Eine Freundschaft im Zeichen Stefan Georges

Zum Briefwechsel von Edith Landmann und Renata von Scheliha

Von Friedrich VoitRSS-Newsfeed neuer Artikel von Friedrich Voit

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als vor einigen Jahren der Band Frauen um Stefan George erschien, wurde erstmals sichtbar, welche nicht unbedeutende Rolle Frauen in diesem männergeprägten Kreis um den Dichter Stefan George einnahmen. Die vorliegende Auswahl aus dem Briefwechsel zweier außergewöhnlicher Frauen gibt bemerkenswerte Einblicke in die mehr und mehr vergessene Welt des George-Kreises, seines Denkens, der dort kultivierten Haltung und seines Weiterlebens nach dem Tode des Dichters. Der Band enthält nur ca. ein Viertel der zwischen Edith Landmann und Renata von Scheliha in den Jahren 1934 bis 1951 gewechselten Briefe, deren Auswahl Marianne von Heereman, die lebensbegleitende Freundin Renata von Schelihas, zusammenstellte und mit einem biographischen Vorwort einleitete. Für die Publikation wurde die Auswahl nach Heeremans Tod von Christiane Kuby und Herbert Post nochmals gestrafft und mit Anmerkungen versehen, um – wie es die Editorische Notiz ausführt – die Persönlichkeiten und die Arbeitsgemeinschaft der beiden Korrespondentinnen für heutige Leser zu konturieren.

Den Anstoß zur Aufnahme ihres Briefwechsels gab Edith Landmanns (1877-1951) Streitschrift An die deutschen Juden, die zum geheimen Deutschland hielten, die sie im Sommer 1933 schrieb und im George-Kreis zirkulierte. In dieser wehrte sich Landmann vehement dagegen, dass sie als ‚Deutsche jüdischen Blutes‘ und langjährige Freundin und Folgerin Georges ihrer jüdischen Herkunft halber aus Deutschland und der georgeschen Gemeinschaft eines Geheimen Deutschlands ausgeschlossen werden sollte und mehr noch, dass Nazisympathisanten des Kreises George und seine Dichtung mit dem neuen antisemitischen Regime in Einklang zu bringen suchten. Die Streitschrift ist ein bedeutendes Dokument für das damalige Auseinanderfallen des sich elitär über die Tagespolitik erhaben dünkenden Kreises. Edith Landmann, verheiratet mit dem Volkswirtschaftler Julius Landmann, der in Basel und dann in Kiel lehrte, hatte Kunstgeschichte, Archäologie und Philosophie studiert und trat auch mit eigenen Veröffentlichungen hervor. Im Georgekreis schätzte man vor allem ihre Hommage Georgika (1920), in der sie das ‚Wesen des Dichters und seines Werkes‘ darlegte. Die viel jüngere Renata von Scheliha (1901-1967) war adeliger Herkunft und wuchs auf einem schlesischen Rittergut auf. Bereits als Schülerin lernte sie die Dichtung Georges kennen. Nach ihrem Studium der klassischen Philologie und Archäologie kam sie in Berlin mit einigen dem Georgekreis Nahestehenden in Kontakt, so dem Philosophen Kurt Hildebrandt und dem Historiker Berthold Vallentin, bei dessen Beerdigung 1933 sie dann auch Edith Landmann kennenlernte. Mit dem Beginn der Naziherrschaft gab sie auf Grund ihrer strikt antinationalsozialistischen Haltung den Plan einer Universitätslaufbahn auf und verfolgte ihre Forschungsinteressen als Privatgelehrte. 1934 erschien ihre Studie zu Dion. Die Platonische Staatsgründung in Sizilien. In Berlin, wo sie in enger Beziehung zu ihrem gleichgesinnten Freundinnenkreis lebte, verdiente sie sich mit Führungen und Vorträgen in Museen und mit Abendkursen an der Lessing-Hochschule, einer Einrichtung der Erwachsenenbildung, ein bescheidenes Auskommen.

