Am Publikum vorbei?

Kai Sina erinnert an die Zeitschrift „TransAtlantik“ und ihre Gründer Hans Magnus Enzensberger und Gaston Salvatore – heraus kommt eine Geschichte des Scheiterns auf hohem Niveau.

Von Nora EckertRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nora Eckert

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer erinnert sich eigentlich noch an „TransAtlantik“? Die Frage kam mir neulich, als ich vor dem überfüllten Bücherregal mit dem Gedanken stand, was davon aussortiert werden könne. Ich sah dabei auf zwei dicke Bände in Preußisch-Blau, darin eingebunden die ersten beiden Jahrgänge der hier genannten Zeitschrift. Ja, wer kennt die noch? Schon kurz danach lag, wie der Zufall es wollte, Kai Sinas Abhandlung zur Rezension auf dem Tisch, die mir unversehens die Frage beantwortete. Ja, die kennt noch jemand, der dazu auch die Geschichte als Teil einer „Zweiten Münchner Moderne“ zu erzählen weiß, wie hochfliegende Pläne nicht nur an der Realität scheitern, sondern wohl auch an erzieherischem Übereifer und an einer gewissen, nicht zu leugnenden Überheblichkeit, wie sie Geistesmenschen eben manchmal pflegen.

Aber „TransAtlantik“ kennen noch mehr, wie mir ein mit „Luxus und Literatur“ betitelter Bericht in der Süddeutschen Zeitung zu verstehen gab. Berichtet wird darin von einer Gedenkveranstaltung vom Anfang des Jahres in München, stattgefunden in Schumann’s Bar. Versammelt waren Wegbegleiter, die sich daran erinnerten, wie Hans Magnus Enzensberger „den Deutschen Hedonismus und Kultur beibringen wollte“ – und mit Blick auf seine Vorstellungen davon offenbar nicht allzu erfolgreich. Aber nun würde ich bei Enzensberger nicht als erstes an Hedonismus denken (eher als Missverständnis) und auch nicht, wenn ich heute in seiner Zeitschrift blättere.

Kulturzeitschriften sind wohl in besonderer Weise Zeitgeistprodukte, die intellektuelle Moden und Mentalitäten bedienen und aus ihnen geboren werden – offen dabei, ob sie ihrer Zeit voraus sind oder eher hinterherlaufen. Sie bilden sich im günstigsten Fall ihr Publikum und werden ebenso durch ihr Publikum und dessen Erwartungen geformt, inhaltlich wie ästhetisch, mit welchen Abhängigkeiten auf der einen wie der anderen Seite auch immer. Am Ende sind es die Verkaufszahlen als Barometer des Erfolgs oder des Scheiterns.

Am Anfang von „TransAtlantik“ gab es ein 29 Seiten umfassendes Konzeptpapier, das nur so von Ideen überschäumt und dem Wahlspruch folgt, nach oben hin sei immer noch Platz. Themen sowie eine (Wunsch-)Autor*innen-Liste beeindrucken und stehen offenkundig für ein „Think Big“. Aber wie das mit Ideen so ist, kommen manche zu früh, andere zu spät, um so oder so den Erfolg zu verpassen. Erfolgsrezepte werden erst hinterher erkannt, sonst gäbe es wohl keine Misserfolge. Selbst für den Kopierversuch einer bereits erfolgreichen Idee gibt es keine Garantie auf richtige Kalkulation. Hans Magnus Enzensberger und Gaston Salvatore, beide freundschaftlich verbunden seit den späten, protestbewegten 1960er Jahren und damit ähnlich politisch sozialisiert, wollten mit ihrer Zeitschriften-Idee die intellektuelle Ikone „The New Yorker“ für Deutschland kreieren und bestimmten mit dem Titel „TransAtlantik“ unmissverständlich die Denkrichtung des Projekts – Go West!

Kai Sina verfolgt mit seiner Abhandlung vor allem zwei Ziele: Zum einen porträtiert er die Zeitschrift unter der Ägide von Enzensberger und Salvatore. Das ist die Zeit zwischen Oktober 1980 und Dezember 1982, in der die beiden verantwortlich für den Inhalt der bis dahin monatlich erschienenen 29 Hefte sind. Die Zeitschrift wird es noch einige Jahre weiter mit einer veränderten Redaktion geben, die in der Abhandlung aber keine Rolle mehr spielen. Zum anderen will Sina „im Zuge des Porträtierens […] die distinkten Orte der Zeitschrift innerhalb der bundesrepublikanischen Ideengeschichte nach 1945 möglichst genau bestimmen“.

Herausgekommen ist ein handliches, gut lesbares Buch, das seine Ziele erreicht. Den beiden Herausgebern sind zwei Charakterporträts gewidmet, die die sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten nahebringen inklusive deren Schwächen (zuweilen auch für das Dandyhafte). Ebenso kommt das Anekdotische zu seinem Recht, erhellend sind diese Petitessen aus dem Intellektuellen-Alltag allemal. Doch Sina schaut und hört dabei zugleich in die Gesellschaft hinein, referiert ihre damaligen Diskurse und konturiert ihre kulturellen Horizonte.

