Kunst und Kinder
Julia Weber und Heinz Helle haben je ein literarisches Buch über den gemeinsamen Alltag mit zwei Kindern geschrieben
Von Beat Mazenauer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEs ist ein seltenes Ereignis, wenn zwei Bücher denselben Stoff behandeln und sich symbiotisch aufeinander beziehen. Heinz Helle und Julia Weber sind ein Schriftstellerpaar. Vor gut zwei Jahren sind sie zum zweiten Mal Eltern geworden. Dieses Ereignis hat beide auch künstlerisch durchgeschüttelt. Wie lassen sich Elternschaft, Haushalt und Kunst miteinander in Einklang bringen und gerecht teilen? In ihren Romanen Die Vermengung (Julia Weber) und Wellen (Heinz Helle) geben sie darauf eine Antwort aus je unterschiedlicher intimer Perspektive. Autobiografische Züge und Bezüge sind den beiden Büchern dabei nicht abzustreiten, auch wenn die Kinder jeweils andere Namen tragen. Letzteres signalisiert die Vorsicht, die Helle mit einem Nabokov-Zitat bekräftigt. „Fiktion ist Fiktion“. Er nennt deshalb sein Buch Roman, während Julia Weber die Fiktionalität mit literarischen Spielfiguren im Text kenntlich macht. All das macht eine parallele Lektüre reizvoll.
Ein Mann und eine Frau erzählen dieselbe Geschichte. Das weckt das Interesse vor allem mit Blick auf Differenzen und Rollenverhalten. Entsprechend überrascht Helles Wellen gleich auf den ersten Seiten. Der Erzähler wiegt das neu geborene Kind, ohne dass er dessen Schreien zu besänftigen vermag. Unwillkürlich bricht die Wut aus ihm heraus, worüber er selbst gleich wieder erschrickt. Ratlos fragt er sich, „wie man überhaupt Empathie mit etwas empfinden kann, das einen nicht einmal anschaut, geschweige denn mit einem spricht“.
Dieser Einstieg ist mutig, stark und unmissverständlich. Der Vater und das Neugeborene gehören (noch) nicht zusammen, der Erzähler arbeitet zuerst eine Distanz ab, die die Mutter nie haben kann. In Wellen beschreibt Helle ein Jahr im Leben des Erzählers, der sich nur nebenbei als Schriftsteller zu erkennen gibt, sondern Hausarbeit verrichtet, das Neugeborene und seine ältere Schwester betreut und über sich selbst nachgrübelt. Er begibt sich in eine intensive, manchmal selbstquälerische, zwischendurch aber auch aufgelockerte Auseinandersetzung über seine Rolle als Vater, Mann und freier Autor, der wenn möglich auch kleine Jobs annimmt. Mit hinein spielt auch die Erfahrung eines früheren Kontrollverlusts, welche nicht gänzlich überwunden scheint.
Ob all dem spürt der Erzähler in sich eine Unsicherheit schlummern und eine unterdrückte Wut, an der er arbeiten will und die er aus dem häuslichen Alltag zu verbannen und stattdessen „auf dankbare Ziele wie das Verkehrsaufkommen, das Wirtschaftssystem, den Putzplan“ zu lenken versucht. Zwischen Wunsch und Wirklichkeit öffnet sich ein Graben, in dem sich Selbstzweifel wie Krokodile tummeln. Gibt er für die beiden Kinder nicht einfach die „eigenen Träume, Sehnsüchte und Überzeugungen“ preis? Helle bleibt in seinem Roman ganz nah bei sich, haarklein protokolliert er die täglichen Verrichtungen im Haushalt und seine sie begleitenden Gefühle. Ein literarisches Vorhaben lässt er liegen, die bohrende Auseinandersetzung wird schließlich selbst zum Projekt, von dem „ohne Zweifel und Selbstmitleid gar nicht mehr so viel übrig bleiben würde“, das aber genau an den Punkt heranführt, der gültig bleibt: weder Liebe noch Dasein, sondern eine tief empfundene Ambivalenz.
Auch Julia Weber erzählt in ihrem Prosaband Die Vermengung von diesem Alltag mit zwei Kindern. Sie stellt ähnliche Fragen darüber, wie sich Mutterschaft und Kunst vereinen lassen. Literarisch aber geht sie einen anderen Weg. Zuerst fällt auf, dass sie im Vergleich mit ihrem Mann den Berichtszeitraum erweitert. Sie verlegt den Anfang ihres Buches in die Monate vor der Schwangerschaft und endet mit dem Kind, das bereits durch die Wohnung rennt. Die feministische Perspektive greift bei ihr ganz natürlich weiter aus. Weber bettet die schwierige Dualität von Mutterschaft und Kunst vor allem aber in eine ästhetisch offene, vielstimmige Struktur ein. Die Erzählerin reflektiert die Ablenkung von der Kunst durch den Alltag, um sie umgehend in einem literarischen Echoraum zu verarbeiten. Sie kreiert dafür zwei Spielfiguren, Ruth und Linda, mit denen sie sich aus ihrer Schreibnot befreit, auch wenn daraus nicht der früher einmal geplante Roman entstehen wird, sondern eben dieses vorliegende Buch. Dazu sucht sie immer wieder auch das Gespräch mit ihrer Freundin A., die ähnliche Fragen mit sich herumträgt.