Als sie sich anlässlich des ersten Jahrestages von Vallentins Tod an Edith Landmann wandte, stellt sie sich nachdrücklich hinter Landmann und ihre Streitschrift. Ihre Korrespondenz und die gelegentlichen Begegnungen entwickeln sich bald zu einer intensiven Zusammenarbeit an jeweils eigenen und gemeinsamen Projekten, wobei ihre Interessen am griechischen Altertum im Vordergrund standen. Für von Scheliha, die George nicht mehr persönlich kenngelernt hatte, wird Landmann nicht zuletzt auf Grund ihrer langjährigen Beziehung zu George, zu einer Orientierungsfigur ohne Verzicht auf ihre intellektuelle Eigenständigkeit.

Ein erstes Projekt zur Bedeutung und Rolle von Frauen in der Antike trat jedoch schon bald zugunsten anderer Arbeiten in den Hintergrund: Landmann stellte 1934 die wichtige Dokumentation ihrer über zwanzig Jahren geführten Gespräche mit Stefan George zusammen, die sie nach weiterer Redaktion ab 1942 in einigen wenigen Exemplaren Vertrauten zugänglich machte. Publiziert wurden sie erst posthum 1963. Sie wandte sich dann ihrer Studie Über das Schöne zu, eine von George und dessen Dichtung ausgehende Ästhetik des Schönen, die ebenfalls erst posthum 1952 als Die Lehre vom Schönen erschien. Von Scheliha, die treibende Kraft in dieser Zusammenarbeit, begann auf Anregung von Ernst Morwitz ihre Untersuchung, die sie 1943 in Basel herausbringen konnte, zur Gestalt des Patroklos (1943) in Homers Ilias. Gemeinsam bereiteten sie eine Darstellung von George und die Griechen sowie George als Denker vor, die sie aber nicht abschließen konnten und die  erst nach dem Tode Landmanns in Teilen gedruckt wurde. Beide lasen die antiken Texte in den Originalsprachen und das Vorlesen griechischer und römischer Dichtung im Freundinnenkreis gehörte zur gepflegten Unterhaltungspraxis. Die tätige Beschäftigung mit Kultur und Literatur der Antike war getragen von einem konservativen Standes- und Elitebewusstsein, mit dem sich gegen die zeitgenössischen politischen und kulturellen Bewegungen abgrenzten.  Dies mag auch das heute befremde Element in diesem Briefwechsel erklären: trotz aller Nähe, die sich zwischen den beiden Korrespondenten spürbar entwickelte, wahrten beide immer die distanzwahrende Anrede in der dritten Person.

Nach dem Novemberpogrom 1938 drängte Renata von Scheliha die als Jüdin gefährdete Edit Landmann, die damals in Berlin lebte, in die Schweiz auszuwandern, wo sie die Staatsbürgerschaft besaß. Wenig später forderte dann Landmann von Scheliha auf, zusammen mit ihrer Freundin Marianne von Heereman zu ihr nach Basel zu kommen, wo man dann knapp neun Jahre lang ein gemeinsames Leben führte. Für die Emigranten war es nicht einfach, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, da  ihnen eine regelmäßige Arbeit nicht erlaubt war und sie etwa auf gelegentliche Vorträge oder private Arbeiten angewiesen blieben.

Kurz nach Kriegsende kamen Landmann und von Scheliha in Kontakt mit dem Dichter Karl Wolfskehl, einem der frühesten Freunde und rückhaltloser Anhänger Georges, der seit 1938 im Exil in Neuseeland lebte. Landmann, deren Streitschrift Wolfskehl einst kritisierte und dessen Gedichte Die Stimme spricht Landmann beim Erscheinen 1934 als Verrat an George empfand, kondolierte Wolfskehl zum Tod seiner in Deutschland gebliebenen Frau und berichtete ihm über ihre und von Schelihas Arbeiten. Sehr interessiert und ohne ein Wort zu den früheren Differenzen, bat Wolfskehl um Einsicht in vorliegende Veröffentlichungen und Fassungen und bot seine Mitarbeit an. Rasch entwickelte sich ein anregender Briefwechsel. Er selbst schickte Neuentstandenes, so das Gedicht An die Deutschen und erste Teile aus dem Zyklus Mittelmeer. Wolfskehl war beeindruckt von von Schelihas Patroklos und von Scheliha setzte sich energisch für den Druck von Wolfskehl großem Gedicht ein, zu dem Landmann einen werbenden Einführungstext schrieb. Auf eine Rückkehr des Dichters hoffend halfen beide bei der Vorbereitung des Drucks von Wolfkehls Sang aus dem Exil, der posthum 1950 erschien. Diese Gedichte leiteten Wolfskehl Rückkehr in die deutsche Literatur aus dem Exil ein, die ihm persönlich nicht mehr beschieden war. Er starb 1948 in Neuseeland.

