Wieland Schwanebeck wandelt auf den Spuren von Loriot

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Herbst 2023 hätte Loriot seinen 100. Geburtstag begangen. Die bevorstehenden Feierlichkeiten beflügeln publizistische Aktivitäten rund um den Ausnahmehumoristen, zu dem bereits eine Reihe wissenschaftlicher Sammelbände und Aufsätze vorliegen, die das Duell der ‚Herren im Bad‘ oder den ‚Bettenkauf‘ unter anderem aus kommunikations- und sprachwissenschaftlicher Sichtweise deuten.

Im Rahmen der Reclam-Buchreihe „100 Seiten“, die mit mehreren Neuerscheinungen pro Jahr diverse geschichtliche Ereignisse, bedeutende Personen des Zeitgeschehens und Phänomene der Popkultur vorstellt, erfährt nun auch der Schöpfer des Knollennasenmännchens, der Familie Hoppenstedt und des dadaistischen Lyrikklassikers „Melusine“ („Kraweel! Kraweel!“) eine Würdigung. Wieland Schwanebeck, der für die Reihe bereits einen Band über das James-Bond-Phänomen beigesteuert hat, schildert in sechs Kapiteln nicht nur den Werdegang des Vicco von Bülow, sondern diskutiert auch das preußische Erbe von Loriot, seinen Stellenwert in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte und die zahlreichen Spuren, die Freiherr von Knigge bei Loriot hinterlassen hat. Kurze Schlaglichter werden auch auf das ewige Loriot-Thema des Geschlechterkriegs, sein Engagement für die klassische Musik und die erfolgreiche Zusammenarbeit mit Evelyn Hamann geworfen.

Die Annäherung an Loriots Sketche, Filme und Bilder wird zu einer Art (Selbst-)Befragung der Bundesrepublik: Wie nötig hatte die mehr schlecht als recht entnazifizierte BRD seit den 1950er-Jahren die ganz und gar nicht harmlosen Satiren eines überzeugten Preußen? Warum haben die Eliten versucht, Loriot als exklusiv einen der ihren zu vereinnahmen, und wie widersetzt sich Loriots Werk dieser Vereinnahmung? Und wie kommt es, dass einer, der zwar Richard Wagner verehrte und lebenslang vom 19. Jahrhundert träumte, zugleich so fabelhaft das Establishment persiflieren konnte und bis heute parteiübergreifend verehrt, geliebt und zitiert wird?

Abgerundet wird das Buch von zahlreichen Infografiken, die zum Markenzeichen der „100 Seiten“-Reihe gehören. Sie befassen sich unter anderem mit dem lückenlosen Stammbaum der Familie Hoppenstedt sowie ein paar denkwürdigen Zahlenspielen rund um Loriots Sketche.

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Titelbild

Wieland Schwanebeck: Loriot. 100 Seiten.
Reclam Verlag, Stuttgart 2023.
100 Seiten , 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783150207017

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