Jenseits der Kunst

Heinrich Vogeler als politischer Schriftsteller

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Politisierung der Kunst im frühen 20. Jahrhundert hat Künstler nicht zuletzt zu Autoren gemacht, und der als Jugendstilkünstler berühmt gewordene Heinrich Vogeler (1872–1942) folgt diesem Muster auf – sagen wir – aufregende Weise. Nicht ohne – man erinnert die berühmte Lenin-Sentenz – eben auch konkret zu werden: Vogeler machte nach Krieg und Revolution seinen in Worpswede gelegenen Wohnsitz Barkenhoff zu einem der Zentren eben nicht nur der künstlerischen, sondern auch der politischen Avantgarde. Schon seine künstlerischen Neuorientierungen, in denen er die weite Strecke über den Jugendstil, den Expressionismus, die abstrakte Kunst und Agitprop bis hin zum Sozialistischen Realismus abschritt (Kasimir Malewitsch lässt grüßen), machen Vogeler interessant genug. Aber erst dieses revolutionär inspirierte Experiment einer neuen Gesellschaft mit neuen Menschen lässt ihn als einen der erstaunlichsten Repräsentanten der (nicht nur politischen) Kunst im 20. Jahrhundert erscheinen.

Was sich eben nicht nur in seiner Kunst zeigt, sondern auch in seinem schriftstellerischen Werk. Walter Fähnders und Helga Karrenbrock haben nun eine Sammlung der verstreuten Schriften Heinrich Vogelers bei ihrem Bielefelder Hausverlag Aisthesis herausgebracht. Darin versammelt sind die zahlreichen Broschüren, die Vogeler im Zusammenhang mit dem Barkenhoff schrieb und publizierte, um das Projekt bekannt zu machen und auch um seine Finanzierung zu sichern.

Den zweiten Schwerpunkt der Sammlung bilden die Schriften, die im Zusammenhang der Russlandreisen und -aufenthalte Vogelers entstanden, die er halbwegs nahtlos an die Aufgabe des Barkenhoffs und dessen Übergabe an die Rote Hilfe im Jahr 1923 anschloss. Schriften zur Kunst sind in diesem Zusammenhang nur insofern entstanden, als sie die Einbettung von Kunst in die sich entwickelnde sozialistische Gesellschaft behandeln. Kunst wird hier zur Magd der gesellschaftlichen Entwicklung, die – zweifelsohne – jeweils mit Macht voranschritt.

Karrenbrock und Fähnders sehen mithin in diesen Schriften vorrangig nicht den Schriftsteller Vogeler repräsentiert, der auch Maler war, sondern den politisierten Künstler, der für seine Überzeugung einstehen wollte, und eben für das Projekt zu werben hatte, mit dem er seine politischen Überzeugungen in den frühen zwanziger Jahren am stärksten verband.

Und das war der Barkenhoff, den Vogeler in den Jahren 1919 bis 1923 zu einem Musterprojekt umwandelte, in dem das Ideal einer kommunistischen Gesellschaft, die ihn seit der Novemberrevolution umtrieb, realisiert werden sollte. Der Barkenhoff wurde zur kommunistischen Siedlung umgebaut, im Kern mit einem landwirtschaftlichen Betrieb samt angeschlossener Arbeitsschule. Die gesellschaftliche Praxis von Gleichen, die ihre Beziehungen auf Gegenseitigkeit und unter Ausschluss von Ausbeutung, Unterdrückung, Hierarchien und vor allem Kapital, Handel und Profit, sollte nicht nur entwickelt, sondern sogleich über die Arbeitsschule an die nächste Generation weitergegeben werden, der damit die Chance geboten wurde, ihr Leben von Beginn an als Freie zu verbringen.

Der Barkenhoff wurde freilich nicht in aller Stille gegründet, sondern Vogeler begleitete ihn von Anfang an mit intensiven publizistischen Aktivitäten. Denn das Barkenhoff-Experiment musste nicht nur beworben und bekannt gemacht werden, um es vor Angriffen abzusichern, es musste auch – selbst wenn im Binnenverhältnis kapitalistische Strukturen und Medien verbannt waren – im Außenverhältnis wirtschaftlich bestehen. Der Barkenhoff war ein kommunistisches Experiment, aber die Insel der Seligen braucht aus Heer der Unseligen immer noch Unterstützung genug, um zu überleben: Maschinen, Treibstoffe, Lebensmittel. Der Hof war eben nicht autark. Dazu war er zu klein. Sollte er aber auch anscheinend nicht, wenn denn sein Vorbild nach außen hin abstrahlen und Wirkung zeigen sollte.

