Von der Magie der zufälligen Begegnung

Annika Büsing erzählt in ihrem zweiten Roman „Koller“ von einer Liebe auf den ersten Blick und einem Roadtrip durch die deutsche Provinz

Von Karsten HerrmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karsten Herrmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Koller und Chris sind zwei junge Männer, wie man sie sich gegensätzlicher kaum vorstellen kann: Koller ist nach außen selbstsicher, spontan und unabhängig, Chris dagegen unsicher, zurückhaltend und nachdenklich. Sie begegnen sich ganz zufällig in einem Park in Leipzig und sofort springt ein Funke über.

Spontan entscheiden sie sich für einen Trip an die Ostseeküste, weil Chris noch nie das Meer gesehen hat. Zuvor machen sie einen Umweg nach Ludwigsburg, wo Kollers behinderte Schwester in einer betreuten WG lebt. Dort erfährt Koller, dass er Vater einer Tochter ist. Sie ändern ihre Richtung und schlagen sich in das von Hochwasser verheerte Aartal in der Eifel durch, wo diese lebt. Nicht zuletzt, weil Koller sich plötzlich mit seiner Rolle als Vater auseinandersetzen muss, ist das Glück der Beiden bedroht – doch immer wieder kriegen sie wie der alte Polo, mit dem sie unterwegs sind, die Kurve: „Wir sind Meister des Versuchens“ sagt Chris so an einer Stelle.

Koller ist ein Roman über die Magie der zufälligen Begegnung und der daraus entstehenden Bewegungen und Verwicklungen. Annika Büsing erzählt in einem realistisch-naturalistischem Ton, der sich zuweilen etwas hölzern anhört, aber zugleich auch poetische Momente bietet. Zärtlich beleuchtet sie so den Zauber einer neuen Beziehung und zeigt in der Folge auch die lauernden Untiefen und Verwerfungen sowie die Widersprüche einer homo- oder bisexuellen Identitätsfindung.

So hat Chris immer wieder Sorge, dass Koller doch noch in das „klassische“ Familienmodell mit Vater, Mutter und Kind zurückkehrt und im Laufe des Romans zeigt sich zudem, dass der so coole Koller „klug, aber auch verzweifelt“ ist und von Chris gerettet werden will.

Formal ist der Roman mit leichten Zeitversetzungen zwischen Gegenwart und Vergangenheit und aus der Perspektive von Chris erzählt. Aus auktorialer Perspektive werden zusätzlich kurze Lebensabrisse von weiteren Protagonisten wie der verstorbenen Oma von Koller erzählt, die an der Ostseeküste ein Haus und eine nicht grade geradlinige Biografie hatte.

Annika Büsing entwirft so ein komplexes Netz aus Angehörigen, Freunden und der Vergangenheit der beiden Hauptfiguren, die in ihrer Vielschichtigkeit und auch Unsicherheit gezeichnet werden. Insgesamt macht der Roman jedoch sowohl auf der formalen wie inhaltlichen Ebene einen noch nicht ganz ausgereiften Eindruck und lässt nur phasenweise einen packenden Lese-Flow entstehen.

Titelbild

Annika Büsing: Koller.
Steidl Verlag, Göttingen 2023.
176 Seiten , 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783969991961

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch