Wer hat eigentlich die Hosen an?

Kerstin Wolffs Band „Tomate, Fahrrad, Guillotine“ wirft anhand von dreißig Gegenständen Schlaglichter auf die Frauengeschichte

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dreißig Gegenstände werden von der Historikerin Kerstin Wolff herangezogen, um einige Schlaglichter auf die Geschichte zumeist deutscher Frauen zu werfen. Die ausgewählten Objekte bieten sich dazu an, weil sie entweder in der Frauengeschichte eine bedeutende Rolle spielten oder aber Frauen für deren Geschichte wichtig waren. Dabei sind diese dreißig ‚Gegenstände’ keineswegs ausnahmslos materiell, was ja eigentlich eine wesentliche Eigenschaft eines solchen ist. Oder nicht? Immerhin lässt sich auch etwas zum Gegenstand einer Diskussion machen.

Wolff hat die Texte anhand der behandelten Gegenstände alphabetisch angeordnet und jedem der Artikel zwei bis vier Literaturhinweise „zum Weiterlesen“ beigefügt. Das ist sehr erfreulich, denn die Artikel regen dazu an, sich näher mit ihrem jeweiligen Gegenstand zu befassen. Die Künstlerin Tatjana Prenzel hat das Buch mit zahlreichen, bis in die Farbgebung hinein sinnreichen Illustrationen ausgestattet. Besonders sprechend ist etwa diejenige zum Ehering.

Manche der behandelten Gegenstände scheinen sich für ein solches Buch geradezu aufzudrängen, wie etwa das Korsett oder das Spekulum. Die Aufnahme anderer kann Verwunderung auslösen, so etwa die des immer noch männlich konnotierten Autos. Es ist übrigens nicht das einzige Gefährt, das behandelt wird. Auch das Fahrrad ist aus gutem Grund vertreten, denn seine Erfindung ermöglichte Frauen „eine neue Bewegungsfreiheit und eine enorme Ausdehnung ihres Aktionsradius“.

Was aber das Auto betrifft, so stand am Beginn von dessen sich nun womöglich langsam zu Ende neigender Karriere eine Frau. Da sich ihr Mann Carl nicht traute, fuhr Bertha Benz 1888 als erster Mensch eine längere Strecke von rund 100 Kilometern mit der von ihm erfundenen ‚Kutsche’, die nicht von Pferden gezogen werden musste, und bewies damit die Funktionsfähigkeit des Gefährts. Warum aber heißt die berühmte Marke dann Mercedes Benz und nicht Bertha Benz? Das wiederum hängt mit der Tochter des österreichischen Autohändlers und Rennfahrers Emil Jellinek zusammen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Ebenfalls männlich konnotiert ist wohl noch immer die Hose. Von ihr zu sprechen war für Frauen noch im 19. Jahrhundert unziemlich. So wurde die Frauenrechtlerin Anna Papritz als junges Mädchen von ihrer Mutter geohrfeigt, weil sie das böse Wort in den Mund genommen hatte, und die Bundestagsabgeordnete Lenelotte von Bothmer löste noch 1970 einen Skandal und veritablen Shitstorm aus, weil sie sich erdreistet hatte, mit diesem doch den Herren vorbehaltenen Kleidungsstück eine Rede vor dem Hohe Haus zu halten.

Der Kaffeefilter wiederum wurde nicht etwa aufgenommen, weil es in Heim und Büro von Alters her der Frau oblag, den Kaffee zu kochen, sondern weil es eine Angehörige des weiblichen Geschlechts war, welche die Idee zu dieser bahnbrechenden Neuerung hatte. Die Dresdenerin Melitta Bentz erfand 1907 den Kaffeefilter. Er trägt noch heute ihren Namen. Ebenfalls von einer Frau erfunden wurde das (zweischalige) Spekulum. Die Französin Marie-Anne Victoire Gillain Boivin hat es Anfang des 19. Jahrhunderts erdacht.