Am Anfang stand ein gesellschaftlicher Wandel, so der Befund, der die Kultur der 80er Jahre im Rückblick liberaler erscheinen lässt – entgegen den Befürchtungen zu Beginn von Helmut Kohls Kanzlerschaft unter der hochtrabenden Parole einer geistig-moralischen Erneuerung. Enzensberger und Salvatore gingen von der Überlegung aus, Deutschland als Nation der Aufsteiger suche eine kulturelle Identität und habe die Provinzialität überwunden. Die Zeit sei nun reif für „eine großstädtische, intelligente Publikumszeitschrift“, tönte es im Konzeptpapier. Eine Fehlkalkulation, denn „TransAtlantik“ bot offenkundig nicht das, was ein breiteres Publikum lesen wollte. Fehlkalkuliert war sicherlich auch, der „mündige Leser“ wolle nicht abgeholt werden. Die Herausgeber nannten das Überkuratierung und erstellten aus ihrer Abneigung dagegen ein Programm, das am Ende über seine eigene Exklusivität stolperte.

Im Inhaltsverzeichnis spiegeln sich die thematischen und literarischen Vorlieben der Herausgeber wider, die durchweg zeitkritisch und von kulturmissionarischem Geist sind. Wo Enzensberger und Salvatore jedoch von den Vorbildern sprechen, klingt das irritierend „schöngeistig“, denn da beriefen sich die beiden allen Ernstes auf Swift, Diderot und Balzac. Deren literarischer Rang ist nicht zu bezweifeln, aber worin genau hätte ihr Vorbildcharakter für das Jahr 1980 bestanden? Denn der Sinn für Satire, Aufklärung und für die Physiologien des Alltags (Balzacs Spezialität) musste ja keineswegs erst ausgegraben werden. Vor allem aber sollte die Zeitschrift nicht bunt sein, nicht poppig und aufgeplustert. Das einzig Bunte waren die Anzeigen, deren Wechselwirkung mit den Texten und Themen Kai Sina an einigen Beispielen zu analysieren versucht. Man wolle „Lektüre-Zeitschrift“ sein und blieb optisch eher spartanisch, obschon bei aller Dezenz sehr originell und nicht ohne Witz. Aber die Trennung von Sinn und Sinnlichkeit schien dem Publikum wohl zu missfallen.

Offene Kritik kam vor allem von Links: dass das Geld für die Zeitschrift von Heinz van Nouhuys kam, der journalistisch in der Boulevard-Presse zuhause war und unter anderem mit dem Playboy-Imitat „Lui“ Geld verdiente. Enzensberger focht das nicht an und beantwortete die Frage, ob es ihm egal sei, woher das Geld komme, so: Ein Projekt wie „TransAtlantik“ brauche einen risikobereiten Verleger, der Outsider sei und sich redaktionell nicht einmische. Nouhuys sei ein solcher Verleger.

Hermann L. Gremliza nannte in „Konkret“ Salvatore und Enzensberger „Verräter an der reinen linken Lehre“. Auch die „Zeit“ und der „Stern“ argumentierten mit moralischer Diskreditierung. Ein wenig anders sah das der „Spiegel“ mit einem dennoch gemischten Resümee unter dem Titel „Abschied von der Empörung“. Die Zeitschrift wurde mit einem Salon verglichen, „in dem nichts mehr wichtig, aber alles interessant ist“. Enzensberger avancierte so zum „Dandy der westdeutschen Linken“, für den es wohl eigene Regeln gebe. Sina bemerkt dazu: Enzensberger „wolle zwar den Intellektuellen in seiner hegemonialen Deutungs- und Erklärungsfunktion verabschieden, ohne sich dabei jedoch selbst mit einzubeziehen“. Und er scheitere so an seinen eigenen Ansprüchen, nur besser, wie Sina meint, weil er sich der Paradoxie bewusst gewesen sei. Ob das wirklich für Enzensberger spricht, wage ich allerdings zu bezweifeln. Für ihn spricht indes, wie ich meine, seine Position, die Sina mit „Abschied vom Prinzipiellen“ charakterisiert und das Ende der Dogmatik signalisiert.

Aufbruch und Neuanfang sind am überzeugendsten an einer beeindruckenden Autor*innen-Liste ablesbar, darunter Namen wie Wilhelm Genazino, Martin Mosebach und Rainald Goetz – immerhin drei Büchner-Preisträger. Sinas Resümee lautet:

TransAtlantik sollte die Westdeutschen dahingehend schulen, dass sie Enzensberger ähnlich wurden, weltläufig, ironisch, zivilisiert, urban. Das Problem in der Redaktion war nur, dass hier ausschließlich Enzensberger wie Enzensberger war und sich entsprechend verhalten konnte.

Letzteres lässt sich sehr schön in Michael Rutschkys „Mitgeschrieben. Die Sensationen des Gewöhnlichen“ nachlesen. Rutschky war damals Redakteur von „TransAtlantik“ und gibt lauter ziemlich launige Einblicke aus der Nahsicht.

Titelbild

Kai Sina: TransAtlantik. Hans Magnus Enzensberger, Gaston Salvatore und ihre Zeitschrift für das westliche Deutschland.
Wallstein Verlag, Göttingen 2022.
220 Seiten , 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783835351257

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