Inzest, Mord und ein Duell mit Messer

Riku Ondas „Fische, die in Sonnensprenkeln schwimmen“ – ein japanischer Romantic Thriller

Von Lisette GebhardtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lisette Gebhardt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der japanische Titel von Riku Ondas 2007 erschienenem Original Komorebi ni oyogu sakana beschreibt die geheimnisvolle Atmosphäre eines von Bäumen gesäumten Teichs: Sonnenlicht bricht durch die Blätter und lässt das Wasser funkeln. „Geheimnis“ ist der Schlüsselbegriff für Ondas Roman. Er baut auf einem Satz ungelöster Fragen auf, in mehreren Schichten übereinander gelagert: Wird eine Schicht entschlüsselt, kommt die nächste zum Vorschein.

Der letzte Abend

Während Fische eine verwobene Rätselstruktur mit einer in das Zeitliche reichenden Dimension aufweist, zeichnet sich auf der Oberfläche des Geschehens zunächst eine sehr übersichtliche Sachlage ab: Zwei Personen, der Mann Hiro und die Frau Aki, sitzen sich in einem fast leeren Apartment gegenüber, um ihren letzten Abend zusammen zu verbringen, bevor sie getrennte Wege gehen. Erzählt wird in 26 Kapiteln abwechselnd aus der jeweiligen Perspektive.

Nach der anfänglichen Phase ungetrübter Zweisamkeit, so erfährt man, belastet mittlerweile seit einem Jahr eine ungute Atmosphäre das Zusammenleben. Misstrauen herrscht bei dem Paar sogar in dem Ausmaß, dass man sich wechselseitig des Mordes an einer dritten Person verdächtigt. Entwickelt wird die Thematik anhand eines gerahmten Fotos, das einen Wanderführer zeigt, welcher während der Tour starb. Es hält einen trügerischen Moment im Verhältnis von Hiro und Aki fest  und verweist darüber hinaus auf die Fragilität von zwischenmenschlichen Beziehungen generell.

Der unmöblierte Raum repräsentiert die Arena, in dem die Auseinandersetzung stattfindet – ein finales Duell der Partner, die sich zu kennen glaubten und vielleicht doch zu wenig voneinander wissen, ein Kampf zwischen den Geschlechtern, ein Ringen um Identität und Erinnerung. Unklar bleibt zunächst der Bezug von Hiro zu Aki. Sind die beiden Bruder und Schwester und ist der Mann auf der Fotographie, der Wanderführer, der während der Tour starb, ihr Vater? Hatte einer der Partner Schuld an seinem Tod? Wollen sich Hiro und Aki deshalb oder aufgrund von Hiros Affäre mit einer anderen Frau trennen? Sind beide froh über die am nächsten Morgen in Aussicht stehende Freiheit? Verbindet sie nicht vielmehr ein so starkes Band, dass sie sich in dieser Situation für einen Doppelselbstmord entscheiden? Oder muss ein Partner den anderen töten, um die Vergangenheit überwinden zu können? Kommt das häufig erwähnte Klappmesser also doch noch zum Einsatz?

Ein vergessenes Unglück

Im Laufe der Unterhaltung, bei der sowohl Hiro wie auch Aki ihre wahren Emotionen zu verbergen trachten, durchsucht jeder sein Gedächtnis nach Anhaltspunkten aus verdrängter Kinderzeit und zugleich nach den Schwachstellen des Gegenübers. Die Autorin Riku Onda entwirft ein Szenario tiefsitzender Konflikte und psychologischer Abgründe, angereichert mit einer tragischen Familiengeschichte, unterdrückten erotischen Ambitionen sowie Todessehnsucht. Im Zentrum stehen die Gedanken der Protagonistin und des Protagonisten, unterbrochen von Retrospektiven der vergangenen Reise mit dem Wanderführer, der von einer Klippe stürzte. Immer weiter reichen diese Rückblenden zurück, bis zum Urgrund des Geheimnisses, einem vergessenen Unglück.

Kriminalistischer Einakter, Melodrama oder Entwöhnungsdramolett?

Ondas Werk erhält in Japan das Etikett butaikei misuterȋ, d.h. Kammerspiel im Mystery-Format; 2021 war die Theaterversion des Texts in Japan sehr erfolgreich und die Originalausgabe in Prosa wurde ein beachtlicher Bestseller. Auf dem deutschen Buchmarkt würden die Fische als Romantic Thriller gelten. Der Held korrespondiert mit dem gängigen Schema: Ein Mann voll innerer Düsternis, mit dem die Heldin, ihrerseits von Tragik umweht, ein folgenschweres Bündnis auf ewig eingehen will, ein (aus weiblicher romantisierender Sicht geschilderter) melancholischer Geliebter, der um seine Defizite weiß:

Meine hässliche Seite, die sie noch nicht kennt, wird sie schwer verletzen, sie zum Weinen bringen, und ihr Leben wird am Ende ruiniert sein.

Die Frau scheint es dabei zu genießen, die von Kummer gezeichnete Heroine zu sein. Sie schwelgt in Visionen ihres „frauengemäßen“ Schicksals – als Ertrinkende im Meer der Leidenschaft:

Dass der Platz einer Frau in Wirklichkeit mitten in diesem Meer ist. Dass das Zappeln, das Ertrinken und das Schlucken des salzigen Wassers, während man gegen die Strömung ankämpft, die wahre Essenz unseres Geschlechts ist. 

Spätestens an diesen Stellen gibt sich der Text als Literatur zu erkennen, die jenseits des Kriminalistischen auf triviale Schemata setzt. Einerseits mag dies dem Zeitgeist geschuldet sein: Fische, die in Sonnensprenkeln schwimmen entstand in der ersten Dekade der 2000er, als Liebesromane mit melodramatischer Attitüde eine Renaissance erlebten. Andererseits überzeugt die Sprache der Übersetzung in diesem Fall nicht ganz – die Spannung des von der Autorin beabsichtigten Psychoduells vermittelt sich leider nur selten. Gerade bei der Wiedergabe der Dialoge und der inneren Monologe hätte es mehr Tempo, Stimmigkeit, Sprachlogik und Literarizität bedurft.

Völlig reizlos ist Ondas Entwurf trotz der im Deutschen stellenweise banal wirkenden Diktion und einer gewissen motivischen Überfrachtung (Foto, Wald, Licht, Fische, Spielplatz, Schaukel, Messer) des Geschilderten nicht: Der eigentliche Punkt der Geschichte liegt nicht in dem Mordverdacht, sondern in der Denkfigur, dass eine gelebte „Realität“ nur so lange trägt, wie man sich auf sie geeinigt hat. Verlässt man ihren engen Rahmen, steht der Raum der Möglichkeiten in seiner Vielfalt offen und eine neue Bühne kann bespielt werden.  

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Riku Onda: Fische, die in Sonnensprenkeln schwimmen. Roman.
Aus dem Japanischen von Nora Bartels.
Atrium Verlag, Berlin 2023.
256 Seiten, 22 EUR.
ISBN-13: 9783855350247

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