Sigmund Freud und Albert Einstein über Krieg, Tod und Frieden in einer neuen Ausgabe

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Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine hat der Reclam Verlag im April 2022 eine neue, von Hans-Martin Lohmann herausgegebene Ausgabe von Sigmund Freuds zuerst 1915 in der Zeitschrift Imago veröffentlichtem Aufsatz „Zeitgemäßes über Krieg und Tod“ zusammen mit dem 1932 geführten und 1933 unter dem Titel Warum Krieg? in Frankreich publizierten Briefwechsel zwischen dem Physiker Albert Einstein und Freud veröffentlicht. Der frühe Aufsatz von Freud ist 2015 auch im Rahmen einer Sonderausgabe von Freuds Schriften in literaturkritik.de erschienen und wurde schon zu Freuds 70. Todestag in der Oktober-Ausgabe 2009 von literaturkritik.de ausführlicher kommentiert, u.a. in folgendem Absatz:

Die kollektive Rückkehr zu archaischen Umgangsformen mit den eigenen Affekten nicht in der Phantasie, in Nacht- oder Tagträumen, sondern in der Realität hat Sigmund Freud angesichts des Ersten Weltkrieges zutiefst verstört. 1915 veröffentlichte er unter dem Titel „Zeitgemäßes über Krieg und Tod“ zwei Essays, in denen er so vehement und entschieden wie sonst in kaum einer anderen Veröffentlichung sein Unbehagen an Erscheinungsformen der Kulturlosigkeit bekundete. Seine Äußerungen waren politisch so anstößig, dass ihr Nachdruck in literarischen Zeitschriften von der Kriegszensur verhindert wurde. „Der Krieg, an den wir nicht glauben wollten, brach nun aus, und er brachte die – Enttäuschung. Er ist nicht nur blutiger und verlustreicher als einer der Kriege vorher, infolge der mächtig vervollkommneten Waffen des Angriffes und der Verteidigung, sondern mindestens ebenso grausam, erbittert, schonungslos wie irgendein früherer. Er setzt sich über alle Einschränkungen hinaus, zu denen man sich in friedlichen Zeiten verpflichtet, die man das Völkerrecht genannt hatte […]. Er wirft nieder, was ihm im Wege steht, in blinder Wut, als sollte es keine Zukunft und keinen Frieden unter den Menschen nach ihm geben. Er zerreißt alle Bande der Gemeinschaft unter den miteinander ringenden Völkern und droht eine Erbitterung zu hinterlassen, welche eine Wiederanknüpfung derselben für lange Zeit unmöglich machen wird. Er brachte auch das kaum begreifliche Phänomen zum Vorscheine, dass die Kulturvölker einander so wenig kennen und verstehen, dass sich das eine mit Hass und Abscheu gegen das andere wenden kann.“

In seinem 1933 in Paris in französischer, englischer und deutscher Sprache veröffentlichten Briefwechsel mit Albert Einstein zum Thema Krieg greift Freud auf die früheren Kriegsessays zurück. Hier wiederholt er seine Behauptung, dass die Triebe des Menschen im Wesentlichen in erotische und aggressive zu klassifizieren sind: „Wir nehmen an, dass die Triebe des Menschen nur von zweierlei Art sind, entweder solche, die erhalten und vereinigen wollen – wir heissen sie erotische, ganz im Sinne des Eros im Symposion Plato`s, oder sexuelle mit bewusster Überdehnung des populären Begriffs von Sexualität –, und andere, die zerstören und töten wollen; wir fassen diese als Aggressionstrieb oder Destruktionstrieb zusammen.“

Zu den Errungenschaften der Kultur gehört nach Freuds Einschätzung die Dominanz des Liebens gegenüber dem Hassen: „Von den psychologischen Charakteren der Kultur scheinen zwei die wichtigsten: die Erstarkung des Intellekts, der das Triebleben zu beherrschen beginnt, und die Verinnerlichung der Aggressionsneigung mit all ihren vorteilhaften und gefährlichen Folgen.“ So Freud in seinem Brief an Einstein. Er endet so:

Den psychischen Einstellungen, die uns der Kulturprozess aufnötigt, widerspricht nun der Krieg in der grellsten Weise, darum müssen wir uns gegen ihn empören, wir vertragen ihn einfach nicht mehr, es ist nicht blos eine intellektuelle und affektive Ablehnung, es ist, bei uns Pazifisten eine konstitutionelle Intoleranz, eine Idiosynkrasie gleichsam in äusserster Vergrösserung. Und zwar scheint es, dass die aesthetischen Erniedrigungen des Krieges nicht viel weniger Anteil an unserer Auflehnung haben als seine Grausamkeiten.

Wie lange müssen wir nun warten, bis auch die Anderen Pazifisten werden? Es ist nicht zu sagen, aber vielleicht ist es keine utopische Hoffnung, dass der Einfluss dieser beiden Momente, der kulturellen Einstellung und der berechtigten Angst vor den Wirkungen eines Zukunftskrieges, dem Kriegführen in absehbarer Zeit ein Ende setzen wird. Auf welchen Wegen oder Umwegen, können wir nicht erraten. Unterdes dürfen wir uns sagen: Alles, was die Kulturentwicklung fördert, arbeitet auch gegen den Krieg.

Ich grüsse Sie herzlich und bitte Sie um Verzeihung, wenn meine Ausführungen Sie enttäuscht haben.
Ihr
Sigm. Freud

Einstein selbst hatte seinen Brief an Freud so begonnen:

Lieber Herr Freud!

Ich bin glücklich darüber, dass ich durch die Anregung des Völkerbundes und seines Internationalen Instituts für geistige Zusammenarbeit in Paris, in freiem Meinungsaustausch mit einer Person meiner Wahl ein frei gewähltes Problem zu erörtern, eine einzigartige Gelegenheit erhalte, mich mit Ihnen über diejenige Frage zu unterhalten, die mir beim gegenwärtigen Stande der Dinge als die wichtigste der Zivilisation erscheint: Gibt es einen Weg, die Menschen von dem Verhängnis des Krieges zu befreien? […]

Die Antwort von Freud beginnt so:

Lieber Herr Einstein!

Als ich hörte, dass Sie die Absicht haben, mich zum Gedankenaustausch über ein Thema aufzufordern, dem Sie Ihr Interesse schenken und das Ihnen auch des Interesses anderer würdig erscheint, stimmte ich bereitwillig zu. Ich erwartete, Sie würden ein Problem an der Grenze des heute Wissbaren wählen, zu dem ein jeder von uns, der Physiker wie der Psycholog, sich seinen besonderen Zugang bahnen könnte, so dass sie sich von verschiedenen Seiten her auf demselben Boden träfen. Sie haben mich dann durch die Fragestellung überrascht, was man tun könne, um das Verhängnis des Krieges von den Menschen abzuwehren. Ich erschrak zunächst unter dem Eindruck meiner – fast hätte ich gesagt: unserer – Inkompetenz, denn das erschien mir als eine praktische Aufgabe, die den Staatsmännern zufällt. Ich verstand dann aber, dass Sie die Frage nicht als Naturforscher und Physiker erhoben haben, sondern als Menschenfreund, der den Anregungen des Völkerbunds gefolgt war, ähnlich wie der Polarforscher Fridtjof Nansen es auf sich genommen hatte, den Hungernden und den heimatlosen Opfern des Weltkrieges Hilfe zu bringen. Ich besann mich auch, dass mir nicht zugemutet wird, praktische Vorschläge zu machen, sondern dass ich nur angeben soll, wie sich das Problem der Kriegsverhütung einer psychologischen Betrachtung darstellt.

Aber auch hierüber haben Sie in Ihrem Schreiben das meiste gesagt. Sie haben mir gleichsam den Wind aus den Segeln genommen, aber ich fahre gern in Ihrem Kielwasser und bescheide mich damit, alles zu bestätigen, was Sie vorbringen, indem ich es nach meinem besten Wissen – oder Vermuten – breiter ausführe. […]

Titelbild

Sigmund Freud: Zeitgemäßes über Krieg und Tod | Warum Krieg? Der Briefwechsel mit Albert Einstein.
Hg. von Hans-Martin Lohmann.
Reclam Verlag, Stuttgart 2022.
100 Seiten , 6,00 EUR.
ISBN-13: 9783150142769

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