Corona als Vorspiel

Burkhard Spinnen blickt in „Und jetzt Corona! Wortmeldungen und Monologe aus der frühen Pandemiezeit“ auf eine Gesellschaft im Ausnahmezustand

Von Werner JungRSS-Newsfeed neuer Artikel von Werner Jung

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Erwischt hat es ihn wie die ganze Welt, kalt und unvorbereitet. Burkhard Spinnen, Schriftsteller aus Münster, arbeitet an einem neuen Roman, als im Frühjahr 2020 die Pandemie ausbricht. Er nutzt diese Herausforderung, um sich schreibend mit der je aktuellen, sich stets wandelnden Situation auseinanderzusetzen. Entstanden sind dabei 35 zwischen zwei und fünf Seiten lange Texte, hinzu kommen acht Monologe sogenannter Pandemiegewinner, die Spinnen in der Zeit zwischen dem 17. April 2020 und dem 24. Dezember 2021 geschrieben sowie zunächst auf seiner Homepage präsentiert ­­­­­hat und die nun gesammelt in einem Büchlein vorliegen.

In einem als Nachwort bezeichneten Vorwort, das auf den Herbst 2022 datiert ist, spricht Spinnen davon, dass er Corona für ein Vorspiel hält: „Eine Übung. Eine Übung in gesellschaftlichem Zusammenhalt, in Verzicht und Disziplin.“ Seine Texte, die unter dem Eindruck der immer dramatischer werdenden Entwicklung verfasst worden sind, nennt er einmal Briefe, mit denen er „Denkanstöße“ vermitteln möchte. Denkanstöße, die er als „ambitionierter Pessimist“ und Skeptiker, um sein Selbstverständnis zu zitieren, einer Öffentlichkeit in der Bundesrepublik anbietet, die sichtlich in Pandemie-Zeiten auseinandergedriftet ist, als kleinsten gemeinsamen Nenner bestenfalls noch die Einsicht in die allgemeine Unsicherheit akzeptiert und als Reaktion darauf mit Apathie und Angst bis zur wütenden Rundumverweigerung antwortet. Spinnen argumentiert in seinen Texten, die mal als durchaus humorvolle Beiträge, als launisch-polemische Einlassungen ein anderes Mal, schließlich als essayistische Reflexionen im munteren „Wechsel der Töne“ wahrgenommen werden können, aus einer demokratisch-aufgeklärten Haltung heraus. Schrilles Geschrei, Politiker-Bashing und vorschnelle Explikationen sind ihm ebenso suspekt wie vermeintliche Zwänge und sogenannte Notwendigkeiten, denen wir uns zu fügen hätten.

So reicht die Palette seiner launischen Aus- und Einlassungen vom Verdruss über Geisterspiele im Fußball über Reflexionen über die „Welt der real existierenden Manipulationen“ in Fernsehformaten wie etwa „Germany’s Next Top Model“ oder den aufgestauten Ärger über hektisch-aufgeregte Talkshows (an vorderster Front Anne Will) bis – immer wieder – zu Auseinandersetzungen mit Impfgegnern und Verschwörungstheoretikern: „Liebe Impfgegner“, ruft er in einem Text vom 3. Dezember 2021 dieser bornierten Klientel zu, „wäre es nicht denkbar, ihr würdet all eure Eigenheiten und Eigentümlichkeiten und Identitäten und Idiosynkrasien in einem Akt der Tapferkeit aufheben? Sprich, euch eben mal impfen lassen. Womöglich nach dem Motto: ‚right or wrong, my country‘. Was so ein Stubenhocker wie ich geschafft habe, das schafft ihr doch auch.“

Wobei der an Karl Kraus geschulte Sprachskeptiker Spinnen ein klares Votum fürs „Quer-Denken“ abgibt, in dem Sinne nämlich, dass es nicht zuletzt die Aufgabe des Schriftstellers sei, „gegen den Strom“ (Kraus) zu schreiben:

Ich habe mich mein Leben lang abgerackert, damit mein Quer-Denken eine Form bekommt, in der es sich in der Öffentlichkeit sehen lassen kann, zum Beispiel als Essay oder als Roman. Doch nun kann man offenbar durch kleine Verweigerungen oder sogar bloß durch abendliche Spaziergänge zu einem Querdenker werden und es überdies in die Schlagzeilen der Presse und in die Tagesschau schaffen.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Burkhard Spinnen: Und jetzt Corona! Wortmeldungen und Monologe aus der frühen Pandemiezeit.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2023.
163 Seiten, 18 EUR.
ISBN-13: 9783849818678

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