Bin ich so? Sind wir so?

Thea Caillieux erzählt die Geschichte von Adam und Eva in der bildenden Kunst

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eva und Adam, schreibt die Verfasserin, bleiben das „Urpaar und der Prototyp für alle Geschlechterbeziehungen“. Baum, Schlange, Apfel, nacktes Paar – mehr brauche es nicht als szenisches Arrangement und für das Erkennen der tragischen Konstellation und ihrer Folgen für die Menschen. In einem Zeitraum von 2000 Jahren hat sich die Ikonographie des ersten Paares den veränderten historischen Bedingungen und Umständen anpassen und wesentliche Umformungen und Wandlungen durchmachen müssen. Es bildeten sich wieder neue Auslegungen, Sichtweisen und Modelle, die ein gedanklich wie bildkünstlerisch aufregendes Erlebnis vermitteln.

Thea Caillieux, Philologin und Kunsthistorikerin, hat die Bilder und Skulpturen zum Thema Adam und Eva wie Erzählungen gelesen, nicht als Vormenschen, Hominiden oder Frühmenschen, sondern wie Typen des Menschseins. Dabei enthält sie sich jedes theologischen oder historisch faktischen Beweisanspruchs, es geht ihr um Geschichten von Mann und Frau, besser Frau und Mann, denn Eva griff nach dem Apfel, nicht Adam. Eva eröffnete die Geschichte, auch wenn Adam dann Herr über sie wurde, sich die Macht des männlichen Blicks auf die Frau jahrhundertelang als dauerhaft erweisen sollte.

Heraus kam keine nüchterne wissenschaftliche Untersuchung, sondern die Autorin schrieb mit ihren Emotionen als Frau von heute, mit ihren Erwartungen und Ansprüchen einem Thema gegenüber, das mehr der Trennung, der Gegenüberstellung der Geschlechter gewidmet war als deren Zusammengehörigkeit. Bin ich so? Sind wir so?, fragt sie und lässt die Darstellungen von der Katakombenmalerei des 3. Jahrhunderts bis zu den Bildern unserer Zeit kommentierend an uns, den Lesern, vorüberziehen.  Dabei interessiert vor allem das verhängnisvolle Spiel der Geschlechter, während das, was mit dem Mythos zusammenhängt, Adam und Eva als Ursprung der Menschheit, Erbsünde und Rettung, in den Hintergrund tritt.

In den frühen Darstellungen waren Adam und Eva die einzigen Menschen, die überhaupt nackt – aber fast geschlechtslos – gezeigt werden durften. Die Skulpturen am Bamberger Dom (etwa 1235) sind die ersten freistehenden, lebensgroßen Akte seit der Antike. Im 13. Jahrhundert setzt sich dann aber ein neuer Figurenstil durch. Es sind wieder Unterschiede zwischen Adam und Eva, Mann und Frau erkennbar. Eva als schöne Verführerin wird Vorbild für Jahrhunderte. Die Identifikation der Schlange (mit Frauenkopf) mit Eva charakterisiert Eva als Inkarnation des Bösen und zieht eine moralische Trennungslinie zwischen Adam und Eva, zwischen  Mann und Frau.

Die Erzählung von Verführung und Vertreibung steht im Focus der älteren Kunst. Masaccios „Vertreibung aus dem Paradies“ (etwa 1425) – vom Erzengel Michael vertrieben, müssen Adam und Eva, schmerzerfüllt und sich ihrer Nacktheit schämend, das Paradiestor verlassen; es ist das Urbild des Sündenfalls, der im Kreuzestod Jesu seine Erfüllung findet. Jan van Eycks Adam und Eva im berühmten Genter Altarbild (1432) gleicht einer optischen Sensation. Der Künstler suggeriert sowohl Dreidimensionalität als auch Allansichtigkeit, indem er die Statuen des ersten Menschenpaares und der Heiligen sowie deren fingierte Spiegelungen täuschend echt malte. Hugo van der Goes‘ „Sündenfall“ ist ein Diptychon (1477), der rechte Flügel stellt die Beweinung Christi nach der Kreuzigung dar, während links Eva einen zweiten Apfel pflückt, den sie Adam reichen wird; aus der Schlange ist ein eidechsenartiges Mischwesen geworden, das, an den Baum gelehnt, die Szene beobachtet. Sündenfall und Erlösung sind, ganz nach der damaligen Theologie, aufeinander bezogen, zwischen den Figuren Adams und des Gekreuzigten ist eine Analogie zu erkennen.

