Panik im Parkhaus

Mit seinem Roman „Die Guten und die Toten“ legt Kim Koplin ein sensationell rasantes Thrillerdebüt vor

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die aus Aserbaidschan stammende Nihal Khigarian arbeitet bei der Berliner Kriminalpolizei. Mit Affektkontrolle hat die junge Kommissarin, wie ihr Chef und ihre Boxtrainerin – Nihals Traum ist eine Olympia-Teilnahme – immer wieder anmerken, so ihre Probleme. Deshalb wundert es auch niemanden wirklich, dass sie einem überheblich auftretenden Staatssekretär aus dem Wirtschaftsministerium, nachdem der betrunken und unter Drogeneinfluss einen Unfall gebaut hat und anschließend mit ansehen musste, wie im Kofferraum seines Wagens eine Leiche gefunden wurde, kurzerhand das Nasenbein bricht. Weil der Mann aber noch mehr Dreck am Stecken zu haben scheint als mit einem toten saudiarabischen Killer an Bord Berlins Straßen unsicher zu machen, ist schnell klar, dass Nihal sich nicht vor ihm fürchten muss.

Allerdings hat ihre Heißblütigkeit Koplins sympathische Heldin kurz zuvor schon einmal in die Bredouille gebracht. Beim allmorgendlichen Joggen ist sie an einer S-Bahn-Station auf zwei Menschen, einen Vater und seine kleine Tochter, gestoßen. Flüchtlinge offenbar, die von stark alkoholisierten Randalierern belästigt wurden. Sie hat den beiden mittels Einsatz ihrer Kampfkünste aus der Patsche geholfen. Dass sich der aus Marseille nach Deutschland geflüchtete Saad, wäre die Situation eskaliert, selbst gut hätte wehren können, ist ihr dabei nicht in den Sinn gekommen. Doch der Mann mit syrischen Wurzeln trägt die Last einer Vergangenheit mit sich herum, die ihn zum Gejagten einer gefährlichen Drogenbande macht und dazu zwingt, mit eingezogenem Kopf durch sein neues Leben zu gehen, will er nicht nach dem gewaltsamen Tod seiner Frau auch noch sein eigenes Leben und das seiner Tochter Leila aufs Spiel setzen. 

Kim Koplin ist ein Pseudonym. Der Autor von bereits mehreren erfolgreichen Büchern lebt und arbeitet, wie sein Verlag in einer kurzen biographischen Notiz wissen lässt, in Berlin, Frankreich und Italien. Mit Die Guten und die Toten legt er nun seinen ersten Thriller vor. Es ist ein Roman, der mit gekonnt lockerem Ton, interessanten Figuren und einem spannungsreichen, routiniert entwickelten Plot punktet. Dazu kommen ein rasantes Erzähltempo, auf den Punkt geschriebene Dialoge, ständige Perspektivwechsel und die Fähigkeit des Autors, mit wenigen Sätzen Figuren oder Situationen so zu beschreiben, dass sie sich einprägen.

Nihal Khigarian und Saad – zwei Menschen mit Migrationshintergrund. Die eine hat es scheinbar in Deutschland geschafft, der andere muss sich immer ducken, sein wahres Ich verbergen, weil er für seine kleine Tochter verantwortlich ist. Denn was soll aus der Vierjährigen werden, wenn es denen, die ihn verfolgen und bereits seine Frau getötet haben, gelingt, ihn zu stellen? Deshalb schlägt er auch eiskalt zu, als eines Tages zwei Killer in dem heruntergekommenen Charlottenburger Parkhaus auftauchen, wo er abwechselnd mit zwei anderen Migranten Wachdienst hat. Dass die beiden gar nicht auf der Suche nach ihm sind, sondern einen ganz anderen Auftrag erhalten haben, kann er freilich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen.

Denn da gibt es ja noch jenen bereits erwähnten smarten Staatssekretär aus dem Wirtschaftsministerium, Philipp Brasch – „zwei I, zwei L, zwei P – wir nehmen, was wir kriegen können“ –, einen scheinbar unangreifbaren, weil im Politikgeschäft gut vernetzten Mann, der mit einem südwestdeutschen Waffenhersteller und einem saudischen Diplomaten ebenso illegale wie für ihn höchst profitable Geschäfte macht. Allein der Mann verschätzt sich etwas in der Gefährlichkeit der Leute, auf die er sich mit seinem Deal eingelassen hat. Denn als er es nicht sofort schafft, eine in Rotterdam aufgrund fehlender Exportlizenzen feststeckende Waffenlieferung loszueisen, verlangen die Saudis erst ihr Bestechungsgeld zurück und setzen, als das nicht nur nicht geschieht, sondern Brasch sogar noch seinen ohnehin schon deftigen Preis erhöht, zwei Killer auf den Mann an. Doch die geraten an den Falschen und der lässt ihnen keine Chance.

Zwei Leichen in einem Parkhaus, auf dessen Dach einer von Saads Kollegen zu allem Überfluss noch eine Profit versprechende Haschplantage angelegt hat. Saudische Killer, zu denen sich später ein keine Gnade kennender Abgesandter der Marseiller Drogenmafia gesellt. Eine junge Investigativjournalistin, die einem korrupten Politiker auf der Spur ist und für einen Scoop das Leben riskiert. Ein Staatssekretär mit Einfluss, aber ohne Sinn für das Maß dessen, was er sich erlauben kann. Ein Showdown, in dem die Fetzen fliegen und zu dem zahlreiche Schusswaffen sowie eine für 41,65 Euro in einem Baumarkt ausgeliehene Motorsäge noch eine kernige Hintergrundmusik hinzufügen. Selten hat man im Werk eines deutschen Thrillerdebütanten so etwas – und vor allem auf derart leicht-souveräne Art literarisch gehandhabt – gelesen.

Aber das Beste, was Kim Koplin seiner Lesergemeinde zu bieten hat, sind seine drei zentralen Figuren. Dass zwischen der schroffen Nihal, die lieber ihre Fäuste statt überzeugende Argumente benutzt, und dem auch nicht unbedingt auf eine neue Liebesgeschichte erpichten Saad von Beginn an eine besondere Chemie herrscht, merkt man schnell. Der kleinen Leila, die nichts von der Vergangenheit ihres Vaters weiß und fest daran glaubt, aus Damaskus als Kriegsflüchtling nach Deutschland gekommen zu sein, wäre es nur recht, wenn Nihal sich in Zukunft zu Vater und Tochter gesellen würde. Dass dem Trio, wenn es sich am Ende dann tatsächlich gemeinsam aus dem Staub macht, eine ruhige Zukunft bevorsteht, hofft man dennoch nicht. Denn zu gut ließen sich die Berliner Abenteuer der drei an, als dass man nicht auf eine Fortsetzung von ähnlichem Kaliber gespannt wäre. Happy-End? Okay – aber bitte eines mit Schmackes.

Titelbild

Kim Koplin: Die Guten und die Toten.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2023.
255 Seiten , 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783518473122

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