Wellen und Die Vermengung erzählen mit demselben Personal vom selben Alltag und bespiegeln sich so gegenseitig, wobei Webers Erzählerin mehr über ihren Mann verrät als umgekehrt. Mehrfach richtet sie auch Briefe an H. oder zitiert (vorab) aus dessen Roman Wellen, der tatsächlich erst ein halbes Jahr nach Webers Buch erschienen ist. H. hat auch in ihrem Buch die Rolle als Hausmann inne. Eine schöne Szene schildert, wie die Erzählerin auf der Suche nach „Sein oder nicht Sein“ ihres Schreibens mit ihm reden will, während er Hausarbeit verrichtet:
H. wischt den Boden und ich gehe hinter ihm her. Und ich sage, es gehe vielleicht doch nur um eines in meinem Roman. Und was das wohl sei?, fragt H. und hebt den Wäschekorb aus der Ecke, damit er besser in der Ecke wischen kann, aber weil ich hinter ihm stehe, kann er ihn nicht abstellen.
Tschuldigung, sagt er.
Tschuldigung, sage ich und gehe zur Seite.
Diese literarische Zwiesprache, dieses vielstimmige Spiel findet in Helles Wellen kaum Entsprechung. Sein Erzähler arbeitet sich vielmehr monologisch durch sein Unbehagen, um sich zu vergewissern, was das alles mit seiner Männlichkeit macht. Einzig ein namenloses, zaghaft angesprochenes „Du“ lindert ab und an seine Einsamkeit.
Das erfüllende künstlerische Schaffen einerseits, die alltägliche Arbeit im Haushalt sind bei Helle wie Weber so gesehen eher Symptome für die tiefer liegende Verunsicherung durch fremde Ansprüche: durch die Kinder und die Verantwortung für sie. Diese Ansprüche fordern ihren Tribut, indem sie die üblichen Rollenerwartungen auch literarisch herausfordern. Während Weber auf ihrer künstlerischen Erfüllung beharrt, gibt sich Helle in das ermüdende tägliche Einerlei. Beide unterlaufen so auf ihre Weise traditionelle Vorurteile über die Verbindung von Elternschaft und künstlerischer Arbeit. Während sich Weber in ihrer Prosa stark schreibt: „Leiden macht die Fantasie schwach und träge“, zitiert sie Natalia Ginzburg – zeigt Helles Erzähler vor allem seine verletzliche Seite. Wo Weber ausschweifend ins poetisch Offene strebt, verengt sich Helles Perspektive eindrucksvoll auf die Suche nach der auszuhaltenden Ambivalenz „zwischen Kindererziehung, Kunst und Kaffee“.
Wellen und Die Vermengung wirken locker aufeinander abgestimmt. Mit ironischer Geste inszeniert das Schriftstellerpaar hin und wieder auch kleine Unstimmigkeiten zwischen ihren Büchern, die sich erst bei paralleler Lektüre zeigen. Beispielsweise beschreibt Helle die Szene, wie ein Vater einen „wie am Spieß schreienden Jungen“ durchs Treppenhaus auf den Innenhof der Wohnsiedlung trägt und mit aller Geduld seine Tritte und sein Geschrei aushält, bis der Junge vor Erschöpfung einschlummert. Auch Weber beschreibt diese Szene, allerdings mit einer Mutter in der Hauptrolle. H. wirft bei ihr daraufhin ein, dass es tatsächlich doch ein Vater gewesen sei, der den Jungen beschwichtigt habe. Doch er erhält nur zur Antwort: „Na und? (…) es ist ja mein Text.“
So entfaltet sich zwischen den beiden Büchern ein Spiel der Ähnlichkeiten und Differenzen, die mal der Lebensrolle, mal der Kunst geschuldet sind. Was bleibt, ist der spielerische Zugang von Julia Weber zu ihren Fragen unter feministischer Schreibperspektive, während Heinz Helle die Sache grundsätzlicher angeht als Mann, der sein Schreiben hintenanstellt. Immerhin deutet er in groben Zügen ein interessantes Projekt an, das später einmal selbständig heranreifen könnte. Die parallele Lektüre der beiden Bücher öffnet zwei Perspektiven auf denselben Haushalt und eine gemeinsame Beziehung. Dabei aber bleibt wie erwähnt Vorsicht geboten: „Fiktion ist Fiktion“. Gerade weil die Grenzen zwischen Realität und Fiktion hier fluid sind, gilt, was Helle weiter aus Nabokovs Lectures on Literature zitiert: „Eine Erzählung wahr zu nennen, beleidigt sowohl die Kunst wie die Wahrheit“.
|
||||