Die Publikationen Vogelers zum Barkenhoff, die Karrenbrock und Fähnders vorlegen, zeigen denn auch einen kämpferischen und begeisterten Aktivisten, der für sein Projekt und seine solitäre Position kämpfte. Dabei wird freilich auch erkennbar, dass Vogeler sich zwar der revolutionären Bewegung, die aus der Novemberrevolution entstanden war, angeschlossen hatte, die Position und vor allem die politischen Maßnahmen der Sozialdemokratie verachtete, aber in diesen Jahren noch in deutlicher Distanz zur KP stand. Das sollte sich nach 1923 ändern.

Vogeler war mithin als Künstler Revolutionär geworden, was seinen Zugriff auf die Welt, politisch oder kulturell, deutlich beeinflusste. Bis weit in die späten 1920er Jahre hinein bestimmte ein organologisches Vokabular seine Schriften. Die kapitalistische Welt erschien ihm verfault, verdorben, von einer wesentlichen Existenzweise meilenweit entfernt. Er zahlte nicht mit kleinem Geld, ging es ihm doch um eine „Höherentwicklung der Menschheit“. Und Vogeler scheute sich auch nicht, alle Kritik an der Entwicklung einer neuen Gesellschaft und des neuen Menschen abzuweisen. Der Zerrüttungsgrad, die Krisenhaftigkeit und nicht zuletzt Gewalt der kapitalistischen Gesellschaft schien ihm derart groß, dass es keine Alternative zu einem radikalen Neuansatz gab, den es durchzusetzen galt – oder man werde untergehen: „Die Verwesung hat alle Kreise ergriffen“, heißt es etwa bei Vogeler, was sich als (fast) wiederkehrende Formel findet.

Diesen Ansatz setzte Vogeler auch in seinen Schriften über die Sowjetunion fort, insbesondere in seinem 1925 erschienenen Reisebericht Reise durch Rußland, von dem die Herausgeber der Schriften leider nur das Vorwort in die Sammlung aufgenommen haben. Nach seiner Erstpublikation 1925 ist der Reisebericht Vogelers im Jahr 1974 bei Anabas nachgedruckt worden. Derzeit ist er am am Buchmarkt nicht verfügbar, allerdings findet sich der Text online bei UB Dresden (SLUB Dresden). Lieferbar sind hingegen die Erinnerungen Vogelers sowie zwei Bände mit Gedichten (teils mit Radierungen).

Auch wenn also der eigentliche Text fehlt – bereits an dieser Einleitung lässt sich die (rhetorische) Strategie Vogelers recht genau ablesen: Nur der, der an diesem sozialistischen Experiment teilnimmt, kann angemessen darüber reden. Weder der „vorübergehende Spaziergänger“ noch die „Überradikalen“ sind dazu berechtigt. Die Entwicklung der kommunistischen Gesellschaft ist Sache des Proletariats allein, und es ist sein Privileg darüber selbst zu bestimmen: „Das unbeirrte Wachstum der kommunistischen Gesellschaft in Rußland auf der Grundlage der Diktatur des Proletariats ist Sache des Proletariats“. Eine solche in Richtung des totalitären Exzesses leider allzu offene Position mag heute wahlweise naiv oder anachronistisch oder eben sehr machtbewusst erscheinen. Das ändert freilich nichts an der Bedeutung dieses Künstlers, seiner Schriften und nicht zuletzt daran, dass in diesen Schriften die Idee einer anderen Gesellschaft (und deren Notwendigkeit) deutlich genug ist. Die offensichtlichen Fehlurteile und Irrtümer sind nicht Vogeler allein anzulasten, sondern vor allem der gewalttätigen Gesellschaft, in der er lebte – nenne sie sich bürgerlich, kapitalistisch und eben auch sozialistisch.

Titelbild

Heinrich Vogeler: Schriften.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2022.
292 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783849817794

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch