Der Garten als Schauplatz

Ein Sammelband widmet sich der literarischen Darstellung von Gärten vom Mittelalter bis in die Neuzeit

Von Stefanie LeibetsederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Leibetseder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gärten spielen seit der Bibel eine herausgehobene Rolle in der Literatur. Dort begegnen wir dem Paradiesgarten und zugleich Schöpfungsort des ersten Menschenpaares. Die Beschäftigung hiermit lässt sich in Texten verfolgen, die vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit reichen. Dies führt uns jetzt ein Sammelband mit Beiträgen aus der Feder renommierter deutschsprachiger Mediävistinnen und Mediävisten eindrucksvoll vor Augen. Eine verbindende inhaltliche Klammer darin bildet die Garten-Heterotopie des französischen Philosophen Michel Foucault.

Der erste Beitrag von Thomas Baier führt uns auf die Insel Reichenau, deren Garten in karolingischer Zeit angelegt wurde und der seine überragende Bekanntheit durch eine lange lateinische Dichtung in Hexametern aus der Feder des Abtes Walahfrid Strabo erlangte, den sogenannten Hortulus. Darin bezog sich Walahfrid vor allem auf Vergils Georgica als literarisches Vorbild.

Urban Küster vermag im Anschluss daran anschaulich zu zeigen, dass Gärten nicht nur den Topos des sinnlich aufgeladenen und in sich abgeschlossenen locus amoenus bedienen, sondern auch als Schauplätze höfischer Intrigen in bekannten deutschen Liebesdichtungen des 13. Jahrhunderts fungieren.

Matthias Meyer knüpft thematisch daran an und bezieht sich anhand von Beispielen aus der mittelhochdeutschen und frühhochdeutschen Literatur vor allem auf den (Apfel)Baum im Obstgarten als zentralen Topos und Bestandteil des paradiesischen locus amoenus. Er gibt sich nach der Vertreibung aus dem Paradies jedoch auch als locus terribilis zu erkennen.

Auch orientalische Gärten werden in Versdichtungen des Mittelalters rezipiert, wie Cora Dietl am Beispiel des Jüngeren Titurel von Albrecht verdeutlicht. Hierbei nimmt sie den Garten des Securier in den Blick. Aus seiner Beschreibung wird deutlich, dass er in seiner kostbaren Ausgestaltung das Himmlische Jerusalem rezipiert. Auch die Wahl seiner Pflanzen stellt biblische Bezüge her, während die Gebäude hingegen als Referenzen an den Tempel Salomons verstanden werden können. Dennoch handelt es sich hier in den Worten der Autorin um ein Zerrbild des Paradieses, weil den Protagonisten die Erkenntnis ihrer eigenen irdischen Begrenztheit und die Ausrichtung auf Gott fehlen.

Valerie Kiendl wendet sich Dantes Divina Comedia zu, namentlich dem Purgatorio: In dessen letzten Kapiteln wird der Garten Eden als komplexes Verweissystem beschrieben, und zwar als Verknüpfung des irdischen Paradieses und des antiken Parnasses. Darin kommen vielfältige literarische Traditionen zusammen, insbesondere der antike Mythos und das lateinische Mittelalter sowie biblische Bezüge. Diese vielfältigen intertextuellen Verknüpfungen zeigen das Dichten in den Worten der Autorin als gärtnerische Tätigkeit, so dass letztlich beides ineinander übergeht.

Auch Martha Kleinhaus richtet ihren Blick nach Italien, und zwar auf die Schriften der Heiligen Catherina von Siena und des Dichters Francesco Petrarca. Beide hinterließen umfangreiche Briefwerke als Ego-Dokumente, die in den Worten der Autorin überraschenderweise ihr Selbst mit dem Garten und dem Beruf des Gärtners verbinden: Zum Einen Catherinas Garten als mystischer Ort und zum Anderen Petrarcas Garten als Anlass um persönliche Gartenerinnerungen mit seinen Rezipienten zu teilen und diesen zum Ort einer fiktionalen Gegenwelt umzuformen.

Im Weiteren werten Claudia Märtl und Franz Fuchs Petrarcas Gartennotizen in der Vatikanischen Bibliothek aus. Diese sind besonders deswegen interessant, weil sie seine realen Erfahrungen in der Gartenarbeit in seinem Exil in Vaucluse reflektieren. Diese stützten sich einerseits auf das bäuerliche Erfahrungswissen und andererseits auf die antiken Schriften des Vergil und das Opus agriculturae des Palladius. Besondere Aufmerksamkeit widmete er seinen Lorbeerpflanzungen einschließlich klimatischer und meteorologischer Beobachtungen, vor allem aber den Schwierigkeiten, mit denen er bei der Gartenarbeit konfrontiert war.

Patricia Oster bringt den Garten als Ort des Novellenerzählens bei Boccaccio und Marguerite de Navarre ins Spiel. Bei Giovanni Boccaccio wird er im Rahmen seines Decamerone zum erotisch aufgeladenen Paradiesgarten und im Héptameron der französischen Königin darüber hinaus zum Ort unzüchtiger Handlungen, in dem ein Prior eine Nonne im Garten eines Klosters verführen möchte und sie zugleich verleumdet derlei Handlungen mit ihrem Beichtvater im Garten begangen zu haben. Als dies nichts fruchtet, bedient er sich eines jungen Mönchs, der die Nonne sexuell bedrängt. Marguerite versucht diese Taten in der Rolle der Erzählerin im Rahmen der erzählerischen Fiktion einer gerechten Strafe zuzuführen, was in zahlreichen Brechungen kunstvoll dargestellt wird.

Raphaëlle Jung lenkt in ihrem Beitrag das Interesse auf den Garten als Ort des Närrischen und Abseitigen, denn sie schreibt über das Narrenschiff des Jehan de Drouyn von 1499. Dieser Text bezieht sich auf die gleichnamigen in Kreisen der Humanisten weit verbreiteten Moralsatiren des Sebastian Brant (1494) und Jacob Locher (1497) als Vorbild der zu dieser Zeit in Europa weit verbreiteten Narrenliteratur.

Auch bei Joachim Hamm geht es um die Ovid-Rezeption, allerdings in einem Text der Frühen Neuzeit. Er stammt von dem Würzburger Hofgärtner Johann Prokop Mayer und entstand in Zusammenarbeit mit dem Nürnberger Verleger Wolfgang Adam Winterschmidt zwischen 1776 und 1801: Die Pomona Franconia, eine französisch-deutschsprachige Abhandlung zur Obstsortenlehre und Obstbaumzucht wurde nach der römischen Göttin Pomona benannt, deren Geschichte in Ovids Metamorphosen dargestellt wird. Die Namensgebung des Obstkundebuches belegt die fortwirkende Rezeption des Pomona-Mythos in der Frühen Neuzeit. Hamm gelingt es im Folgenden zu zeigen, dass dies den Ausgangspunkt für eine Transponierung des antiken Mythos in die unterschiedlichsten inhaltlichen Kontexte bis hin zu einem Fachbuch der Obstkunde – der Pomologie – darstellt.

Dorothea Klein sieht den Garten aus einer übergreifenden poetologischen Perspektive: Sie stellt insbesondere die Bedeutung der Selbstreflexion in diesem Medium, dem der Poesie des 16. Jahrhunderts heraus. Hinzu kommt die dreifach herausgehobene Bedeutung des Gartens innerhalb der Literatur als Paradiesgarten, Garten des Hoheliedes und Garten Gethsemane mit einer Fülle an geistlichen aber auch weltlichen Auslegungen, die daran anknüpfen. Der Garten und die Poesie werden nun als grundlegende kulturelle Leistungen miteinander verbunden, die vor allem Schönheit und Fruchtbarkeit symbolisieren mit dem Ziel sich über Aspekte des eigenen dichterischen Schaffens zu verständigen.

Eckhard Leuschner weitet den Blick auf die bisherigen Überlegungen zur literarischen Rezeption des Gartens um die Dimension des Bildes, und zwar anhand eines Werkes des hortikulturellen Beraters der Barberini-Päpste, eines gelehrten Jesuiten namens Giovanni Battista Ferrari. Er ließ seine Abhandlung über Zierpflanzen mit dem Titel De Florum Cultura (1633) mit erläuternden Kupferstichen nach Vorlagen namhafter Künstler wie zum Beispiel Guido Reno, Andrea Sacchi und Pietro da Cortona versehen. Um die Aufmerksamkeit der Leser zu fesseln, fügte er als verbindende Elemente mythologische Figuren im ovidischen Stil hinzu, denen jeweils ein thematisch entsprechender Kupferstich an die Seite gestellt wurde: Im Folgenden wird dargelegt wie ein Kupferstich mit anthropomorphen Elementen nach einer Vorlage Lanfrancos aufgrund mangelnder Texttreue gegen einen da Cortonas ausgetauscht wurde, der sich strenger an die Regeln klassischer Proportionen in Architektur und Figurenbesatz hielt.

Bei Gerhard Penzkofer kommen die spanischen Gärten des Goldenen Zeitalters zu ihrem Recht, sie finden ihren literarischen Niederschlag unter anderem bei Calderón: Dieser spiegelt in seinen Theaterstücken in einer für das Barock typischen Weise die Gespaltenheit der Welt, das heißt des Gartens in gut und böse, in Schluchten und tiefe Abgründe einerseits und blühende Wiesen und sprudelnde Brunnen anderseits. Wie der Autor treffend herausstellt, gilt Calderón die Kunst als alleiniges Heilmittel für diese Widersprüche.

Barbara Hunfelds Beitrag setzt thematisch mit Heinrich von Kleists berühmten Aufsatz über das Marionettentheater und seiner Vorstellung vom verlorenen Paradies ein, in dem es bekanntlich heißt, man solle „eine Reise um die Welt zu machen, um zu sehen, ob das Paradies von hinten her wieder offen ist.“ Das ist der Auftakt zu einer Betrachtung Literarischer Gärten bei Dach, Grimmelshausen, Bodmer, Goethe und Tieck „in denen Kunst und Künstlichkeit, wie die Vorstellungen von Natürlichkeit und Natur höchst ambivalent sind“.

Den Abschluss bildet Julien Bobineaus Essay. Dieser widmet sich der königlichen Menagerie in den Gärten des Schlosses Versailles und ihrer literarischen Rezeption und kann zeigen, dass diese das Interesse am Exotischen ebenso beflügelt wie befriedigt und darüber hinaus den Willen König Ludwigs XIV. nach kolonialer Beherrschung der Welt zum Ausdruck bringt.

Die Vielfalt der hier verhandelten inhaltlichen Gesichtspunkte mit dem Garten als übergeordnetem Thema schließt sich zu einem Kaleidoskop unterschiedlichster Aspekte zusammen, die ausnahmslos auf hohem reflexivem und sprachlichem Niveau behandelt werden und dennoch den roten Faden nicht missen lassen. Auch für die benachbarten Geisteswissenschaften der Kultur- und Kunstgeschichte bietet der Band vielerlei gedankliche Anregungen und Anknüpfungspunkte. Er richtet sich vornehmlich an ein interessiertes Fachpublikum, bei dem er sicher auf großes Interesse stoßen wird.

Titelbild

Julien Bobineau / Dorothea Klein / Gerhard Penzkofer: Zur Semantik des Gartens in Mittelalter und Früher Neuzeit.
Königshausen & Neumann, Würzburg 2023.
363 Seiten , 68,00 EUR.
ISBN-13: 9783826078118

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