Frauen, die verschwinden
Die Gesellschafterin und ihre Schwestern
Von Dirk Kaesler und Stefanie von Wietersheim
Rätsel des Lebens. Wie kommt es, dass manche Frauen einfach verschwinden? Nein, es geht nicht um Entführung, Raub und Mord. Sondern: Warum ist die dereinst wichtige Sozialfigur der „Gesellschafterin“, die wir aus Literatur und Filmen kennen, in der heutigen Gesellschaft nicht mehr existent? Fragt man 20-jährige, so denken sie beim Wort „Gesellschafterin“ an Teilhaberinnen eines Unternehmens wie Oetker, Miele oder BMW. Die ursprüngliche „Gesellschafterin“, so wie wir sie seit über 2.000 Jahren kannten, ist verschwunden. Dabei lebte noch die Generation unserer Urgroßeltern und Großeltern ganz selbstverständlich mit diesen angestellten Damen – ja es waren Damen! – deren Rolle es war, Vater, Mutter, Kinder, alleinstehende Senioren oder Seniorinnen zu unterhalten. Ihnen Gesellschaft zu leisten. Und für diese Leistung erhielten sie Geld.
Gesellschaft zu haben, ist ein urmenschliches Bedürfnis. Denn Einsamkeit macht krank. In Großbritannien gibt es seit dem Jahr 2018 ein eigenes Ministerium, das Bürgerinnen und Bürgern aus der Einsamkeit holen will. Auch die deutsche Familienministerin Lisa Paus hat gerade ein Strategiepapier veröffentlicht, das die Einsamkeit in der Bundesrepublik bekämpfen soll. Diese Einsamkeit trifft nicht nur alte Menschen: So gaben im Sozio-oekonomischen Panel 2021 rund 42 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen an, sich einsam zu fühlen. Einsamkeit ist demnach bei jungen Erwachsenen und sehr alten Menschen am höchsten. Vor der COVID-19 Pandemie waren besonders Menschen über 75 Jahren von Einsamkeit betroffen, gefolgt von Menschen zwischen 30 und 45 Jahren, danach folgten Menschen unter 30.
Demnach müsste der Jobmarkt für Gesellschafterinnen eigentlich boomen. Die Erklärung dafür, worum dem nicht so ist, ist leicht: Heute wird die Unterhaltung von Mensch zu Mensch von einer milliardenschweren Industrie übernommen. Fernsehen, Kino, Netflix Apple TV, Social Media tun ihre Dienste – und sind viel günstiger als das Salär einer Gesellschafterin, das man in heutiger Währung wohl auf 3.000 Euro im Monat ansetzen müsste.
Ganz vereinzelt gibt es sie noch, die Gesellschafterinnen. Doch diese teuer bezahlten Diamanten unter den heutigen Angestellten sind rare Solitäre geworden – denn wer kann sich die Anstellung einer privaten Gesellschafterin leisten? Meist werden sie über Anzeigen für Witwer oder Witwen aus begüterten Familien gesucht, deren Kinder um die Einsamkeit der Eltern fürchten. Ihre Aufgabe ist immer noch: bei den Mahlzeiten Konversation zu machen, Karten zu spielen, in Ausstellungen oder ins Konzert zu begleiten, vorzulesen. Manchmal auch als Begleitung auf Reisen. Sehr gefragt sind Gesellschafterinnen mit Führerschein – denn auch wenn Putzen, Wäschepflege oder Kochen selbstverständlich nicht zu ihren Aufgaben gehören: kutschieren können soll sie allemal.
Aber wie sieht es auf der Arbeitnehmerseite aus? Welche Frau mit Abitur oder Studium möchte diese Anstellung annehmen, weder Krankenschwester, Hauslehrerin noch Hauswirtschafterin sein, sondern eine vornehme Unterhalterin, die den Launen einer einzelnen Person ausgesetzt ist? Wahrscheinlich gibt es in Deutschland mehr Escort Ladies als Gesellschafterinnen.
Dabei hatte der Beruf der Gesellschafterin seit der griechischen Antike über Jahrhunderte ein mehr oder minder klares Job-Profil – und bewährte Kandidatinnen wurden in guten Häusern gerne abgeworben. Von der mausigen kleinen Gesellschafterin, die mehr schlecht als recht Englisch las bis zur mondänen Salondame, von der tief religiös getränkten Fürsorgerin bis zur latent lasziv blickenden Männerkümmerin war alles dabei.
Aber wie kam es schließlich dazu, dass der Job der Gesellschafterin komplett verschwand wie der des Radmachers oder der Stenotypistinnen?
Kein Märchenjob, sondern ein Beruf mit beschränkten Karriereaussichten: Geselliger Verkehr im Laufe der Jahrhunderte
Wie so oft bei schweren Fragen helfen die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm. Nein, nicht die Märchenonkel, sondern die unermüdlichen Sammler deutscher Worte, die sie in ihrem Deutschen Wörterbuch von 1897 festgehalten haben. Dort finden wir zur Erklärung der Gesellschafterin Folgendes:
GESELLSCHAFTERIN, fem. zu gesellschafter, socia, comes, consors, die gesellschaft leistende.
Und dann, wie immer bei den Grimms, kommen die Beispiele, von denen hier nur ausgewählte Kostbarkeiten zitiert seien: Die Gesellschafterin ist die Begleiterin der Gattin („dein weib ist zwar deinem leib eigen, doch aber gleichwol nicht deine leibeigene oder sclavin, sondern sie ist deine ehe-gesellschafterin“). Im Griechischen bezeichnete man damit die „Hetäre“: „diejenige classe von frauenzimmern, die man bei den Griechen gesellschafterinnen zu nennen pflegte.“ Als Tanzpartnerin taucht die Gesellschafterin bei englischen Tänzen auf. Die Gesellschafterin dient „überhaupt zur unterhaltung und zu geselligem verkehr“; eine, „die gut zu unterhalten versteht, [ist] eine angenehme, interessante gesellschafterin“. Abschließend wird genauer bestimmt: „in fester anstellung mit gehalt: die stelle einer gesellschafterin bei einer älteren dame, in einem gräflichen hause annehmen.“
Hilft uns das? Ein wenig. Vor dem inneren Auge tauchen verarmte Frauen aus gutem Hause auf. Sie gehören nicht zum Personal, sie bekleiden eine soziale Zwischenposition zwischen Herrschaft und Dienerschaft. Sie sitzen mit am Esstisch und gehen der Hausherrin „zur Hand“. Sie sind unverheiratet und haben keine eigenen Kinder. Sie erhalten ein Salär für ihr Dabeisein und ihre Dienste.
Glamour-Gesellschafterinnen: Frauen mit wenig Geld, aber Esprit und Charme
Zur Illustration dieser Sozialfigur können drei Damen dienen, die in einer weiteren Fundgrube für zeitgebundenes Wissen, in Meyers Großes Konversations-Lexikon von 1908 zu finden sind. Ja, diese drei Frauen haben etwas Romaneskes, ihre Leben würden sich für mehrere Staffeln einer Netflix-Serie eignen – durchaus bis heute ein Zeichen dafür, wie schillernd der Lebensweg einer Gesellschafterin sein konnte.
Da war etwa die 1697 geborene Marie de Vichy-Chamrond, Marquise Du Deffand, die aus einer armen burgundischen Adelsfamilie stammte und 1780 in Paris starb.
Sie erhielt eine oberflächliche und freie Erziehung und vermählte sich 1718 mit dem reichen Marquis Du Deffand, von dem sie sich aber bald trennte. Hochgefeiert wegen ihrer Schönheit und ihres Geistes, stürzte sie sich in eine Menge galanter Abenteuer, galt eine Zeitlang für die Geliebte des Regenten und schloß endlich ein inniges Verhältnis mit dem Präsidenten Hénault, das bis zu dessen Tode währte. Um 1740 war ihr Salon der Sammelplatz der berühmtesten und vornehmsten Gesellschaft; Voltaire, Montesquieu, d‘Alembert u.a. waren ihre ständigen Gäste. Die Anziehungskraft ihrer geistreichen Zirkel wurde nicht gemindert, als sie 1753 vollständig erblindete und eine Wohnung im Kloster St.-Joseph bezog; erst als Fräulein v. Lespinasse, die sie sich zur Gesellschafterin genommen hatte, mit Eklat sich von ihr trennte und den besten Teil ihrer Gesellschaft, d‘Alembert an der Spitze, mit sich zog, erlitt der Glanz ihrer Gesellschaften empfindliche Einbuße. Doch fand die 68jährige Blinde einen großen Trost in dem zärtlichen, ja leidenschaftlichen Verhältnis zu dem geistvollen Engländer Horace Walpole, mit dem sie einen regen, geist- und gefühlvollen Briefwechsel unterhielt. Als Schriftstellerin stellt man sie neben Voltaire; die durchsichtige Klarheit ihres Stiles, ihre treffenden Bemerkungen, ihr sicheres Urteil, ihr schlagfertiger Witz machen ihre Briefe zu den interessantesten des ganzen Jahrhunderts.
Eine ihrer Weggefährtinnen, die schon erwähnte Julie de Lespinasse, war eine berühmte Salonnière – also die glanzvolle Variante dessen, was man unter einer Gesellschafterin verstand. Sie wurde im Jahr 1732 in Lyon als außereheliches Kind der Gräfin d’Albon geboren und starb 1776 in Paris.
Sie ward zuerst Erzieherin, dann 1754 Gesellschafterin bei Madame Du Deffand, deren Freunde, besonders d‘Alembert, sie durch ihren Geist an sich fesselte. Von jener aus Eifersucht entlassen, erlangte sie durch die Fürsprache ihrer Verehrer vom König und von Madame Geoffrin eine Pension und versammelte seit der Zeit in ihrem eignen Salon die glänzendste Gesellschaft. Ihre „Lettres“, die meist sehr leidenschaftlich und schwärmerisch sind, wurden 1847 von J. Janin mit Einleitung herausgegeben.
Besonders gut schreiben konnte auch ein uns zeitlich etwas näherstehendes Exemplar der Gesellschafterin: Luise Hensel, die Schwester des Malers Wilhelm Hensel (1794-1861). Die im Jahr 1798 in Linum, einem kleinen Dorf in der Mark Brandenburg, geborene und gestorbene Frau wurde als religiöse Dichterin berühmt – und als Freundin Clemens Brentanos, der in heftiger Leidenschaft für sie erglühte.
Sie reichte ihm ihre Hand nicht, trug aber wesentlich zu der innern Wandlung des Dichters bei. Obgleich Protestantin, wußte sie doch Brentanos katholisches Bewußtsein wieder zu erwecken und trat auch selber 1818 zur katholischen Kirche über. 1819 ward sie Gesellschafterin bei einer Fürstin Salm, 1821 Lehrerin bei der Witwe des Grafen Friedrich Leopold von Stolberg; von 1833-37 lebte sie wieder in Berlin, danach bis 1840 zu Stift Neuburg im Hause der Gattin Fritz Schlossers, später in Köln, in Wiedenbrück bei Paderborn und zuletzt in Paderborn selbst. Ihre „Gedichte“, zuerst mit Gedichten ihrer Schwester Wilhelmine vereinigt (hrsg. von Kletke, Berlin 1858), zeichneten sich hauptsächlich durch den Geist milder, inniger und sehnsüchtiger Frömmigkeit aus; ihr Abendlied: „Müde bin ich, geh‘ zur Ruh" zählt zu den Perlen der deutschen religiösen Lyrik.
Fassen wir zusammen: Bei Gesellschafterinnen handelt sich um Damen der „guten Gesellschaft“, die durch ihre Bildung und ihr geselliges Wesen höchst interessante Menschen um sich versammelten. Und diese zu unterhalten wussten. Dass es dann Herren gab, die sich für diese Zauberwesen leidenschaftlich interessierten, scheint Teil des gesellschaftlichen Spiels gewesen zu sein. Geheiratet wurden sie nicht, Kinder bekamen sie keine, aber heftige Gefühle lösten sie aus. Nicht immer endete ihr Leben harmonisch.
Manchmal wurde es tragisch – Die romanesken Schicksale der Gesellschafterinnen
Die Harmonie im Leben so mancher Gesellschafterin endete vor allem dann, wenn sich ein verheirateter Herr zur Gesellschafterin leidenschaftlich hingezogen fühlte. Denken wir an den Roman Unwiederbringlich von Theodor Fontane von 1892:
In einem einsamen Schloss an der Flensburger Förde, im Herzogtum Schleswig, leben Helmuth Graf Holk und seine fromme Frau Christine, mit ihren beiden Kindern. Der lebenslustige Graf, der in seiner Ehe unter der vom Herrnhutertum geprägten Frau leidet, wird an den Kopenhagener Hof einer dänischen Prinzessin abkommandiert. Führte diese räumliche Trennung bei früheren Gelegenheiten zum Wiedererwachen seiner Liebe zu seiner Ehefrau, so erfreut er sich diesmal an den so ganz anderen Frauen in Kopenhagen. Als er Ebba von Rosenberg, der Gesellschafterin der Prinzessin, begegnet, reizt ihn deren intellektueller Charme mehr als ihr Aussehen. Bei einem Ausflug der kleinen Hofgesellschaft auf Schloss Frederiksborg und nach einem gemeinsamen Schlittschuhlauf kommt es zu einer miteinander verbrachten Nacht. Diese endet dramatisch, als im Schloss ein verheerender Brand ausbricht, aus dem Holk Ebba retten kann, indem sich beide auf das Schlossdach flüchten, wo sie beobachtet werden.
Das Gerede der Hofgesellschaft und seine Leidenschaft für die kluge Frau führen zu seinem Wunsch, sich von seiner Frau zu trennen und die Gesellschafterin zu heiraten. Auf sein Schloss zurückgekehrt, teilt er diese Absicht seiner Frau mit und trennt sich von ihr. Und nun passiert das Unerwartete: Ebba will ihn nicht heiraten. Tief verletzt, reist Graf Holk umher, kehrt jedoch zurück zu seiner Frau und den Kindern, eine zweite Hochzeit wird gefeiert. Doch die Versöhnung dauert nicht lange, Gräfin Christine kann die Schmach nicht verwinden und ertränkt sich im Meer.
Das Bemerkenswerte an dieser Geschichte scheint zu sein, dass der Mann – für den Carl Freiherr von Maltzahn (1797-1868) die historische Vorlage lieferte – sehr viel mehr von den geistigen und musischen Gaben der Ebba von Rosenberg angezogen war als von ihren körperlichen Reizen.
Berühmte Ehebruchsromane wie Madame Bovary und Anna Karenina konzentrieren sich sehr viel mehr darauf, dass die Liebhaber der verheirateten Frauen von deren äußerer Schönheit angezogen wurden. Gesellschafterinnen scheinen aus anderen Gründen eine Gefahr für das eheliche Leben gewesen zu sein. Es ist wie im Musical A Chorus Line: „tits and ass“ sind nicht alles, manchmal kann der geistreiche „wit“ sehr viel anziehender sein. Und ins Glück oder ins Unglück führen.
Wohin ist die Gesellschafterin verschwunden?
Nach dem Sieg des kleinbürgerlichen Familienmodells in den meisten europäischen Gesellschaften finden wir keine solchen Gesellschafterinnen mehr. Heute wird darunter allenfalls eine weibliche Person verstanden, die als natürliche Person bei der Gründung einer Gesellschaft teilnimmt oder in eine bestehende Gesellschaft durch Gesellschaftsvertrag oder kraft Gesetzes eintritt. Die Milliardärin Susanne Klatten als Gesellschafterin der von ihr ins Leben gerufenen Startup-Schmiede UnternehmerTUM an der TU München wäre ein besonders prominentes Exemplar einer heutigen Gesellschafterin.
Beim Nachdenken über das Verschwinden der vormaligen Gesellschafterin fällt auf, dass sie nicht die einzige weibliche Sozialfigur ist, die in der Vergangenheit untergegangen ist. Ebenfalls weitgehend abhanden gekommen sind Gouvernanten und Hauslehrerinnen. Auch sie gehörten nicht zum Gesinde herrschaftlicher Haushalte, auch sie kamen aus den höheren, gebildeten Gesellschaftsschichten. Dennoch verbanden sie zentral wichtige Charakteristika mit Dienstmädchen: Sie mussten ständig präsent sein, sie hatten Arbeitszeiten bis zu 18 Stunden am Tag, sie hatten eine Erwerbsarbeit außer Haus angenommen und lebten bei einer fremden Familie in deren Haushalt. Stets mussten sie um ihre Autonomie und die Wertschätzung ihrer Arbeit kämpfen.
Die Gesellschafterin und ihre sozialen Schwestern führen zur Frage nach den Erwerbs- und Lebensmöglichkeiten für alleinstehende Frauen ab der Mitte des 18. Jahrhunderts. Die weiblichen Angehörigen der Unterschichten, sowohl ledig als auch verheiratet, mussten mehrheitlich einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Aber, was sollten die unverheirateten Töchter aus den „besseren Kreisen“ machen? An eine Berufsausbildung, gar an ein Studium war nicht zu denken, erst die Frauenbewegung im späten 19. Jahrhundert eröffnete solche Wege. Und so blieb das Erziehungsgeschäft, die Arbeit als Kinderfrau, Gouvernante, Hauslehrerin das legitime Feld der Erwerbsmöglichkeit von Mädchen und Frauen aus den höheren Schichten, vor allem in Notzeiten.
In diesem Feld konnten auch weibliche Adelige „den Schein wahren“, denn sie bewegten sich weiterhin in jenem Umfeld, das sie von Geburt an gewohnt waren. Manche bürgerliche Familie freute sich über ihre adelige Gouvernante, die ihren Kindern Klavierspielen, Manieren und Grundbegriffe der französischen Sprache beibrachte.
Auch diese Tätigkeitsfelder waren nicht ohne den Konkurrenzkampf mit Männern möglich: Der Arbeitsmarkt noch zu Anfang des 19. Jahrhunderts war überfüllt von jungen Theologen, Philologen und Juristen, die auf eine Anstellung als „Hofmeister“ oder Hauslehrer hofften und den damit verbundenen Aufstieg durch Bildung. Gouvernante – im deutschsprachigen Raum vorzugsweise Hauslehrerinnen oder „Erzieherinnen“ genannt, da man den französischen Gouvernanten Oberflächlichkeit nachsagte – zu werden, eröffnete einer mittellosen Frau aus dem Adel oder dem gehobenen Bürgertum eine anerkannte Möglichkeit, ihren materiellen Lebensunterhalt selbst zu verdienen und unabhängig von einem Ehemann zur gehobenen Geselligkeit zugelassen zu werden. Die Gebiete, auf denen sie die Kinder ihrer Arbeitgeber unterweisen sollten, umfassten Lesen, Schreiben, Rechnen, Religion, Briefeschreiben, Weltgeschichte, fremde Sprachen, Musik, Zeichnen, Konversation und „Nadelarbeit“.
Und manchmal gibt’s ein Happy End – Von Jane Eyre bis Friede Springer
Da lebte nun so eine vornehme, junge Frau im Haushalt ihrer Arbeitgeber. Sie verbrachte mehr Zeit mit deren Kindern als die Eltern. Sie saß bei Tisch und beherrschte möglicherweise bessere Manieren als „die Herrschaft“. Und sie brachte geistige Anregungen in diese Haushalte, über die die Dame des Hauses nicht verfügte. Und schon weckte sie das Interesse der Männer, sowohl der Hausherren als auch das der „Jungen Herren“. Die Weltliteratur ist voller solcher Geschichten.
Denken wir nur an den Roman Jane Eyre von Charlotte Brontë aus dem Jahr 1847. Die Erzählung vom verstoßenen Waisenkind im Mädchenpensionat und ihren Erlebnissen als Gouvernante im Haus des Mr. Rochester, den sie nicht mit ihrer Schönheit, sondern mit ihrer Klugheit und ihrem Witz beeindruckt, hat bis zum heutigen Tag eine Millionenleserschaft in den Bann geschlagen. Und am Ende des Buches wird sie dann doch von dem – wenn auch etwas lädierten – Schlossherrn geheiratet. Noch bis in unsere Gegenwart gibt es solche und ähnliche Geschichten: Kam nicht Friede Riewerts als Kindermädchen in das Haus des Verlegers Axel Springer und wurde dessen fünfte Ehefrau? Manchmal werden Märchen wahr.
Da nun die Gesellschafterinnen, Gouvernanten und Hauslehrerinnen zu verschwinden scheinen, muss es für die meisten Menschen die Gesellschaft von Streaming-Serien, Tinder – und in Zukunft den AI-Brillen – tun, die für Zerstreuung, Anregung und das Vertreiben von Langweile dienen. Ob Ministerien für Einsamkeit und andere Loneliness-Task-Forces dabei etwas ausrichten können? Wir bezweifeln es und trauern ein wenig der guten alten Gesellschafterin nach – wenn sie nicht so schauerlich aussieht wie die in lila Rüschen gekleidete Bella Rolleston in der Folge „Gesellschafterin gesucht“, die im hoch erfolgreichen Hörspiel Gruselkabinett auftritt. Und bei aller Nostalgie sind wir heilfroh, dass auch Frauen in Europa heute (leider nicht immer) so viel verdienen wie Männer, sie dieselbe Schul- und Studienbildung erhalten und nicht mehr vornehm, aber schlecht bezahlt andere Leute unterhalten müssen.
Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag gehört zur monatlich erscheinenden Kolumne „Rätsel des Lebens“ von Dirk Kaesler und Stefanie von Wietersheim.