Massengeschmack und Hochkultur
Ein Gespräch mit Andreas Ammer, dem Regisseur der ARD-Sendung „Druckfrisch“, über Literaturvermittlung im Fernsehen
Von Jonas Heß
Seit nunmehr 20 Jahren ist die Literatursendung Druckfrisch in der ARD fester Bestandteil des öffentlichen-rechtlichen Kulturprogramms. Andreas Ammer, der die Sendung seit ihrem Beginn gemeinsam mit Denis Scheck produziert, hat mit literaturkritik.de über die Produktion der Sendung und über die gegenwärtigen und künftigen Herausforderungen einer Literatursendung im Fernsehen gesprochen.
literaturkritik.de: Druckfrisch ist für eine Literatursendung ja relativ aufwendig und, ich nehme an, auch kostspielig produziert. Sie reisen für die Interviews mit Autor:innen viel und achten auch auf eine abwechslungsreiche und innovative Präsentation. Wie lange dauert die Produktion einer Ausgabe von Druckfrisch?
Ammer: Wir produzieren sehr schnell und wir reisen mit einem sehr kleinen Team. Man denkt oft, das Reisen sei das Teure, aber tatsächlich ist es das Personal. Wir drehen mit einem Kameramann, einem Assistenten, einem Moderator und einem Regisseur. Quasi jeder von uns bedient auch eine Kamera, während bei anderen Sendungen schon mal ein Dutzend Personen als Team herumstehen. Vor Ort versuchen wir, sehr konzentriert zu produzieren. Das heißt, wenn wir einmal reisen, drehen wir quasi rund um die Uhr. Das an einem Ort gesammelte Material ist in der Regel für verschiedene Sendungen bestimmt. So kommen wir – abgesehen vom Dreh der Bestsellerliste – meist mit ein bis zwei Drehtagen pro Sendung aus.
Worauf achten Sie bei der Produktion?
Mir ist es wichtig, dass die Sendung in der Welt spielt. Denn auch die Literatur spielt in der Welt. Deshalb will ich auch die Welt zeigen. Das Ganze soll auch ein bisschen wie ein Reisemagazin sein und zeigen, dass Literatur etwas Großes ist und nicht etwas Kleines, das in einem kleinen schwarzen Studio spielt. Deshalb drehen wir auch, wenn es irgendwie geht, nicht im Arbeitszimmer der Schriftsteller. Wir drehen draußen auf Straßen, auf Bergen, wir drehen in Riesenrädern oder in Höhlen. Es soll klarwerden, dass sich das Wort, die Literatur, auch gegen solch starke Hintergründe behaupten kann. Da hört man dann eben auch, dass hinten Autos vorbeifahren – oder, wie gerade jetzt, hier bei unserem Interview, draußen jemand mit der Kettensäge arbeitet. Wir würden da weiterarbeiten. Störgeräusche gehören zur Welt.
Wie wählen Sie die zu besprechenden Titel aus?
Das läuft wie in wahrscheinlich allen großen Redaktionen ab. Wir, also Denis Scheck und ich, treffen uns als Realisatoren mit der Redaktion. Alle haben die Programme gewälzt und jeder macht Vorschläge. Dann wird gemeinsam das Programm für das nächste halbe Jahr erstellt. Dabei achten wir unter anderem darauf, genauso viele Frauen wie Männer vertreten zu haben. Sklavisch halten wir uns daran aber nicht. Wir hatten einmal ein halbes Jahr nur Frauen in der Sendung, das ist aber komischerweise niemanden aufgefallen.
Wie groß ist das redaktionelle Team, wie viele Personen sind an der inhaltlichen Gestaltung beteiligt?
Bei Druckfrisch haben wir den seltenen Fall einer ARD-Gemeinschaftsproduktion. Aus juristischen Gründen steht zwar immer nur ein Sender im Abspann, aber hinter der Sendung stehen stets vier Sendeanstalten. Das bedeutet, dass wir mit vier Redakteuren alles Inhaltliche besprechen. Wir überlegen gemeinsam, welche Titel und Autoren in welche Sendung kommen. Und am Ende wird alles zusammen bezahlt.
