Judentum im Fokus eines Weltbürgers

Eva Plank leistet mit der Herausgabe von Stefan Zweigs gesammelten Schriften über jüdische Themen einen gewichtigen Beitrag für die Wissenschaft

Von Horst SchmidtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Horst Schmidt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der 1881 in Wien als Spross einer assimilierten jüdischen Familie (der Vater war ein wohlhabender Textilfabrikant, die Mutter eine bildungsbeflissene Bankierstochter) geborene und 1942 durch Freitod im brasilianischen Exil aus dem Leben geschiedene Schriftsteller und Publizist Stefan Zweig zählte bereits zu Lebzeiten zu den international auflagenstärksten Autoren deutscher Sprache. Seine zahlreichen romanhaften Biografien historischer Persönlichkeiten fesseln seit Generationen Leser in aller Welt. Die historischen Miniaturen Sternstunden der Menschheit und die Schachnovelle sowie seine Autobiographie Die Welt von gestern zählen zur Weltliteratur, in Vergessenheit geraten sind hingegen seine Gedichte und Theaterstücke.

Genauso produktiv wie als Biograf und Belletrist war der polyglotte Stefan Zweig als unermüdlicher Briefeschreiber, als Herausgeber und Übersetzer sowie als Kritiker und Publizist. Der überzeugte Kosmopolit und Pazifist verstand sich als Mittler zwischen Kulturen. Er definierte sich als in der europäischen Kultur und in der deutschen Sprache beheimateter Weltbürger mit jüdischen Wurzeln.

Bezüglich seiner jüdischen Identität, die in der umfangreichen Sekundarliteratur zu ihm erst seit einigen Jahren stärker Beachtung findet, bemerkte er 1916 in einem Brief an Martin Buber:

Es belastet das Judesein mich nicht, es begeistert mich nicht, es quält mich nicht und sondert mich nicht, ich fühle es ebenso wie ich meinen Herzschlag fühle, wenn ich daran denke und ihn nicht fühle, wenn ich nicht daran denke, aber ich weiß, dass ich doch darin ruhe und nie ihm abtrünnig sein will und werde.

Ein Jude sein, so Zweig, ermögliche ihm in einer Zeit des nationalen Irrsinns ein Gefühl von übernationaler Freiheit. Die Größe des Judentums bestehe darin, übernational zu sein und nur eine geistige Heimat anzustreben, so der Autor 1917 als einer der wenigen supranational denkenden Europäer während des Ersten Weltkrieges in einem Brief an Abraham Schwadron.

Texte von Stefan Zweig bezüglich seiner Stellung zum Judentum und vor allem zu seinen Ansichten über jüdische Schriftsteller, Künstler, Musiker und sonstige Kulturschaffende versammelt der neu erschienene Band 14 der verdienstvollen „Schriftenreihe des Stefan Zweig Zentrum Salzburg“, den die Theologin und Zweig-Forscherin Eva Plank unter dem Titel Zwiesprache des Ich mit der Welt beim Verlag Königshausen & Neumann herausgegeben hat.

Von besonderer Bedeutung ist die Tatsache, dass ein Großteil der in diesem Sammelband von Eva Plank vorgelegten Zweig-Texte bislang seit ihrer Erstveröffentlichung (häufig in heute nur schwer zugänglichen Zeitungen und Periodika) nicht mehr nachgedruckt worden ist bzw. zum Teil sogar erstmals in deutscher Übersetzung erscheint. Die Anthologie gibt also selbst Zweig-Kennern die Möglichkeit, bisher unbekannte Teile aus dem noch immer nicht vollständig erschlossenen schriftstellerischen Lebenswerk des ungemein produktiven Autors kennenzulernen.

Das Buch ist in mehrere unterschiedlich umfangreiche Teile gegliedert. Nach einer kurzen Einleitung nebst editorischen Vorbemerkungen werden zunächst Zweigs Kritiken, Nachrufe und Essays zu jüdischen Autoren meist deutscher Sprache (in alphabetischer Reihenfolge) präsentiert. Hier finden sich zwar auch Texte Zweigs über noch heute allgemein bekannte Vertreter der deutsch-jüdischen Literatur wie Alfred Döblin, Josef Roth, Jakob Wassermann, Franz Werfel oder Arnold Zweig, aber meist sind die besprochenen Autoren inzwischen weitgehend vergessen. Als Kritiker suchte Zweig offensichtlich bei den von ihm betrachteten Schriftstellern immer nach etwas, das er positiv hervorheben konnte – Verrisse waren nicht seine Sache.

Auf die Ausführungen zu jüdischen Schriftstellern folgen Texte Zweigs über jüdische Künstler und Musiker sowie kleinere Studien über Siegmund Freud, dessen Arbeiten zur Psychoanalyse großen Einfluss auf Zweig hatten und mit dem er sich auch in einer umfangreicheren Monographie auseinandersetzte. Es folgen acht Gedichte Zweigs mit jüdischer Thematik sowie mehrere autobiographische Texte, in denen er über die Bedeutung des Judentums in seinem Leben und in seinem Werk reflektiert. Der letzte Block mit Texten von Zweig versammelt Stellungnahmen von ihm zu historischen und zeitgeschichtlichen Aspekten des Judentums, insbesondere zum Antisemitismus der Nationalsozialisten, der Zweig ins Exil zwang und an seinem Freitod große Mitschuld hatte. Das umfangreiche Buch wird abgerundet durch Kurzbiographien der in Zweigs Kritiken behandelten Personen, ein Nachwort der Herausgeberin, ein Quellenverzeichnis, ein Personenregister sowie mehrere Abbildungen.

Eva Planks Edition ist ein gewichtiger Beitrag zur Zweig-Forschung. Sie zeigt zum einen die herausragende Bedeutung der jüdischen Thematik für die Publizistik Zweigs und unterstreicht zum anderen die Relevanz des Judentums für Zweigs Selbstverständnis.

Titelbild

Eva Plank: Stefan Zweig, Zwiesprache des Ich mit der Welt’. Schriften zu jüdischer Literatur, Kunst, Musik und Politik.
Königshausen & Neumann, Würzburg 2023.
576 Seiten , 49,80 EUR.
ISBN-13: 9783826077739

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