Zwei Leidenschaften: schreiben und kochen

Maryse Condé erzählt in „Köstliches und Kostbares“ ihr Leben… diesmal anders

Von Michi StrausfeldRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michi Strausfeld

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Maryse Condé, die große Stimme der frankophonen Antillen, blickt auf ein Leben in vielen Ländern und gleich drei Kontinenten zurück. Geboren wurde sie 1937 in Pointe-à-Pitre auf Guadalupe, als jüngstes von acht Kindern. 1953 ging sie nach Paris, studierte und promovierte an der Sorbonne. Nach ihrer Heirat lebte sie lange in Westafrika (Guinea, Mali, Senegal, Ghana) und begann zu schreiben. Ihr bekanntester Roman Segu – Die Mauern aus Lehm, in dem sie diese Erfahrungen thematisierte, erschien 1984. Nach der Trennung von ihrem afrikanischen Ehemann und vorübergehend auch von den Kindern kehrte sie 1980 nach Paris zurück und lehrte an verschiedenen französischen Universitäten, später dann an der Columbia University in New York. Sie kehrte mit ihrem zweiten Mann, dem Übersetzer Richard Philcox, dem dieses Buch gewidmet ist, regelmäßig auf die Karibikinsel zurück. 2018 erhielt sie den Alternativen Nobelpreis.

Ein abwechslungsreiches Leben, das sie in der Autobiographie Das ungeschminkte Leben 2012 (dt. 2020) bereits beschrieben hat, wird nun durch diese zweite – andere – Autobiographie ergänzt. Im vorliegenden Band Köstliches und Kostbares erzählt sie prägende Erlebnisse anhand von Gerichten, die sie mit einzelnen Reisen verbindet. Das Buch beginnt natürlich auf Guadalupe und ihrem frühen Interesse für die Küche, die sie bei ihrer Großmutter Victoire kennenlernte. Es waren Familienessen, die zelebriert wurden und die kreative und kulinarische Vielfalt der Antilleninsel in voller Pracht zeigten. Ganz anders erging es ihr in Afrika: „Es sei nur erwähnt, dass die Kochkunst in Guinea vollständig aus meinem Blickfeld geriet. Die Nahrungsaufnahme reduzierte sich auf ihre rein körperliche Funktion: Essen, um zu überleben“. Harte Jahre, in denen Maryse Condé unterrichtete, die vier Kinder erzog und zugleich um ihre intellektuelle und materielle Unabhängigkeit kämpfen musste. Und in denen sie versuchte, aus dem Wenigen, was ihr zur Verfügung stand, schmackhafte Gerichte zuzubereiten.

Die Autorin hat sich stets als Rebellin verstanden, die sich nie scheute, auf die Bedeutung der Kochkunst hinzuweisen und sie zu praktizieren – was dem damaligen feministischen Selbstverständnis natürlich widersprach. Als Globetrotterin nimmt sie den Leser mit auf ihre Vortragsreisen nach Japan, Australien, Indien, Kuba, Israel oder Rumänien, um nur einige Länder zu nennen. Überall erkundet sie neugierig die Kochtöpfe und probiert fremde Speisen. Diese Erfahrungen führen ihrerseits wieder zu politischen, ökonomischen, sozialen oder kulturellen Überlegungen – und zu Kritik. Sie stellt auch ihre eigenen Ansichten immer wieder in Frage, vor allem ihr Verhalten zur Homosexualität ihres Sohnes: eine für sie schmerzhafte und langwierige Aufarbeitung eigener und tradierter Vorurteile.

Die Wissenschaftlerin analysiert das Erlebte, die Romanautorin erzählt davon, und in dieser eigenwilligen Biographie verschmilzt beides in den großartigen Beschreibungen komplizierter Gerichte, bei denen der Leser sich nur wünscht, er könne sie auch kosten. Ohne Zweifel ist Maryse Condé eine kreative Köchin, aber leider verrät sie keine Rezepte – vermutlich ergäbe dies ein weiteres Buch! So muss sich der Leser anhand der oft detaillierten Beschreibungen letztlich selbst vorstellen, welche Gaumenfreuden ihm präsentiert werden. Condés Bilanz: „Die eine Leidenschaft ist der anderen klar überlegen. Der alternde Schriftsteller lebt in panischer Angst, sich zu wiederholen… für die Köchin hingegen ist die Wiederholung eine Qualitätsgarantie“.

Titelbild

Maryse Condé: Köstliches und Kostbares. Kulinarische Reisen.
Aus dem Französischen von Ina Böhme.
Litradukt, Trier 2022.
254 Seiten , 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783940435415

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