Verpuffendes Erzähltalent

Leider kann sich der autobiografische Roman „Tausche zwei Hitler gegen eine Marilyn“ von Adam Andrusier nicht entscheiden, was er will: eine tragikomische Familiengeschichte erzählen oder seinen Werdegang als Autografenhändler nachzeichnen

Von Monika GroscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Grosche

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist immer das Gleiche: Adam, seine Schwester Ruth und die Mutter wollen einfach nur in Ruhe frühstücken, aber der Vater beginnt den Tag mit einem leidenschaftlichen Vortrag über die Gräueltaten der Nazis in unterschiedlichen Konzentrationslagern. Alle kennen das bereits zur Genüge und die Kinder versuchen, so gut es geht, darüber hinwegzuhören. Auch die Mutter hat keine rechte Kraft mehr, sich dagegen zu wehren und kann nur noch mit einem müden „Schon wieder die Nazis?“ reagieren. Sie und die Kinder möchten nichts anderes, als ein ganz normales Leben zu führen, wie es ihre nichtjüdischen (und auch einige jüdische) Nachbarn im Norden Londons tun.

Der Vater hingegen ist geradezu besessen davon, alles dafür zu tun, um das Gedenken an die Naziverbrechen und das Erbe der jüdischen Kultur in Europa zu bewahren – obwohl keiner seiner Vorfahren zu Schaden kam, da sie rechtzeitig nach England emigrierten, während die Großeltern seiner Frau von den Nazis ermordet wurden. Diese möchte die Vergangenheit ruhen lassen und sucht ihre Erfüllung im Modellieren von Skulpturen, er jedoch kann und will nicht loslassen. So führt seine manische Fixierung am Ende dazu, dass die Familie zerbricht.

Zu seiner Manie gehören nicht nur die permanenten Vorträge über den Nationalsozialismus. Der Vater sammelt eifrig alte Postkarten von osteuropäischen Synagogen, die im Naziterror vernichtet worden sind und stürzt sich in der Freizeit begeistert in israelischen Volkstanz, wenn er nicht gerade alberne Sketche verfasst, in denen er als chassidischer Jude auftritt, oder seine Familie mit pausenlosen Schnappschüssen (die er später verfremdet) nervt. Ganz trunken vor Begeisterung für seine Leidenschaften kreist er nur um sich selbst und kümmert sich nicht um die Bedürfnisse von Frau und Kindern.

Adam bemüht sich, die Familie zusammenzuhalten und seinem Vater klarzumachen, dass sein Tun sie alle auseinandertreibt. Doch auch wenn es vorübergehend so aussieht, als ob sich die beiden annähern, als Adam mit acht Jahren zum Autogrammsammler wird und sein Vater damit einen zweiten manischen Schatzsucher an seiner Seit wähnt, finden die beiden nicht wirklich zueinander. Der Vater ist zu sehr in eigenen Sphären verhaftet, als dass er irgendjemanden um sich herum wirklich wahrnehmen könnte. Es kommt letztendlich zum unvermeidlichen Aus, als der Vater beim israelischen Volkstanz eine neue Frau kennenlernt und die Familie fortan getrennte Wege geht. Da ist Adam inzwischen auch schon erwachsen, hat Jahrzehnte des Autogrammsammelns hinter sich und nicht ganz erfolgreich Musik studiert, um dann letztendlich den Autogrammen den Rücken zuzuwenden und ein bekannter Autografenhändler zu werden.

Der Plot des Romans Tausche zwei Hitler gegen eine Marilyn hört sich ebenso außergewöhnlich wie interessant an. Dementsprechend weckt auch der Einstieg in die zunächst ausgesprochen schwungvoll erzählte Tragikomödie einige Erwartungen an den Fortgang der Geschichte – die dann aber leider nicht wirklich erfüllt werden, obwohl das Buch von Rezensenten oder auch namhaften Autoren wie Jonathan Safran Foer und Zadie Smith geradezu gefeiert wird. Ausgerechnet das, was den Roman zu Beginn Fahrt aufnehmen lässt, wirkt nach einer Weile eher ermüdend. Der stete Wechsel zwischen den Geschichten, wie Adam zu welchem Autogramm kam (oder eben nicht) und den ungleich interessanteren Episoden aus seinem Familienleben, strengt durch die fortwährende Wiederholung an. Diese Anstrengung beim Lesen wird auch dadurch befördert, dass der Ich-Erzähler selbst meist wenig greifbar und ohne Tiefgang in seiner Entwicklung bleibt. Warum Adam spielsüchtig wird und dann aber doch davon wegkommt, worin die Bindungsprobleme zu seiner Freundin bestehen, was ihn am Klavier scheitern lässt und warum er vom Autogrammsammler zum Händler von Autografen wird – das alles wird recht oberflächlich angerissen und bleibt ausgesprochen blutleer. Emotionale Einblicke und innere Entwicklungen bleiben außen vor. Allein die Problematik, dass sich Adam von Kindesbeinen an dafür verantwortlich fühlt, die Ehe seiner Eltern bzw. das Leben seiner Mutter zu retten, wird glaubhaft und nachvollziehbar dargestellt.

Leider trifft die genannte „Blutleere“ noch stärker auf die Schilderungen seiner Sammlertätigkeit und dann seines Autografenhandels zu. Das ist umso bedauerlicher, da einige Situationen und Dialoge im familiären Umfeld geradezu hinreißend beschrieben sind. Was Andrusier auszeichnet (und hier leider nur streckenweise zum Vorschein kommt), ist nicht nur eine feine Beobachtungsgabe, sondern auch ein tiefschwarzer Humor sowie ein enormes Quantum (Selbst-)Ironie. So bleibt zu hoffen, dass es nicht bei diesem Erstlingswerk bleibt, sondern wir Weiteres von ihm erwarten dürfen, bei dem das Lesevergnügen bis zum Ende währt.

Titelbild

Adam Andrusier: Tausche zwei Hitler gegen eine Marilyn. Roman.
Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren.
Unionsverlag, Zürich 2023.
288 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783293005938

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