Die frühe Neuzeit öffnet dann das Thema „Nacktheit“ dem weltlichen Diskurs. Dürers Gemälde „Adam und Eva“ (1504), ein Idealbild ganz nach seiner Proportionslehre: Während Eva mit fallenden Schultern dargestellt wird, dominiert die breitschultrige Adamfigur. Der Baum der Erkenntnis hat seine zentrale Stellung verloren.  Cranach bringt dann Bewegung in seine zahllosen – es sind fast 60 – Adam-und-Eva-Darstellungen hinein.  Eva wird in doppelter Weise zum Objekt der Betrachtung, von Adam wie auch vom Betrachter.  Jan Gossaert und Hans Baldung werden dann das Liebespaar-Thema weiterentwickeln. Bei Baldung hält Adam den Körper Evas besitzergreifend umfasst, während Maarten van Heemskerck 1550 Eva  in erhöhter Position gegenüber Adam als Trägerin einer Bühnen-Rolle zeigt. Die Zuschauer sind zu Voyeuren geworden. Mit Tintoretto beginnen dann schon die Paradieslandschaften, in “Sündenfall“ (1551/52) wendet sich Eva, den Baum der Erkenntnis umgreifend, verführerisch Adam zu, der sich – stellvertretend für den Betrachter – ihr widmet. Allmählich verblasst die Dominanz Adams im Bild, stattdessen tritt Eva als Ziel erotisch-sexueller Wünsche ins Zentrum.

Ab der Wende zum 17. Jahrhundert sind viele Adam-und-Eva-Darstellungen Landschaftsbilder, in denen man das Paar dann schon suchen muss (Poussin, „Le Printemps“, etwa 1660/64). Jan Brueghels und Peter Paul Rubens‘ „Paradieslandschaft mit Sündenfall“ (um 1616): Evas nach oben gestreckter Arm ergreift den Apfel, den ihr die Schlange reicht, und gibt ihn an Adam weiter. Die Landschaft ist nicht mehr nur Hintergrund, sondern wird – reich ausgestattet – Hauptdarsteller. Eva hat nun – nach Thea Gaillieux – ganz die Initiative ergriffen, während Adam untätig wirkt. Adam sitzt, Eva steht. Er ist am „Sündenfall“ kaum noch beteiligt, er besitzt das männliche Privileg des Nehmenden, während ihr als Frau die Rolle der Gebenden – sie ist es, die Adam „versorgt“ – zugeteilt wird, auf der sie dann aber auch festgelegt bleibt. Anders ist es allerdings bei Rembrandt, der 1638 in einer Radierung Adam und Eva im Paradies darstellt. Hier hindert Adam Eva daran, dass sie den Apfel zum Munde führt, doch der Betrachter weiß, dass seine Mahnung zu spät kommt. Das Paradies ist unwiederbringlich verloren.

Im Zeitalter der Aufklärung geht es bei einem solchen Bild des Sündenfalls wie dem Kupferstich (um 1730) von Georg Daniel Heumann um lehrhafte Detailgenauigkeit: Sieben verschiedene Schlangen werden dargestellt. Noch in Peter Wenzels Gemälde „Adam und Eva im irdischen Paradies“ (um 1831) haben wir es mit einem sitzenden Adam und einer ihn umsorgenden Eva – umgeben von einer Vielzahl von exotischen und heimischen Tieren – zu tun.

Im 19. und 20. Jahrhundert nimmt die Fremdheit zwischen Adam und Eva, Mann und Frau zu. „Adam und Eva“ (1886) von Hans Thoma: Eva steht mit einem Blumenstrauß (nicht mit einem Apfel) gesenkten Hauptes vor dem sitzenden, zu ihr aufblickenden Adam; doch ein Tiger im Hintergrund lässt die an sich ungezwungene Szene bedrohlich erscheinen. Munchs „Metabolismus“ (1899): Der entgegenkommenden, werbenden Haltung Evas ist die abwehrende Adams gegenübergestellt. Als „Kampf zwischen Mann und Frau, genannt Liebe“ hat Munch seinen „Lebensfries“ kommentiert, zu dem auch dieses Bild gehört. Franz von Stucks „Adam und Eva“ (1920): Eva – ihr Körper wird von einer riesigen Schlange umwunden – hält Adam verführerisch den Apfel hin; doch dieser will nicht den Apfel, er begehrt Eva. Die Eva-Figuren, seit jeher Zeichen der Ungezügeltheit, signalisieren jetzt Gefahr, „die Frau (wird) dämonisiert und zur erotischen Bezwingerin des Mannes stilisiert. Die Femme fatale ist geboren“ (Thea Caillieux).

Immer schon war die Schlange Eva zugeordnet worden. Seit dem 13. Jahrhundert gab es auch Darstellungen von Schlangen mit einem Frauenkopf. Aber dass Eva nun von einer Schlange umwunden wird, ordnet die Verfasserin John Colliers „Lilith“ (1889) und dass sie ohne Adam dargestellt wird, Franz von Stucks „Die Sünde“ (1912) zu. Die Eva-Figuren als Femmes fatales stehen in Beziehung zu den vielen Salomés und Judiths, die die Bilderwelt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufweist. Diese monströsen Frauenfiguren wirkten wie verweltlichte Andachtsbilder in einer Zeit, die ihre Wahrheiten in der ästhetischen Stilisierung zu finden suchte.

Im eigentlichen Sinne, so die Verfasserin, entsprachen die attraktiven und lockenden Frauen eigentlich einer autokratischen Männer-Sicht, der der leidende Mann gegenübergestellt ist, der sich zwar zur Frau hingezogen fühlt, das aber eigentlich gar nicht will. Eine Radierung von Max Klinger („Adam und Eva und Tod und Teufel“ aus dem Zyklus „Eine Liebe“, 1887) zeigt Adam und Eva schamgebeugt auf den Knien flehend nicht vor Gottvater, sondern vor Tod und Teufel – Klinger übernimmt hier Schopenhauers negative Sicht auf die Sexualität als Grund allen Übels.

Für Max Beckmann wurde das Verhältnis der Geschlechter zu seinem Lebensthema. Im Bild „Adam und Eva“ (1917) bietet Eva nicht den Apfel, sondern ihre rechte Brust Adam an, der abwehrend die linke Hand erhoben hat und damit an die Darstellung der Arme des Gekreuzigten bei der Kreuzabnahme erinnert. Aber wird er letztlich dem Angebot widerstehen können? Auf dem gleichnamigen Bild von 1932, das später „Mann und Frau“ genannt wurde, ist Eva liegend dem Bereich des Wachsens und Sprießens der Natur zugewiesen, während Adam, aufrechtstehend und den Blick in die Ferne gerichtet, die Vernunft, den Geist verkörpert. Eine Skulptur Beckmanns von 1936 zeigt einen von der Schlange umwundenen Adam, der schützend eine Miniatur-Eva an seiner Brust geborgen hält – sie gerät, so die Verfasserin, zur Groteske, denn von einer Neudefinition der Geschlechterrollen kann auch hier nicht gesprochen werden.

Suzanne Valadon hat sich in ihrem Adam-und-Eva-Bild von 1909 selbst dargestellt. Will Adam hier Eva den Apfel verwehren, nach dem sie greift, oder hilft er ihr beim Pflücken? Auch Hannah Höch zeigt eine innige Liebesziehung des Paares auf einem höllischen Abgrund („Adam und Eva“, 1935). Lassen die Malerinnen im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen das Liebespaar trotz feindlicher Umgebung doch zueinander finden?

Für die Auseinandersetzung der Gegenwartskunst mit dem Adam-und-Eva-Thema führt Thea Caillieux die Fotokünstlerin Brigitte Maria Mayer, die amerikanische Bildhauerin Liza Lou und den Stickkünstler Jochen Flinzer an. Sie haben alle ihre Vor-Bilder – Masaccio, Dürer, van Eyck, Rubens oder auch Jan Gossaert – gehabt. Flinzer bricht bestehende Paare auseinander und fügt sie in seinem Stickwerk wieder neu zusammen. Dass der in der Lasurtechnik der alten Meister malende Matthias Triegel in seinem Gemälde von 2003 Eva auf den Schoß von Adam setzt, ist alles andere als eine Blasphemie. Aus dem Mythos ist jetzt eine verweltlichte Liebesszene geworden. Die Blicke der Figuren sind auf den Betrachter gerichtet, holen diesen ins Bild hinein. Wie Triegel seine Bild inszeniert, zeigen auch „Adam und Eva im Paradies“ (2008), beide vor einer Mauer eingezwängt in einem trostlosen Stück Land, der Baum der Erkenntnis abgestorben, nur ein Streifen blauer Himmel ist noch vom Paradies geblieben. Der noch nicht angebissene Apfel in Adams Hand verspricht Erkenntnis und warnt zugleich davor, so die Verfasserin. Triegel setzt hier die politische Situation vor dem Mauerfall 1989 ins Bild.

Zwar kennen wir Adam und Eva meist von Bildern und Skulpturen, aber zuerst kamen sie doch in Erzählungen vor, und so sind in diesem so lesenswerten Band, der von dem Kulturwissenschaftler Thomas Knubben bevorwortet und von der Tiefenpsychologin Katinka Schweizer benachwortet wird, auszugsweise literarische und essayistische Texte eingestreut. Sie reichen von der Genesis 1 und 3, sozusagen dem Quellentext, über John Milton, Goethe, Schiller, Morgenstern, Rilke, Walter Benjamin, Rose Ausländer, Marie Luise Kaschnitz, Franz Hohler bis zu Ingo Schulze.    

Noch einmal mit Thea Caillieux gefragt: Bin ich so? Sind wir so? Das wird jeder Leser mit sich selbst ausmachen müssen. Aber dabei wird er sich wohl nicht so weit von den Einsichten und Erkenntnissen der Verfasserin  entfernen.

Titelbild

Thea Caillieux: Eva und Adam – Adam und Eva. Das erste Paar in der Kunst.
zu Klampen Verlag, Springe 2022.
223 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783866748323

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