Das Kopftuch war, wie Wolff darlegt, noch nie „ein (einfaches) Stück Stoff“, sondern zeigte schon in der Antike „die gesellschaftliche Stellung, die Zugehörigkeit zu einer religiösen Tradition oder den Zivilstand der Trägerin“ an. Oder auch des Trägers, wie dies etwa zur Zeit der Pharaonen der Fall war. Auch ein anderer Gegenstand verrät den Stand der ihn tragenden Person: „Der Ehering“. Wie Wolff informiert, war er zur Zeit des Römischen Reiches zumeist aus Eisen und wurde nur von Frauen getragen. Denn das „patriarchale[] Besitzsymbol“ zeigte an, dass seine Trägerin „bereits einem Mann ‚gehörte’“. Dass die Ehe heute hingegen ein „Bund“ sei, der „auf gegenseitiger Liebe und Zuneigung“ basiert, betrachtet diese Institution jedoch wohl durch eine allzu rosarote Brille.

Bei einigen der Artikel wie etwa „Der Paragraph“ oder „Die Pille“ erübrigt es sich, in ihrer Überschrift näher zu spezifizieren, von welchem Paragraph und welcher Pille sie handeln. Es versteht sich von selbst. Ebenso bei „Der Tag“. Sollten doch Zweifel herrschen, welcher Tag denn nun gemeint ist, so sei versichert: Der Muttertag ist es nicht. Was es aber mit dem „Skull“ auf sich hat und was das überhaupt ist, dürften allenfalls WassersportlerInnen bestimmter Disziplinen wissen.

Zu den nichtmateriellen Gegenständen zählt die längst veraltete Anrede „Fräulein“, eine Bezeichnung, die von Frauenrechtlerinnen schon im ausgehenden 19. Jahrhundert abgelehnt wurde, wobei die scharfsinnige Feministin Anita Augspurg auf die Paradoxie hinwies, dass die mit dem pejorativen Diminutiv bezeichnete unverheiratete Frau tatsächlich zu dieser Zeit weit mehr Rechte und Freiheiten genoss als die völlig entmündigte Ehefrau.

Darum scheint es auch etwas fraglich, ob die damals zahlreichen Dienstmädchen von „viele[n] Hausfrauen […] ziemlich skrupellos aus[gebeutet]“ wurden, wie Wolff im Artikel „Der Dienstmädchenausweis“ meint. Waren es nicht vielmehr die Hausherren, die in jeder Hinsicht nicht nur über das Gesinde, sondern auch über ihre Ehefrauen bestimmen konnten, denen sie das „schmale Haushaltsgeld“ gaben, von dem auch die Dienstmädchen bezahlt wurden? Es ist ja auch nicht der Vorarbeiter, der die ihm unterstellten Arbeiter ausbeutet, sondern der Fabrikbesitzer, der sich an dem einen ebenso wie an den anderen bereichert. Und der Hausherr hatte darüber hinaus nicht nur die Verfügungsgewalt über die Arbeitskraft der Dienstmädchen, sondern auch über ihre Sexualität. Nicht selten schwängerte er (oder sein heranwachsender Filius) sie und jagte sie anschließend mit Schimpf und Schande aus dem Haus.

Aus dem Haus beziehungsweise aus der Abteilung einer Firma gejagt wurden auch menstruierende Frauen und das noch in den 1960er Jahren. Der Inhaber einer nicht genannten Fotofirma glaubte nämlich, dass sich der Schweiß von Frauen während der Periode ändere und schwarze Flecken auf den Bildern hinterließ. Ebenso unbekannte wie unglaubliche Informationen bietet Wolffs Band einige. Sachliche Versehen unterlaufen ihr kaum, und wenn doch einmal, sind sie nicht sehr bedeutend. Allenfalls, dass sie den Berliner Aktionsrat zur Befreiung der Frauen mal als „Aktionsrat zur Befreiung der Frau“ bezeichnet.

Wolff und Prenzel haben ein ebenso schönes wie informatives Buch zum Schmökern und Blättern geschaffen, das sich nicht zuletzt als Geschenk anbietet. Eines, das frau sich auch selbst machen kann. Und sei es zum Muttertag. Besser aber noch zum Frauentag oder überhaupt jedem beliebigen Tag des Jahres.

Titelbild

Kerstin Wolff: Tomate, Fahrrad, Guillotine. Eine kurze Frauengeschichte in 30 Objekten.
Knesebeck Verlag, München 2023.
191 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783957286932

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