Etwas Nervöses über den Ruhrstädten

Ralph Hammerthalers Romane „Die fünfte Nacht“ und „Kurzer Roman über Hooligan Til“ untersuchen gesellschaftliche Spaltungsmomente im Ruhrgebiet

Von Werner JungRSS-Newsfeed neuer Artikel von Werner Jung

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gleich zu Beginn seines Romans Die fünfte Nacht lässt Ralph Hammerthaler, der mit einem Stipendium als „Straßenschreiber“ in Oberhausen gelebt und gearbeitet hat, einen seiner Protagonisten, den in der Ich-Form erzählenden Straßenbahnfahrer Paul, über die aktuelle Atmosphäre in den Ruhrstädten folgendermaßen sinnieren: „In den Städten spürte ich etwas Nervöses, das ich von früher nicht kannte. Nicht nur in Duisburg und Oberhausen, in den Revierstädten überhaupt. Bestimmt war es früher auch nicht ruhig gewesen, aber seit einiger Zeit lag eine knisternde Spannung in der Luft, an der ich mich, weil nicht allzu mutig, nicht entzünden wollte.“ Man könnte diese Passage leitmotivisch verstehen, denn es geht Hammerthaler nicht zuletzt darum, die Stimmungslage und die Befindlichkeiten in den benachbarten Städten Duisburg und Oberhausen, ein teilweise explosives Gemisch aus Anpassung und Resignation, aber auch Enttäuschung und Wut, erzählerisch zu bewältigen.

Neben Paul, der gleich nach dem Abitur bei der Duisburger Verkehrsgesellschaft eine Ausbildung zum Straßenbahnfahrer gemacht hat und inzwischen seit 25 Jahren passioniert die Trambahn von Duisburg nach Oberhausen und Mülheim chauffiert, mit besonderer Vorliebe nächtens, agieren eine Reihe weiterer Figuren, wie die verfeindeten Brüder Yann und Wolle, die den linken Blogger und Antifaschisten einerseits, andererseits den (neu-)rechten Randalierer und Krawallbruder repräsentieren, oder das mit Paul befreundete polnische Ehepaar sowie kurdische Freunde und PKK-Anhänger, außerdem alte und jüngere Kollegen oder die aus besseren Kreisen stammende junge Studentin. Paul hat sich auf einer seiner Fahrten in die Studentin Séverine verliebt, ist außerdem von zu Hause ausgezogen und wird wieder und wieder von Ängsten und Tagträumen heimgesucht – von der Vorstellung, dass das über Schächten und gefluteten Stollengängen errichtete Ruhrgebiet irgendwann untergeht und versinkt. Seine Furcht ist tatsächlich, aber auch metaphorisch als Sinnbild der gesellschaftlichen Spaltung zu verstehen: So unübersehbar überall Grubenschäden auftreten, so auffällig angespannt ist das soziale und gesellschaftliche Leben, für das im Roman die gegenwärtige Situation Duisburgs mit einer enorm hohen Anzahl osteuropäischer Wirtschaftsflüchtlinge steht. Dadurch sei der soziale Frieden arg strapaziert worden, orakelt der japanisch-amerikanisch-stämmige (sic!) rechte Chefideologe und Demagoge Maruyama, und die Behörden schauen geflissentlich darüber hinweg. So gibt es dann Demonstrationen und Gegendemonstrationen, kommt es zu Gewaltexzessen; ein irregeleiteter Rassist rast mit seinem Transporter in eine Shisha-Bar und wird anschließend vom Mob auf der Straße ermordet.

Was man diesem überaus aktuellen „Zeitroman“ ankreiden kann, ist weniger der Umgang mit Revierstereotypen und Klischees – das mag der Herkunft Hammerthalers aus Wasserburg am Inn geschuldet sein – als vielmehr das ambitionierte Bemühen, möglichst viele (oder alle) Problematiken und heißen Eisen anzupacken, was auf die Dauer des Romans dahin führt (und zwangsläufig wohl führen muss), dass sich reportagehafte Züge, ganz auf der Linie Günther Wallraffs und der Literatur der frühen 70er Jahre, vor die Narration drängen und dadurch mehr und mehr den Tonfall bestimmen. Dass am Ende außerdem eine utopisch anmutende Vision aufscheint – die Gründung eines Ältestenrates, der neurechtes Denken in Gestalt jenes Maruyama mit paternalistisch-patriarchalem Denken türkischer Einwanderer aus der ersten Generation zusammenbringen und somit gesellschaftliche Probleme regeln soll –, lässt den Roman zwar nicht abstürzen, aber doch mit erheblichen Fragezeichen versehen.

Die Vorbehalte gegenüber Hammerthalers Die fünfte Nacht von 2021 ließen sich auch an einigen Stellen gegenüber seinem im letzten Jahr erschienenen Roman Kurzer Roman über Hooligan Til erheben, wiewohl dieser Text – seiner Kürze sei Dank – konzentrierter ein spezifisches Milieu in den Blick nimmt und auf größere Panoramatik verzichtet.

Hammerthaler erzählt die Geschichte des (ein wenig aus der Zeit gefallenen und deshalb anachronistisch wirkenden) Hooligans Til, der – im Grunde ein kleinbürgerlicher Spießer – einer geregelten Arbeit in einem Logistikcenter nachgeht, auf eine zweifelhafte Karriere als Türsteher vor Diskotheken zurückblickt und sich als leidenschaftlicher MSV-Duisburg-Anhänger mit seinen Hooligan-Freunden seine Kicks in Kämpfen mit Hooligans anderer Fußballvereine holt: „Das Gefühl nach einem gewonnenen Match, die Euphorie, hielt Til für unbeschreiblich, mit nichts zu vergleichen, keiner Droge, keinem Sex. Ein ungebremster Ausstoß von Adrenalin.“ Bis – ja, bis er sich nach einer fürchterlichen Messerattacke, die ihn nur knapp überleben lässt, wieder ins geordnete kleinbürgerliche Leben einspurt, seine neue Freundin Silja heiratet und … wir wissen es nicht, offenes Ende. Und das ist auch gut so. In Pro- und Analepsen schildert Hammerthaler eine kurze Zeitspanne aus dem Leben Tils und einer inzwischen in die Jahre gekommenen Szene, die mit alternativen Ultra-Gruppen nichts zu tun haben will, aber nach Rechtsaußen hin mindestens offene Flanken aufweist. Bei Gesprächen unter den MSV-Hooligans klingt es dann so:

Die meisten, denk ich, sind keine Nazis, aber denen geht’s um die Struktur, dieses Militärische. Darum heißen ja auch voll viele Gruppierungen Brigade oder Division oder Standarte, wegen der Härte und dem Militärischen. Darauf kommts an.

Im Unterschied zu Hammerthalers früherem Roman verzichtet dieser Kurzroman wohltuend auf Deutungen und Erklärungen, um sich ganz auf ein bestimmtes Milieu zu konzentrieren, was ihm auch durchaus gelungen ist – sieht man einmal von der nicht immer zutreffenden Verwendung des Ruhr-Regiolekts ab.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Ralph Hammerthaler: Die fünfte Nacht. Roman.
Quintus-Verlag, Berlin 2021.
304 Seiten, 24 EUR.
ISBN-13: 9783969820117

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Titelbild

Ralph Hammerthaler: Kurzer Roman über Hooligan Til.
Quintus-Verlag, Berlin 2022.
120 Seiten, 20 EUR.
ISBN-13: 9783969820506

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