Ehe die Ehe endet – und danach
Sammelrezension zu drei Büchern über die Ehe, Scheidungen und ihr endgültiges Aus
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseIm Laufe des letzten Jahres erschienen drei Bücher, die sich in Form und Inhalt auf recht unterschiedliche Weise mit der Ehe auseinandersetzen. Rosemarie Nave-Herz’ Fachbuch Die Ehe in Deutschland unternimmt eine soziologische Analyse der Geschichte, Gegenwart und (möglicher) Zukunft der Ehe in Deutschland. Christina Mundlos’ feministisches Sachbuch Mütter klagen an nimmt hingegen das Familien- und Scheidungsrecht in den Blick und fokussiert dabei insbesondere auf die „institutionelle Gewalt“ die Frauen und ihre Kinder durch Familiengerichte erleiden, wenn ein Sorgerechtstreit verhandelt wird. Emilia Roig schließlich plädiert aus queerpolitischer Perspektive für Das Ende der Ehe und fordert, diese Institution ganz grundsätzlich abzuschaffen, da dies eine Voraussetzung Für eine Revolution der Liebe sei, wie es im Untertitel heißt.
Die Ehe gestern und heute
Nave-Herz beginnt ihre Studie mit der überraschenden Feststellung, dass eine soziologische Untersuchung der Ehe „als eigenständige[] Lebensform mit ihrer eigenen Sinnzuschrift“ bislang ausstand. Dankenswerter Weise hat sie diese Aufgabe nun für die Ehe in Deutschland von den historischen Anfängen der Institution bis zur Gegenwart hin übernommen. In ihrem zwar schmalen, aber informationsgesättigten Band legt sie zunächst die Herkunft des Wortes Ehe dar und erläutert, welche Bedeutung ihr „zugeschrieben“ wurde und welche „konkreten Bedingungen“ ein Paar in den verschiedenen historischen Phasen erfüllen musste, damit seine Beziehung als ehelich galt.
Aufgrund der fehlenden Datenlage konnte die Autorin die auch hierzulande in jüngerer Zeit möglich gewordene gleichgeschlechtliche Ehe nicht in ihre Untersuchung einbeziehen, so dass einige der sechs von ihr genannten „essenzielle[n] Kriterien“ der Ehe nur auf ihre zweigeschlechtliche Variante zutreffen mögen. Deren erste besagt, dass die Ehe ungeachtet aller sonstiger „kulturelle[r] Unterschiede“ weltweit „als soziale Institution anerkannt“ sei. Zum zweiten werde von den EhepartnerInnen „gegenseitige Solidarität“ verlangt. Gegen das naheliegende Argument, dass dies bei den etwa in Pakistan und vor allem im Iran oft nur über wenige Tage oder gar Stunden geschlossenen Zeitehen, die allein dem rechtmäßigen Vollzug des Geschlechtsaktes dienen, eben gerade nicht der Fall ist, wendet sie ein, dass es sich bei ihnen nicht um Ehen, sondern um eine Form der Prostitution handelt. Nicht erwähnt wird von Nave-Herz hingegen die nach der islamischen Revolution im Iran übliche Praxis, Gegnerinnen des Umsturzes gegen ihren Willen zu verheiraten. Anschließend wurden sie von dem ihr angetrauten fremden Mann sogleich vergewaltigt, dem Scharfrichter übergeben und umgehend hingerichtet. Hintergrund dieses unmenschlichen Verfahrens war, dass nach Chomeinis Verständnis des islamischem Rechts Jungfrauen nicht hingerichtet werden dürfen und Vergewaltigungen zwar verboten, aber in der Ehe nicht möglich seien.
Die dritte von Nave-Herz genannte Ehe-Universalie besteht darin, dass die „Eheschließung öffentlich bekundet und der Beginn der Ehe zeremoniell gefeiert“ wird. Letzteres ist zwar sicher die Regel, aber zumindest hierzulande seit längerem keineswegs immer der Fall. Unbestritten ist hingegen das vierte allgemeingültige Kriterium, dem zufolge der Akt der Hochzeit „in allen Kulturen ein institutionelles Mittel zur Neudefinition von familialen Rollen und zur Neuregelung der Beziehung zwischen den beiden Herkunftsfamilien“ ist. Die beiden letzten Universalien besagen schließlich, bei Polygynie und Polyandrie handele es sich fünftens stets um mehrere je zwischen nur zwei Personen geschlossene Einzelehen und sechstens, dass die Eheschließung immer auf die Familie verweist.
Dieser letzte Punkt scheint zwar banal, ist es aber keineswegs. Denn zumindest Teile der durch die Ehe neu entstandenen familiären Bindungen bleiben hierzulande auch nach einer Scheidung bestehen. So besagt § 1590 (2) des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) etwa: „Die Schwägerschaft dauert fort, auch wenn die Ehe, durch die sie begründet wurde, aufgelöst wird.“ Das hat nicht nur teils weitreichende rechtliche Konsequenzen, sondern ist auch darum ein merkwürdiges Konstrukt, weil hier Menschen von einem (Ehe-)Vertrag betroffen sind, den andere ohne ihr eigens Zutun miteinander und ohne dass sie etwas hätten dagegen unternehmen können, geschlossen haben. Zudem handelt es sich um einen Vertrag, der für die Verschwägerten selbst dann noch rechtliche Konsequenzen haben kann, nachdem er von den vertragsschließenden Eheleuten via Scheidung aufgehoben wurde.
Den allgemeinen Ausführungen zur Ehe lässt die Nave-Herz einen historische Abriss der Ehe in Deutschland folgen, der – ebenso wie ihr Buch insgesamt – konzis und von hoher Informationsdichte ist. Ihr Hauptaugenmerk aber liegt auf der gegenwärtigen kulturellen Bedeutung der Ehe und den rechtlichen Folgen der Eheschließung, mit der eine „emotionale Beziehung in ein Vertragsverhältnis überführt [wird], das gesetzlichen Bestimmungen unterliegt“, wobei der deutsche Staat das „Eheschließungsmonopol an die Gewährung sozialpolitischer, steuerlicher u.a. Vorteile gekoppelt und damit gefestigt“ hat. Zugleich drängt er unverheiratete Paare mit diesen Privilegien zur Eheschließung. Überdies werden nicht nur „die Beziehungen zwischen dem Ehepaar und den Herkunftsfamilien sozial reguliert“, sondern auch die „Erbschaftslinien“ neu geregelt. Und nicht zuletzt haben die beiden „Herkunftsfamilien“ des verheirateten Paares hinzunehmen, dass die „Loyalität“ ihres Kindes nach Recht und Gesetz nicht mehr in erster Linie ihnen „zusteht“, sondern der Person, mit der es verheiratet ist.
Zu den Änderungen, die das Eherecht in den letzten Jahrzehnten erfahren hat, zählen die mehrfachen Neuerungen im Namensrecht. So ist die Frau etwa nicht mehr gezwungen, bei einer Eheschließung den Namen des Mannes anzunehmen. Eine Regelung, mit der „die patriarchalische Ehestruktur symbolisiert wurde“. Obwohl das Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit, dass eine verheiratete Frau ihren Geburtsnamen beibehalten kann, damit begründete, dass er „Ausdruck der Individualität und Identität“ des betreffenden Menschen ist, wählen noch heute 75 % aller eheschließender Frauen den Namen des Mannes als künftigen gemeinsamen Namen. Nicht selten dürfte das noch immer ein Hinweis darauf sein, wer der Herr im Haus ist. Die Frauen, die nach der Hochzeit den Namen des Mannes annehmen, räumen zwar ein, mit der Aufgabe ihres eigenen Namens ein „Opfer“ zu bringen, das ihnen „nicht leicht fällt“, doch begründen sie es „mit Tradition und/oder dem Wunsch einen gemeinsamen Familiennamen führen zu wollen“. Dafür nehmen sie nicht nur ein „Identitätsproblem“ in Kauf, sondern auch mögliche Karrierenachteile. So etwa, wenn frühere Publikationen und andere Leistungen von inzwischen verheirateten Wissenschaftlerinnen und sonstiger Autorinnen aufgrund des Namenswechsels nicht mehr ohne weiteres zu recherchieren sind. Umgekehrt, das sei auch erwähnt, tragen nur 6 % der verheirateten Paare den Namen der Frau. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der des Mannes Anlass zu Spott geben kann.
Überraschen mag, dass Nave-Herz im Laufe ihrer Untersuchung eine Retraditionalisierung nicht nur der Hochzeitszeremonie, sondern auch der Ehe und der mit ihr einhergehenden Vorstellungen und Erwartungen feststellt. So ist es heute, anders als noch nach dem zweiten Weltkrieg, „begründungsbedürftig gegen über dem Partner“, ohne ihn an „kulturellen Veranstaltungen“ teilnehmen, Besuche abstatten, Ausflüge unternehmen oder freie Zeit auf andere Weise verbringen zu wollen. Überhaupt wird bei allen „Handlungsentwürfen und -strategie“, ja bei jeder noch so belanglosen „Alltäglichkeit“ der oder die Andere berücksichtigt.
Neben Ausführungen zu der Bedeutung und den rechtlichen Folgen einer Ehe(schließung) wartet die Autorin mit zahlreichen ausgesprochen interessanten und manchmal unerwarteten Statistiken auf. Die Frage „ob die Ehe überholt wäre“ verneinten 2017 über 80% der Befragten. Obwohl „der Entscheidungsprozess bis zur Eheschließung heutzutage von Ambivalenzen und Widersprüchen gekennzeichnet“ ist, nimmt die Zahl der Eheschließungen in Deutschland seit 2013 wieder zu und mehr als 70% der Deutschen treten im Laufe ihres Lebens mindestens einmal vor den Traualtar, wobei das Alter, in dem sie zum ersten Mal heiraten, in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen ist. 2020 heirateten Frauen durchschnittlich im Alter von 32 Jahren, Männer mit 35. Menschen, die heiraten, geben Nave-Herz zufolge „zumeist sehr reflektierte“ Gründe für ihren Entschluss an. Nur 5% erklärten 2018 hingegen, dass sie „nie heiraten“ würden. Die eigentlich interessante Frage nach den Gründen wurde ihnen im Unterschied zu den Heiratswilligen offenbar nicht gestellt, zumindest erwähnt Nave-Herz sie nicht.
Jedenfalls heben 94% der Verheirateten hervor, dass sie heirateten, weil „ihnen ‚sehr wichtig’ bzw. ‚wichtig’ war, dass die Eheschließung ihre ‚Liebe und Zusammengehörigkeit’ symbolisiert“. Auch solle die Ehe „die emotionale Qualität der Paarbeziehung“ hervorheben. Wie reflektiert diese Begründungen tatsächlich sind, mag allerdings dahingestellt sein. Als weiterer Grund wurde mit 78% einigermaßen abgeschlagen die „Familienplanung“ genannt; gerade so, als sei dafür ein Trauschein notwendig. Erstaunlicher Weise waren „steuerliche Erwägungen“ hingegen nur für 4% „sehr wichtig“. Doch genau das wäre nun wirklich ein reflektiert zu nennender Grund. Ebenso die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht gegenüber dem Ehepartner, das Aussageverweigerungsrecht, das Erbrecht und dergleichen mehr. Zwar spielen der Befragung zufolge steuerliche Vorteile so gut wie keine Rolle für den Entschluss zu heiraten, doch geben 64 % der Paare an, dass „für ihre Eheschließung auch der damit verbundene rechtliche Rahmen wichtig gewesen wäre“. Wie die Befragungen weiter zeigten, kennen viele von ihnen jedoch „kaum die juristischen Folgen ihres Eheentschlusses“. So „tritt eine gegenseitige Haftung für Schulden in Kraft“, auch wenn diese nur von eineR der PartnerInnen angehäuft wurden. Selbst die Schwiegereltern können „sowohl juristisch als auch sozial in diese Pflicht miteinbezogen“ werden. Besonders wenig bekannt aber sind Verheirateten die nachteiligen Folgen einer möglichen Scheidung, mit der in Deutschland jede dritte Ehe endet.