Das hört sich nach spannenden Sitzungen an…
Das Ganze läuft eigentlich recht freundschaftlich ab, weil wir uns nur zweimal im Jahr in der großen Runde besprechen. Außerdem muss man sagen, dass viele Punkte von vornherein relativ klar sind. Wir haben zudem alle eine große Freude daran, gerade auch Autoren zu nehmen, die nicht so fernsehaffin sind. Es ist uns oft wichtiger, auch die etwas ausgefalleneren Typen im Interview zu haben als einen Schauspieler, der gerade seinen ersten Roman veröffentlicht hat und vor der Kamera natürlich gut funktioniert. Wir haben einen relativ kompakten Stamm von 500.000 bis 600.000 Zuschauern und die wollen eben gerade auch das Speziellere und Ausgefallenere sehen und nicht unbedingt einen Beitrag zur Autobiographie von Bastian Schweinsteiger.
Trotzdem gibt es wahrscheinlich die ganz großen Titel, von denen man schon weiß, dass man sie wird thematisieren müssen?
Jein. Wir haben jetzt unser 20-jähriges Jubiläum und dafür John Irving in der Sendung. Er ist zum ersten Mal in der Sendung, obwohl er ein wichtiger, bekannter und beliebter Schriftsteller ist und in den letzten 20 Jahren fünf große Romane veröffentlicht hat. Wir haben da also auch Mut zur Lücke.
Was erfahren Sie als die größten Schwierigkeiten bei der Produktion einer Literatursendung fürs Fernsehen?
Literatur und Fernsehen sind nicht gerade zwei Medien, die füreinander geschaffen sind. Die Literatur zeigt nichts als Buchstaben und verlässt sich auf die Vorstellung der Lesenden. Das Fernsehen zeigt alles und entlastet die Zuschauer von der Notwendigkeit zur Imagination. Ich persönlich versuche das dadurch zu umgehen, dass ich das, was man gerne sehen möchte, gerade nicht zeige. Es gibt nur ganz selten den Fall, dass wir Bilder illustrativ wählen oder den Handlungsort des Romans zeigen oder Ähnliches. Es geht mir immer darum, die Wort-Bild-Schere eher zu vergrößern. Dann steht der Natur-Lyriker eben mitten auf der Straßenkreuzung und gerade nicht im Wald. Und deswegen kommt es auch nicht vor, dass Denis Scheck mit dem Rotweinglas vor dem Kamin sitzt und mit dem Schriftsteller über die Antike fachsimpelt. Es geht vielmehr darum, bei der Visualisierung etwas Kryptosurrealistisches zu finden. Es spielt immer in der Wirklichkeit, aber mit einem kleinen Twist, einem Störeffekt. Auch eine Literatursendung ist schließlich zuallererst eine Fernsehsendung und nicht Literatur.
Manche Schwierigkeiten schaffen wir uns auch lustvoll selbst: Da wir keine Wiederholungen drehen, müssen der Kameramann und ich alle beim Dreh auftretenden Probleme währenddessen lösen, ohne das Interview oder die Aufnahme zu unterbrechen. Aus einer Viertelstunde Gespräch entstehen so acht Minuten Interview.
Die Bebilderung ist sicher eines der großen Probleme sowohl bei Gesprächen mit Autor*innen als auch beim Sprechen über Literatur im Fernsehen allgemein. Druckfrisch verwendet hier ja sehr abwechslungsreiche Visualisierungen: Wie entscheiden Sie über die jeweilige Bebilderung? Zum Beispiel gerade auch im Intro?
Das Intro macht ehrlich gesagt die meiste Mühe. Es war irgendwann einmal die Idee des Cutters, den vorproduzierten Trailer der ARD rauszuwerfen und selbst einen zu machen. Seitdem machen Aron Roos, der Cutter, und ich jedes Mal einen neuen, auch wenn die Arbeit dafür gar nicht im Budget auftaucht. Damit verknüpft ist eigentlich eine Umkehrung des typischen Magazin-Formats. Wir kündigen nicht etwas durch den Moderator an und zeigen es dann, sondern wir starten nur mit Musik, Bildern und ohne große Erklärungen. Das erfüllt eigentlich Fernseh-Urängste: Die Zuschauer 45 Sekunden nicht an die Hand zu nehmen. Das hat zu Beginn nicht allen Redakteuren gefallen. Aber es funktioniert erstaunlich gut.
Was im Intro dann genau zu sehen ist, ist selten eine Entscheidung vorab. Ich vertraue darauf, dass die Wirklichkeit alles liefern wird, was wir dafür benötigen. Wir nehmen auch nie Stühle für das Interview mit. Wir finden Stühle, es gibt überall auf der Welt Stühle. Wir haben schon mit T.C. Boyle an Häusern geklingelt und nach Stühlen gefragt. Mit Umberto Eco haben wir einmal auf dem Kölner Dom gedreht und, Sie werden es nicht glauben, oben auf dem Dom steht ein Feuerlöscher, wie wir ihn in der Sendung immer verwenden.
Das sind wohl die praktischen Nebeneffekte deutscher Brandschutzbestimmungen… Der Feuerlöscher und auch das Flatterband dienen vor dem Hintergrund der wechselnden Drehorte als Leitmotive und geben der Sendung auf diese Weise einen roten Faden. Stehen diese Gegenstände für etwas Bestimmtes?
Nein. Das Flatterband war eine relativ frühe Idee eines Cutters, der meinte, dass wir, wenn wir irgendwo in der freien Wildbahn drehen, eine Bühne definieren sollten. Das Flatterband war da natürlich die einfachste Möglichkeit. Man kann es im Viereck hinten an die Wand hängen und plötzlich ist es die Druckfrisch-Bühne. Der Feuerlöscher kam dann irgendwann einmal dazu, weil er so schön rot ist. Und dann dachte ich mir, das können wir jetzt immer so machen. Auch wenn wir Musiker drehen, steht da ein Feuerlöscher auf der Bühne oder es hängt Flatterband am Mikro. Dann ist ganz klar, dass es eine exklusiv für uns gedrehte Performance ist.
Wie sehen Sie die Zukunft der Literaturvermittlung im Fernsehen?
Den Kulturprogrammen im Fernsehen ging es immer schon schlecht, aber noch nie so schlecht wie heute. Ich weiß nicht, wie viel lokale ARD-Anstalten noch ein eigenes Literaturmagazin haben. Als wir angefangen haben, hatte jeder Sender noch sein eigenes Literaturformat. Uns gibt es nun zwar seit 20 Jahren, aber das Budget hat sich in 20 Jahren nicht erhöht, während alle Kosten natürlich um ein Vielfaches gestiegen sind. Die Kulturformate generell werden in Nischen gedrängt und selbst auf Kultursendern im Radio wird dann doch lieber eine True-Crime-Serie gemacht als ein literaturkritisches Magazin. Das ist meiner Meinung nach ein großer Fehler, weil man dadurch natürlich Kompetenz und auch ein intelligentes Publikum verliert.
Wir müssen nicht Menschen, die noch nie gelesen haben, von Clemens Setz überzeugen. Das ist der falsche Weg. Sondern wir müssen die Leute in Deutschland, die intelligente Literatur lesen wollen, ein Programm bieten. Und das ist etwas, was leider bei den ganzen Programmreformen, finde ich, vergessen wird.
Was sind Ihrer Meinung die Gründe dafür?
Der Druck auf die einzelnen Programme ist größer geworden und man denkt komischerweise, diesem Druck nur über die Anpassung an den Massengeschmack standhalten zu können. Das ist aus meiner Sicht nicht die richtige Entscheidung. Meine persönliche Meinung ist, dass es viel mehr Kulturprogramme geben müsste. Dann wäre auch die Akzeptanz und das Ansehen der öffentlich-rechtlichen Sender höher.
Meinen Sie damit auch die Konkurrenz von Fernseh-Kulturformaten zu Social Media?
Nein, es ist erstmal die Konkurrenz zu anderen TV-Formaten. Konkurrenz im Mediengeschäft führt immer zu einer Senkung des Niveaus. Als der Fokus auftauchte, hat man beim Spiegel gelacht und gesagt, so etwas würde man ja niemals machen. Und zwei Jahre später sah der Spiegel genauso aus. Und so wird dann im Fernsehen statt einer Literatursendung lieber auf Kabarett, Sport oder Krimis gesetzt.
Wie sehen Sie denn die Konkurrenz von Literatur- und Kulturformaten im Fernsehen zu Social-Media-Inhalten?
Tja, das ist eine große Herausforderung. Die Frage ist allerdings, ob so etwas wie Literaturvermittlung auf Social Media überhaupt stattfinden kann. Man kann das alles machen, ich habe nichts dagegen. Aber ich sehe es nicht als direkte Konkurrenz. Das Problem ist vielmehr, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkhäuser immer mehr drauf hinarbeiten, dass alles Social-Media-verträglich ist. Dabei könnte man eher Formate stark machen, die Social Media gar nicht produzieren kann.
In der ARD-Mediathek wird nun zum Jubiläum unserer Sendung eine Druckfrisch-Sektion eingerichtet, in der wir versuchen, eine redaktionell betreute Fassung von dem Material zu präsentieren, das wir über 20 Jahre hinweg gesammelt haben. In dieser Zeit haben wir ca. 500 Interviews rund um den Erdball geführt. Die Mehrzahl der Literaturnobelpreisträger in dieser Zeit hatten wir im Gespräch und alles das soll nun gut recherchierbar als digitale Bibliothek der Gespräche der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Darauf könnten die Öffentlich-Rechtlichen stolz sein, wenn sie es wollten.
Das heißt zwar nicht, dass wir damit hunderttausend Klicks generieren. Das ist aber auch nicht unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe ist es in gewissem Sinn auch, als kulturelles Gedächtnis zu fungieren. Dafür versuchen wir, nach unseren eigenen Regeln zu spielen und nicht alle Interviews auf 30 Sekunden herunter zu kürzen und auf die Frage, wann der Autor zum letzten Mal beim Sex geschrien hat.
Müssen TV-Kulturformate trotzdem ihr Programm bzw. ihre Machart ändern, um mit der Zeit zu gehen?
Das Schlimme ist, finde ich, dass sie genau das tun. Man versucht, irgendwie nach den Regeln anderer Medien zu spielen. Aber wir sind nicht TikTok und ich muss mit Denis Scheck nicht wilde Tanzmoves machen. Es gab auch schon Überlegungen, ob man so etwas wie die Besprechung der Bestseller-Liste aus Druckfrisch auskoppelt und in Blöcken von 30-45 Sekunden auf TikTok stellt. Aber will man das wirklich?
Es ist wirklich schade, dass die Öffentlich-Rechtlichen immer allem hinterherlaufen. Als Facebook und Instagram aufkamen, hieß es, jetzt dürfe alles nur noch 30 Sekunden lang sein. Dann kam plötzlich Netflix und nun ist das Serienformat das Maß aller Dinge. Dem versucht man jetzt wiederum mit dem Aufbau der Mediathek nachzustreben. Das ist natürlich trotzdem eine gute Idee, weil die ARD wie gesagt einen riesigen Schatz an klugen und aufwendig produzierten Formaten hat. Nur muss man eben versuchen, ein eigenes Angebot auf die Beine zu stellen und nicht bloß andere mediale Formate zu kopieren.
Was war ihr liebster Drehort bislang bzw. das spannendste Interview?
Das kann man nicht sagen. Aber einer der Favoriten war sicherlich der Dreh mit Arthúr Bollason in Island. Wir haben das Interview in einer heißen Quelle gedreht und Denis Scheck ist dann mit Anzug ins Wasser zum badenden Autor gestiegen. Das war einer der Gründungsakte der Merkwürdigkeit der Sendung.
Wo werden Sie für die nächste Sendung sein?
An Ostern fliegen wir nach Pompei, um mit dem Ausgrabungsleiter vor Ort zu sprechen, der gerade ein Buch über die Stadt veröffentlicht. Außerdem werden wir nebenher einige Empfehlungen für das Spätjahr dort drehen. Dann können sich wieder alle aufregen, dass wir im dunklen, kalten Herbst unter Orangenbäumen stehen.