologisiert[e]“ Klitoris. Die gängige Kur für zahlreiche Leiden kranker Frauen bestand daher darin, sie operativ zu entfernen. Einer ihrer übelsten Verfechter war der bereits genannte Londoner Gynäkologe Isaac Baker Brown, der Mitte des 19. Jahrhunderts „mit der Kliteridektomie zu einem moralischen Kreuzzug an[trat]“. Unter seinem Messer kamen zahlreiche Frauen zu Tode.
Selbstverständlich gab es über die Jahrhunderte hinweg immer wieder mutige Frauen, die solchen Halbteufeln in Weiß entgegentraten. Cleghorn nennt etwa Christine de Pizan, Mary Wollstonecraft, Elizabeth Cady Stanton, Josephine Butler und Elisabeth Garrett Anderson. Letztere war zur Zeit der frauenmordenden ‚Therapien’ von Baker Brown in England die einzige zugelassene Ärztin. Es war dies zugleich die Zeit, in der im viktorianischen England ein von misogyn-konservativer Seite erbittert ausgefochtener Kampf gegen den Einsatz des von Marie Gillain Boivin erfundenen zweischaligen Spekulums tobte, das die bis dato üblichen „linkischen Tastmutmaßungen durch die objektive Kraft des Sehens“ ersetzte.
Im Weiteren geht die Autorin auf die in den USA 1916 gegründete National Birth Control League ein, bei der es sich um „eine[.] der wichtigsten feministischen Bewegungen in der Medizingeschichte“ handelt. Ihren Vorsitz hatte Mary Ware Dennett inne. In ihrem seit 1914 erscheinendem Periodikum The Woman Rebel polemisierte die Feministin außerdem „gegen die ‚Sklaverei der Mutterschaft’“ und „[verknüpfte] die Reproduktionsfreiheit mit der wirtschaftlichen Emanzipation der Frau“. Dies alles geschah vor dem Hintergrund, dass seit 1873 in den USA „die Verbreitung von Informationen über Verhütungs- und Abtreibungsmittel untersagt“ war.
Doch nicht nur Medizinerinnen, die sich für die Rechte der Frauen einsetzten, lässt Cleghorn Revue passieren. In den Abschnitten zum 19. und 20. Jahrhundert werden auch andere prominente Feministinnen gewürdigt. So etwa Harriet Taylor Mill und diverse Kämpferinnen für das Frauenstimmrecht. Letzteren ist sogar ein eigenes Kapitel gewidmet, das fast schon den Charakter eines Exkurses annimmt. Den Bogen zu ihrem eigentlichen Thema schlägt die Autorin über den Hinweis, dass um 1900 „der Kampf um das Frauenwahlrecht […] vielen Ärzten zufolge schon für sich genommen eine zerstörerische Krankheit, eine gefährliche Pathologie [war]“.
Eine heute kaum noch bekannte, zwar nicht im eigentlichen Sinn medizinische oder gar therapeutische, jedoch schmerzlindernde Methode wurde zu ebendieser Zeit von deutschen Ärzten ersonnen. Denn zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten Frauen begonnen, „verstärkt die Notwendigkeit und Unvermeidbarkeit der Wehenschmerzen infrage“ zu stellen. Freiburger Ärzte schienen die ideale Lösung gefunden zu haben: die „Dämmerschlafgeburt“. So pilgerten immer mehr Schwangere in das „utopisch anmutende[.] Freiburger Gebärparadies“, in dem Entbindende mit einer „Scopolamin-Morphium-Behandlung“ ruhiggestellt wurden. Eines der damit einhergehenden „Problem[e]“ erkennt die Autorin nun darin, dass der „Dämmerschlafmethode“ zufolge der „Geburtsschmerz ein ‚Symptom’ [war], das sich ‚heilen’ ließ“ und somit „aus der Geburt ein pathologischer Vorgang [wurde]“. Cleghorn weist zwar tatsächlich auf ein problematisches Verständnis des Geburtsvorganges hin. Anzumerken ist allerdings, dass Symptome nicht geheilt, sondern gelindert werden. Geheilt werden die den Symptomen zugrunde liegenden Erkrankungen. Richtig aber ist, dass Geburten fortan wie eine Erkrankung behandelt wurden, „die den Einsatz von Medikamenten, Instrumenten und brutalen Verfahren rechtfertigte“. So fand die Dämmerschlafmethode auch in anderen Ländern wie den USA schnell Verbreitung. Der Hype kam allerdings jäh zu einem Ende, als eine ihrer führenden Propagandistinnen bei einer solchen Geburt zu Tode kam.
Im zweiten der drei Hauptabschnitte weist Cleghorn außerdem auf die Bedeutung der Erfindung des Tampons in den 1930er Jahren und den Widerstand konservativer Ärzte gegen dessen Benutzung hin. Auch zeichnet die Autorin die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geführte Diskussion um die biologischen Attribute nach, die einen Menschen als Frau kennzeichnen. Die Entwicklung verlief von organischen Merkmalen wie Eierstöcken zu „Sekreten“, die später genauer als Hormone bestimmt wurden. Nun galten nicht mehr Organe wie die Gebärmutter als entscheidendes Kriterium dafür, einen Menschen als weiblich zu definieren, sondern eben die ‚Sekrete’. Denn „die inneren Sekrete glichen […] einem Zaubertrank, der Frauen dazu veranlasste, Babys zu produzieren und zu bemuttern“, wie Cleghorn in überschüssiger Polemik formuliert. „Weiblichkeit“, referiert sie weiter, wurde als „eine Kombination aus ‚besonderen Funktionen’ – physiologischen und psychischen –“ angesehen, die allesamt von den Sekreten gelenkt würden“. „Eine Frau sei eine Frau“, fasst sie die damalige Auffassung zusammen, „weil ihre Drüsen sie weiblich machten“. Das ist allerdings auch nicht kurioser als der heute bis in Gesetzgebungen vorgedrungene Standpunkt, ein Mensch sei eine Frau, wenn und weil er es behauptet. Nur, dass hier an die Stelle des Zaubertranks ein Zauberspruch getreten ist, wie sich auf Cleghorns Niveau polemisieren ließe.
Im Zuge des Erstarkens der feministischen Bewegung entwickelte sich Ende der 1960er Jahre eine „Frauengesundheitsbewegung“ und in den USA wurde das „Frauengesundheitsnetzwerk National Women’s Health Network“ gegründet. 1978 entstand schließlich die „Schwarze feministische Gesundheitsbewegung“ Organisation of African and Asien Descent. All dies zeichnet die Autorin mal mehr, mal weniger ausführlich nach.
Bis weit ins zwanzigste Jahrhundert hinein galt der männliche Körper als Maß aller medizinischen Dinge. Ein Bewusstsein darüber, dass sich der weibliche Körper über die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale hinaus auch in so ziemlich jeder anderen medizinisch relevanten Hinsicht unterscheidet, entwickelte sich erst in den 1980er Jahren. So wurde 1985 in einem Report des US Public Health Service zu „Frauengesundheitsthemen“ gefordert, „dass Frauen in Versuchen zu Medikamenten, die sie einnehmen könnten, ‚adäquat’ vertreten sein sollten“.
Hat die Autorin zu Beginn ihres Buches angekündigt, sich für ihre Kritik an der gängigen maskulinistischen Medizin auch schon mal auf ihre „eigenen Erfahrungen“ zu berufen, da durch die Schilderung „persönliche[r] intime[r] Erfahrungen […] wertvolles Wissen [entsteht], das im objektiven evidenzbasierten Diagnosemodell oft nicht vorkommt“, so löst sie dies insbesondere im letzten Kapitel ein, in dem sie das Persönliche mit dem Politischen verbindet und von ihrer eigenen Autoimmunerkrankung und den Erfahrungen, die sie mit dem US-amerikanischen Gesundheitswesen machte, berichtet.
Abschließend sind nun noch einige Kritikpunkte vorzubringen, die mal von größerem, mal geringerem Gewicht sind. Zunächst aber soll anhand nur eines Beispiels ein kurzer Blick auf die nicht immer sonderlich akkurate Übersetzung geworfen werden. Aus „Black, Asian and other ethnically divers women“ werden in der deutschen Ausgabe „Frauen, die als nicht-weiß gelesen werden“. Ein in zweierlei Hinsicht gravierender Unterschied. Zum einen identifiziert das englische Original die Frauen positiv als „Black, Asian and other ethnically divers“, während die Übersetzung es bei der negativen Charakterisierung „nicht-weiß“ belässt. Zum anderen spricht das Original davon, was die Frauen sind, die Übersetzung davon, als was sie wahrgenommen (‚gelesen’) werden.
Der Autorin selbst anzulasten sind hingegen etliche undifferenzierte Äußerungen, Allaussagen und fraglose Übertreibungen. So behauptet sie etwa ganz grundsätzlich und allgemein „Frauen wurden nie als zuverlässige Zeuginnen der Vorgänge, die ihrem Körper widerfahren oder widerfahren sind, ernst genommen“. Über Schwarze in den Vereinigten Staaten wiederum heißt es: „Unablässig sprach man ihnen ihre Schmerzen und ihre Menschlichkeit ab.“ (beide Herv. RL) Manche Behauptung wird durch ihren Anspruch allgemeiner Gültigkeit auch schlichtweg falsch: „Wenn Frauen den eigenen Körper zum Thema machen, so ist das zutiefst feministisch.“ In vielen Fällen dürfte es eben gerade nicht feministisch sein, wenn Frauen ihren Körper thematisieren. Sei es, dass sie sich zu dick oder zu dünn finden, ihren Po zu flach, ihre Brüste zu klein oder ihre Nase zu groß und was der Abweichungen von der gerade geltenden Schönheitsnorm mehr sind, von denen sie auch schon mal glauben, ihre Körper operativ ‚korrigieren’ lassen zu müssen.
Gelegentlich widersprechen Cleghorns Aussagen einander sogar. So konstatiert sie einerseits: „Im Laufe der Medizingeschichte hat die Fixierung auf die weibliche Biologie als angebliche Determinante für das Frausein das Verständnis der Krankheiten, die Frauen befallen, tatsächlich eher getrübt […]“, erklärt aber wenige Seiten später: „Die Antworten“ auf die „ungeklärten medizinischen Rätsel unserer Krankheiten […] liegen im weiblichen Körper und in den Geschichten, die er schon immer geschrieben hat“.
Auch versteigt sie sich schon einmal zu einer mehr als zweifelhaften Behauptung. Etwa wenn sie erklärt, dass „sexueller Dysfunktion […] keine Priorität eingeräumt wird und man sie nicht als medizinisches Problem behandelt, solange der Patient kein heterosexueller Cis-Mann ist“. Allerdings mag es durchaus sein, dass sexuelle Dysfunktionen von Patientinnen dann stärker in den Fokus medizinischen Interesses rücken, wenn nicht nur sie selbst unter ihnen leiden, sondern auch ihr Partner, dessen sexuelle Lust sie beeinträchtigen.
Cleghorns historische Darlegungen sind ebenfalls fragwürdig. So prolongiert sie etwa das Zerrbild, die Frauenstimmrechtsbewegung in den USA sei rassistisch gewesen. Tatsächlich war das Gegenteil der Fall. Denn es war nicht nur so, dass sich zahlreiche US-amerikanisch Feministinnen des 19. Jahrhunderts ebenso sehr antirassistisch engagierten. Die Frauenrechtsbewegung ging überhaupt erst aus dem antirassistischen Engagement der späteren Frauenrechtlerinnen hervor. So lernten sich die beiden US-Amerikanerinnen Lucretia Mott und Elizabeth Cady Stanton, die bald darauf zu den wichtigsten Protagonistinnen der US-amerikanischen Frauenbewegung werden sollten, 1840 auf der World-Anti-Slavery-Convention in London kennen, auf der es ihnen als Frauen allerdings untersagt war, das Wort zu ergreifen. Trotz dieser frühen frauenfeindlichen Haltung weiter Teile der abolitionistischen Bewegung und obgleich es in den Reihen der Frauenrechtlerinnen die eine oder andere Rassistin gab, arbeiteten beide Bewegungen später für einige Jahrzehnte Hand in Hand. So weist Ursula I. Meyer zu Recht darauf hin, dass „Sklavenbefreiung und Frauenbewegung nirgendwo so dicht beisammen [lagen] wie in den USA“. Allerdings nur so lange, bis die Sklaverei abgeschafft war. Unmittelbar danach erlahmte das Interesse der abolitionistischen Bewegung an Frauenrechten rapide, was von den Frauenrechtlerinnen heftig beklagt wurde.
In Cleghorns Feststellung „nicht alle Menschen, die einen Uterus besitzen oder menstruieren, sind Frauen“, schlägt sich wiederum die queer- und transaktivistische Geschlechtermetaphysik heutiger Tage nieder, die Cleghorns Medizingeschichte der kranken Frau in den Rücken fällt, ohne dass sie es zu bemerken scheint.
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