Treffen sich Wort und Bild in poetischen Teppichen

Sebastian Winkler spinnt in seinem Lyrikband „texere [weben]“ Formen, Inhalte, Wort- und Buchstabenfolgen virtuos in neue Stoffmuster ein und lotet spielerisch in seinen poetischen Artefakten Möglichkeiten konkreter Poesie aus

Von Christina BickelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Bickel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Titel von Sebastian Winklers poetisch-künstlerischer Arbeit texere [weben] verweist bereits auf die Textur der Arbeit, die aus Fäden unterschiedlicher Medien besteht – aus Wörtern, Klängen und Pausen markiert durch Leerräume, aus visuellen Bildern. Diese gehen mal spannungsreiche, mal harmonische Verflechtungen ein und nehmen den:die Rezipienten:in mit auf eine dynamische Entdeckungsreise von Bezügen, Sinndestruktionen und -konstruktionen durch visuelle und sprachlich-akustische Erprobungsfelder. Kunst, die mit eigenem Sound in Räumen tönt, grell aufleuchtet, erblasst, negiert wird. 

Der Lyrikband beginnt mit Ich wollte das nicht. Winkler spielt in dreizeiligen Strophen mit der Bedeutung der Worte des Satzes, mit verschiedenen Weglassungen, Kombinationen, Iterationen, sodass sich beim Lesen unterschiedliche Betonungen, Positionen, Negationen, Iterationen und Verschiebungen einstellen. Dadurch werden die einzelnen Wörter in ihrem Sinn, ihrer Funktion prägnant erfasst und das deiktische „so“ kann mit eigenem Sinngehalt gefüllt, sich persönlich angeeignet werden. Das Gedicht, das den Band eröffnet, kann als hermeneutischer Schlüssel dafür dienen, den Wörtern, Klängen und Bildern von Winklers Lyrik aufmerksam nachzuspüren, um den jeweiligen Sinn und die Techniken, mit denen Winkler Bedeutung konstituiert, zu erfassen.

flanieren (Wilhelmshöhe) weist bereits durch die gleichmäßig blockhafte Druckform Anklänge an eine weite, ebenso gleichmäßige Prachtstraße auf, die man entlangflanieren kann – vielleicht hat der Autor dabei ja an die Wilhelmshöher Allee in Kassel oder das Weltkulturerbe des Bergparkes gedacht. Es imitiert lautmalerisch das gleichförmige Knirschen beim Flanieren durch Aufsetzen der Schuhsohlen: „Krsch Grsch Krsch Grsch Krsch…“. Vor dem inneren Auge entsteht beim Meditieren und Klingen des Schriftbildes die Imagination eines genussvollen Spaziergängers, der einen breiten, etwas sandigen Weg gleichmäßig und leicht entlang schreitet, wie auch der Leser genussvoll klanglich und visuell durch die Texturen von Winklers Lyrik flanieren kann.

Ähnlich funktionieren auch Winklers lyrische Stücke in Form von Tischdecken in verschiedenen Stilrichtungen. Die Reihenfolge der Farbworte, die das Quadratmuster der Decke bilden, lässt vor dem inneren Auge eine weiß-rote italienische, blau-weiße griechische (es könnte auch eine bayrische sein) und eine als vatikanisch bezeichnete Tischdecke mit fünf goldenen Kreuzen, die wiederum ein Kreuz bilden, entstehen. Kontinuität und unerwartete Diskontinuität in Muster und edler Farbe des Fadens mit sakral anmutenden goldenen Kreuzen auf weißem Grund im Gegensatz zu verspielt praktischer Alltagstischdecken.

Viele weitere Beispiele ließen sich für Winklers originelle Gedichte, für seine konkreten poetischen Texturen anführen. Das kleine Büchlein der zahlreichen Nuancierungen und Verweise (auch zwischen einzelnen Gedichten) lädt auf anregende Weise dazu ein, einzelne Fäden aufzuspüren, Gesamtbilder zu weben, zu lauschen, was in diesen erklingt. Sie fordern dazu auf, sich selbst in die poetischen Kunststücke einzuspinnen und sich von den Verwandlungen von Lauten, Sinn, inneren und äußeren Bildern verzaubern zu lassen.

Würde man Winkler mit texere zu einem Künstlerwettstreit in Weberei herausfordern, ginge er sicherlich als Sieger hervor!

Titelbild

Sebastian Winkler: texere (weben).
Mit einem Nachwort von Christina Irrgang.
edition taberna kritika, Bern 2022.
126 Seiten , 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783905846645

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