Die Rache geschiedener Väter
Diese Nachteile treffen (vor allem) die Frauen wie Christina Mundlos deutlich macht, die in ihrem engagierten Buch „ernsthafte Zweifel an unserem familiengerichtlichen Justizsystem und der deutschen Jugendhilfe“ äußert. Dabei fokussiert sie insbesondere auf vor Gericht ausgetragene Streitfälle um das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder eines geschiedenen Paares. Aus jeder ihrer Zeilen spricht die Wut über die mütterfeindlichen Verfahrensgepflogenheiten. Das ist verständlich, aber auch schade. Denn ihre Polemik klingt oft allzu scharf und schwächt die Argumentation nicht selten eher, als dass sie sie stärkt. Das ist bei einem so wichtigen Anliegen, wie dem ihren, umso bedauerlicher.
So erklärt sie etwa, „Deutschlands Mütter“ zu „Angestellte[n], die jederzeit fristlos entlassen werden können“ [Herv. R.L.]. Dies sei insbesondere dann der Fall, „wenn sie dem Chef nicht mehr für eine (sexuelle) Beziehung zur Verfügung stehen (wollen)“. Nun, ganz so ist es nicht. So gibt es etwa gesetzliche Bestimmungen, denen zufolge ein Paar mindestens ein Jahr getrennt leben muss, damit eine einvernehmliche Scheidung vollzogen werden kann. Ist der Mann oder die Frau nicht mit der Scheidung einverstanden, ist es sogar erforderlich, drei Jahre getrennt von Tisch und Bett zu leben.
Zu Beginn ihres Buches informiert Mundlos über von den Männern verübte „Nachtrennungsgewalt“ sowie über das Familienrecht und die von Frauen erlittene „institutionelle Gewalt“. Außerdem legt sie die von den Vätern angewandten Methoden dar, mit denen sie Druck auf die Mütter ausüben und wie sie die staatlichen Instanzen zu beeinflussen verstehen. Dies ist der umfangreichste Teil des Bandes.
Ihm folgen sechzehn Berichte von um das Sorgerecht für ihre Kinder kämpfenden Müttern über die ihnen von ihren ehemaligen Partnern zugefügte psychische und physische Gewalt und ihre Erfahrungen in den Mühlen des den Männern allzu oft zur Seite springenden Familienrechts. Im dritten Teil interviewt Mundlos ExpertInnen oder lässt sie mit eigenen Beiträgen zu Wort kommen. Zu den Befragten zählt etwa der Jurist und ehemalige Vizepräsident des Deutschen Kinderschutzbundes Prof. Dr. Ludwig Salgo. Mit eigenen Texten vertreten sind Sonja Howard, die als Mitglied im Betroffenenrat der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung sitzt, und ein Vorstandsmitglied des Vereins Feministischer Alleinerziehrinnen – FEM.A. Beschlossen wird der Band mit „Strategie-Tipps“ für betroffene Mütter und Lösungsvorschlägen für die Politik.
Dass Frauen so oft zögern, sich scheiden zu lassen, erklärt die Autorin damit, dass „eine Trennung oder Scheidung“ für sie „faktisch […] ein Selbstzerstörungskommando“ sei. Denn sie liefen dann immer Gefahr, dass sie als Mutter „ihres Amtes enth[oben]“ werden. So werden Mütter von den Vätern der gemeinsamen Kinder wie auch von staatlichen Stellen nicht selten „mit der Drohung“, ihnen das Sorgerecht für ihre Kinder zu entziehen, „gefügig gemacht“. Dass dies geschieht, ist tatsächlich eine große Gefahr, die nur allzu oft Wirklichkeit wird. Denn Familiengerichte lassen hierzulande alljährlich hunderttausendfach überprüfen, ob eine geschiedene Mutter zur Erziehung ihrer Kinder fähig ist oder ob das Sorgerecht nicht doch besser dem Antrag des Vaters entsprochen wird, ihm das alleinige Sorgerecht zu übertragen. Häufig entscheiden die Gerichte in seinem Sinne auch dann noch, wenn er sich während der Ehe zwar nie um seinen Nachwuchs geschert, nach der Scheidung aber plötzlich seine Liebe zu den Kindern entdeckt hat. Die Gefahr, dass Frauen nach einer Scheidung die Kinder entzogen werden, ist zwar nicht die einzige, der sich trennungswillige Frauen ausgesetzt sehen. Hinzu kommen etwa allerlei rechtliche Bestimmungen, die zu finanzielle Nachteilen führen können. Doch konzentriert sich Mundlos ganz auf diese eine Gefahr, die wohl auch die für Mütter (und deren Kinder) die bedrohlichste ist.
Wie Mundlos beklagt, können geschiedene Mütter und ihre Kinder zu „Geiseln der Väter“ werden. Etwa, indem letztere „die gemeinsamen Kinder instrumentalisieren, um ihre ehemaligen Ehefrauen [etwa bei der Übergabe des Kindes R.L.] trotz eines ausgesprochenen Kontaktverbots regelmäßig sehen zu können“. Denn das Recht, mit dem Kind weiterhin Kontakt halten zu können, wird ihnen auch dann zugebilligt, wenn sie vielfach gegen die Mutter gewalttätig geworden sind. Begründet wird das von den Gerichten gerne damit, dass sich die Gewalt ja nicht gegen die Kinder gerichtet habe und überhaupt mit dem Vorrang des Kindeswohls vor demjenigen der Mutter. Dabei gehen sie anscheinend davon aus, dass es zum Wohl des Kindes beitrage, regelmäßig mit einem Mann zusammenzukommen, der seine Frau verprügelt hat. Denn eine der Prämissen der Rechtsprechung besagt laut Mundlos, dem Kindswohl entspreche das gemeinsame Sorgerecht stets am besten. Dass dem tatsächlich keineswegs immer so ist, zeigt die Autorin anhand einer Statistik, der zufolge 41 % der Mütter und 15 % der Kinder vom geschiedenen Kindsvater „während der Umgangszeiten oder Übergabesituation angegriffen“ werden.
Doch der lange Arm geschiedener Väter reicht noch weiter in das Leben der Mütter hinein. So gewährt die gegenwärtige Rechtslage dem von den gemeinsamen Kindern „getrennt lebenden Elternteil“, bei dem es sich in aller Regel um den Vater handelt, eine „Zwangskontrolle“ über das Leben des anderen, also zumeist der Mutter. So darf sie etwa nur dann mit dem gemeinsamen Kind umziehen, wenn er es erlaubt. Umgekehrt darf der von Frau und Kind getrennt lebende Vater jederzeit umziehen, wohin immer er will. Sogar dann, wenn es „für das Kind gravierende Folgen hat, weil es beispielsweise am Wochenende nun 600 km zurücklegen muss, um zum Umgangswochenende zu reisen“. Denn auf dieses hat der Vater einen Rechtsanspruch.
Noch gravierender ist, dass es einer Mutter nahezu unmöglich ist, ihr Kind vor seinem pädokriminellen Vater zu schützen, indem sie sich von diesem trennt. Wie Mundlos darlegt, führt der Versuch sogar oft zu einem gegenteiligen Ergebnis. Denn eine Trennung hat zur Folge, dass der Vater während der ihm vom Gericht zugesprochenen Umgangszeit „freien, uneingeschränkten, unkontrollierten Zugang zum Kind hat“. Überdies sind Gerichte der Autorin zufolge grundsätzlich der Auffassung, eine einvernehmliche Einigung der Eltern darüber, dass das Kind dem sogenannten Wechselmodell gemäß einige Tage oder Wochen abwechselnd beim Vater oder bei der Mutter ist, entspreche dem Kindswohl am meisten. Wird das Wechselmodell von der Mutter abgelehnt, weil sie ihr Kind vor dem (gewalttätigen) Vater schützen will, interpretiert das Gericht dies oft „als mangelnde Kooperationsbereitschaft“, was letztendlich dazu führen kann, dass das Kind ganz dem Vater zugesprochen wird. Wie groß diese Gefahr ist, zeigt eine von der Autorin herangezogene Erhebung des Soziologen Wolfgang Hammer, der 362 vor deutschen Gerichten ausgetragene Sorgerechtsverfahren untersuchte. In allen Fällen glaubte das Gericht „ohne jegliche Prüfung der Akten“ den Angaben der Väter und ihrer Verwandten. Die Angaben der Mütter wurden hingegen „ausnahmslos, ohne Prüfung als Falschaussagen deklariert“. Ein Untersuchungsergebnis, das fassungslos macht, sollte es denn tatsächlich zutreffen.
Jedenfalls ist Mundlos’ Buch als offenbar durchaus berechtigte Warnung vor der Ehe zu verstehen, die sich dezidiert an Frauen richtet. Es wäre wohl nicht verkehrt, wenn ehewillige Bräute vor dem Weg zum Standesamt einen Blick hineinwürfen.
Ehekritik aus queerpolitischer Sicht
Nicht nur an Frauen richtet sich hingegen Emilia Roigs grundsätzliches Plädoyer gegen die Ehe, sondern an alle. Und das heißt nicht nur an Männer und Frauen. So findet sich in dem Buch denn auch die „Triggerwarnung: In diesem Kapitel werden die soziopolitischen Kategorien ‚Frau’ und ‚Mann’ mit ‚Penis’ und ‚Vagina’ in Verbindung gebracht – ich rede von Männern mit Penis und Frauen mit Vagina und Klitoris“.
Mag diese Warnung auch vielen fehl am Platz oder zumindest überzogen erscheinen, so ist ihre Kritik an der Institution Ehe doch in weiten Teilen überzeugend. Neu ist sie, zumindest soweit sie triftig ist, allerdings nicht. Viele ihrer Einwände wurden und werden von feministischer Seite bereits seit etlichen Jahrzehnten oder länger vorgetragen. So etwa, dass die „Hauptfunktion“ der Ehe darin liegt, „die Körper der Frauen zu kontrollieren, ihre Arbeitskraft zu vereinnahmen und die patriarchale Macht aufrechtzuerhalten“.
Allerdings überschätzt Roig die Funktion der Ehe, wenn sie erklärt, dass sie „den Staat, die Nation, die Religion, die Wirtschaft, die Kultur wie keine andere Institution [strukturiert]“. Ist es nicht vielmehr umgekehrt so, dass die Wirtschaft die Ehe strukturiert und der Staat den gesetzlichen Rahmen der Ehe deren Erfordernissen entsprechend festlegt? Auch ist die Ehe zwar eine der wichtigsten Institutionen der „patriarchalen Ordnung“, ob sie aber deren „wichtigste Säule“ ist, lässt sich vermutlich kaum mit Sicherheit sagen. Jedenfalls trägt die Ehe fraglos wesentlich zur Unterdrückung der Frauen bei. Wenn Roig aber erklärt, die Ehe sei eine „obsolete[] Institution [was sie zweifellos ist R.L.], die die Ungleichheit und Unterdrückung der Frauen in unserer Gesellschaft produziert und aufrechterhält“, so klingt das, als sei sie die alleinige Ursache des Patriarchats.
Das ist sie mitnichten und sie ist auch keineswegs so „unantastbar“, wie Roig glauben machen will. So richtete sich schon Charles Fouriers um 1820 entstandene Schrift Le nouveau monde amoureux dezidiert gegen die ihm verhasste Ehe. Zu Begin des 20. Jahrhunderts haben Helene Stöckers Konzept der „Neuen Ethik“, der von dem anarchoiden Psychoanalytiker Otto Gross propagierte Sexualimmoralismus und Lebensentwürfe wie derjenige der LebensreformerInnen auf dem Monte Verità um 1900 die Ehe genauso angetastet wie die Versuche alternativen Zusammenlebens in Kommunen sieben Jahrzehnte später, die in Berlin etwa von den BewohnerInnen der Wielandkommune sowie der K 1 und K 2 erprobt wurden. Sie alle (und zahllose andere) haben damit zugleich schon längst Roigs Behauptung widerlegt, dass eine „Kritik der Ehe“ ohne eine „grundlegende Infragestellung des binären Geschlechts“ nicht möglich sei, sondern „zwangsläufig mit ihr einher[geht]“.
Überhaupt werfen Roigs Ausführungen zu den Geschlechtern einige Fragen auf und stehen zudem gelegentlich in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander. So behauptet sie einerseits „‚Frau’ und ‚Mann’“ seien keine „biologische[n] objektive[n] Kategorien“, sondern „soziale, historische und politische Konstrukte“, andererseits erklärt sie noch auf der gleichen Seite, Geschlecht sei „das innerste Selbstempfinden einer Person“.
Auch lässt sie immer wieder fragwürdige Feststellungen einfließen. So wird Mädchen schon längst nicht mehr „sehr früh vermittelt, dass Geld keine Frauensache ist“. Ebenso wenig werden Frauen „dafür angefeindet und beschämt“, wenn sie sich „für Geld [interessieren]“. Das Gegenteil ist der Fall. Allenthalben werden sie dazu angehalten, dafür zu sorgen, ihr Ein- und Auskommen und nicht zuletzt ihre Rente zu sichern.
Prostitution wiederum wird von Roig mit dem frauenfeindlichen Euphemismus „Sexarbeit“ belegt und als „offene[r] Austausch von Arbeitskraft […] gegen einen Lohn“ phantasiert; sexuelle Gewalt verharmlost sie als bloß „sexualisierte“ und Feminismus charakterisiert sie als „sozialistische […] Bewegung“. Da dürfte wohl die ganz überwiegende Mehrzahl der FeministInnen aus Vergangenheit und Gegenwart heftig widersprechen.
Dann wieder propagiert sie die längst widerlegte These vom „Mythos des vaginalen Orgasmus“ oder sie zitiert ausführlich aus einem 1966 vom Bundegerichtshof gefällten Urteil:
Die Frau genügt den ehelichen Pflichten nicht schon damit, dass sie die Beiwohnung teilnahmslos geschehen lässt. Wenn es ihr infolge ihrer Veranlagung oder aus anderen Gründen […] versagt bleibt, im ehelichen Verkehr Befriedigung zu finden, so fordert die Ehe von ihr doch eine Gewährung in ehelicher Zuneigung und Opferbereitschaft und verbietet es, Gleichgültigkeit oder Widerwillen zu Schau zu tragen.
Zweifellos handelt es sich dabei um einen an Frauenfeindlichkeit kaum zu überbietenden Richterspruch. Dass das empörende Urteil allerdings spätestens seit der 33. Strafrechtsreform von 1997, in der die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt wird, keine Rechtsgültigkeit besitzt, verschweigt Roig nicht nur, sondern erweckt durch die Kontextualisierung des Zitats den Anschein, es habe immer noch Bestand. Derlei Fahrlässigkeiten, ja Unredlichkeiten finden sich einige in Roigs Buch. Auf weitere Beispiele sei hier jedoch verzichtet
Vielmehr soll das letzte Wort Roigs Umgang mit ihren Quellen gelten. Wie sie erklärt, hat sie ihr Quellenmaterial „keiner Hierarchie“ unterworfen. Das heißt aber nichts anderes, als dass sie ihre Quellen nicht auf ihre Validität überprüft, sondern immer gerade diejenigen herangezogen hat, die ihr zupass kamen.
Wie zu sehen ist, unterscheiden sich die drei vorliegenden Bücher zur Ehe nicht nur in Form und Inhalt, sondern nicht weniger hinsichtlich ihrer Qualität.
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