1948 emigrierten Renata von Scheliha und Marianne von Heereman in die USA und ließen sich in New York nieder. Von Scheliha trat in engen Kontakt zu bereits dorthin Emigrierten aus dem Umfeld des Georgekreises, besonders zu Ernst Morwitz und ihrer Freundin, der Lyrikerin und Klassischen Philologin Vera Landmann. Morwitz veröffentlichte damals seine Übersetzung (zusammen mit Olga Marx) der Dichtung Stefan Georges, mit der man „die notwendige Hinüberrettung dieses Schatzes der Menschheit aus dem deutschen in den angelsächsischen Kulturkreis“ (166) erhoffte. Nach einer Ausbildung zur Bibliothekarin war von Scheliha an verschiedenen Bibliotheken tätig. Lange arbeite sie an ihrer Studie Vom Wettkampf der Dichter: Der musische Agon bei den Griechen, die sie aber nicht mehr abschließen konnte und von der Teile erst 1987 aus dem Nachlass publiziert wurden.

Der Briefwechsel lässt auch die verdeckten Auseinandersetzungen und Animositäten nach dem Krieg erkennen, die entstanden, als sich besonders Robert Boehringer und Edgar Salin bemühten, Spannungen zwischen Nazigegnern und ehemaligen Sympathisanten aus dem einstigen Georgekreis auszusöhnen, doch Edit Landmann und Renata von Scheliha wie auch Ernst Morwitz blieben hier kompromisslos und setzte eher auf den Kreis, der sich noch während des Krieges in Holland um Wolfgang Frommel gebildet hatte und wo man sich in der Zeitschrift Castrum Peregrini mit neuen Impulsen der Dichtung Georges und seiner Utopie des ‚Schönen Lebens‘ widmete.  

Bis über die letzte Begegnung hinaus bei Edith Landmanns Besuch in den USA im Herbst und Frühjahr 1950/1 blieben für Landmann wie für von Scheliha die „Welt der Dichtung und der Griechen“ (391) und „die immer neue Frage, was wir noch tun können für des Meisters Ruhm“ (355), das Zentrum ihres Denkens und Handelns. Dabei machte sie auch ihre eigene Skepsis gegenüber der Moderne, der Dominanz neuer Technologien und der Chancen des Weiterlebens ihrer Ideale in der Zukunft nicht wanken.

Man kann den Verfassern der Editorischer Notiz durchaus beipflichten, wenn sie bemerken, dass mancher Gedanke, manche Ansichten wie das Übermaß der Wertschätzung der Dichtung Stefan Georges oder des antiken Kulturerbes heutigen Lesern fremd geworden sind und „bisweilen Kopfschütteln verursach[en]“, aber durch die intellektuelle Höhe des Austausches und der  fundierten Kenntnisse eben auch „zu eigenem Nachdenken anregen“ können (434). Hierin liegt nicht zuletzt eine keineswegs geringzuschätzende Qualität dieses Briefwechsels.

Titelbild

Edith Landmann / Renata von Scheliha: Eine Freundschaft im Zeichen Stefan Georges. Briefe aus den Jahren 1934–1951.
Hg. von Marianne von Heereman in Zusammenarbeit mit Christiane Kuby und Herbert Post.
Hentrich & Hentrich Verlag, Leipzig 2022.
444 Seiten, 39,00 EUR.
ISBN-13: 9783955655594

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