Mit ungewöhnlicher Offenheit und Angriffslust

Norman Mailers selbstkritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Werk

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der amerikanische Schriftsteller Norman Mailer (1923-2007) hatte mit seinem 1948 erschienen Erstlingswerk, dem Antikriegsroman The Naked And The Dead (dt. Die Nackten und die Toten, 1950), einen Riesenerfolg. Der Autor, der darin seine eigenen Fronterfahrungen verarbeitet hatte, wurde quasi über Nacht zu einer Größe in der amerikanischen Literaturszene und schnell auch weltberühmt. Nach dieser enthusiastischen Aufnahme musste er jedoch mit den beiden nachfolgenden Romanen Barbary Shore (1951, dt. Am Rande der Barbarei, 1952) und The Deer Park (1955, dt. Der Hirschpark, 1956) ernüchternde Rückschläge hinnehmen. Und so sollte es noch zehn Jahre dauern, bis er mit An American Dream (1965, dt. Der Alptraum, 1965) seinen nächsten Roman vorlegte.

Dazwischen veröffentlichte Mailer das Bekenntnisbuch mit dem ungewöhnlichen Titel Advertisements for Myself (1959, dt. Reklame für mich selber), ein Sammelband mit Belletristik, Essays, Versen und Fragmenten, die er mit autobiografischen (hier kursiv gedruckten) Kommentaren versah. Es ist die Bestandsaufnahme eines gegen das Establishment gerichteten Autors und zugleich die Suche nach seinem weiteren schriftstellerischen Weg und seinem persönlichen literarischen Stil. Außerdem sind einige Texte aufgenommen worden, die sonst nirgendwo im Werk von Mailer zu finden sind.

Der Band ist in fünf Teile gegliedert, die chronologisch einzelnen Schaffensperioden gewidmet sind. Der Abschnitt Beginnings (dt. Anfänge) enthält Mailers früheste Werke, die während seines Studiums in Havard entstanden waren; so die Erzählung A Calculus at Heaven (dt. Eine Rechnung mit dem Himmel), die 1944 in der Sammlung Cross Section: A Collection of New American Writing abgedruckt wurde. Es war die erste Auseinandersetzung Mailers mit dem Krieg und steckte bereits den Rahmen und den Schauplatz ab für Die Nackten und die Toten. Die Geschichte The Greatest Thing in the World (dt. Das Größte auf Erden), mit der er 1941 den ersten Platz bei einem Wettbewerb des angesehenen New Yorker Magazins Story gewonnen hatte, war ihm jetzt allerdings peinlich.

Im zweiten Abschnitt Middles (dt. Aus der Mitte) setzte sich Mailer mit dem „Misserfolg“ des verflixten zweiten Werkes, seinem Roman Barbary Shore, auseinander, der für ihn zum falschen Zeitpunkt erschien. Die Medien waren nicht interessiert an Dekadenz und sexuellen Übertreibungen. Außerdem enthält dieser Abschnitt Kurzgeschichten, die Mailer schrieb, in der Hoffnung, an den Erfolg seines Bestsellers The Naked and the Dead anknüpfen zu können: u.a. The Language of Men (1953, dt. Die Sprache der Männer), The Notebook (ca. 1953, dt. Das Notizbuch) oder The Man Who Studied Yoga (1952, dt. Der Mann, der Joga studierte).

Während der dritte Abschnitt Births (dt. Geburten) größtenteils aus einigen Beiträgen und Kolumnen besteht, die Mailer für die Zeitschriften Time, Newsweek, One sowie The Village Voice geschrieben hatte, ist der vierte Teil Hipsters eine kritische Auseinandersetzung mit der Kulturbewegung der Beat-Generation. Neben dem äußerst kontroversen Essay The White Negro (1957, dt. Der weiße Neger) besteht dieser Abschnitt aus einer Reihe von Anzeigen, Austauschgesprächen, Interviews und Essays. Das Interview Hip, Hell and The Navigator (6. Mai 1958), in dem Mailer auch seine Ansichten über Hip als Religion darlegte, wurde allerdings nicht von ihm verfasst, sondern von dem Interviewer und Schriftsteller Richard G. Stern (1928-2013).

Im letzten Teil Games and Ends (dt. Spiele und Ergebnisse) präsentierte Mailer neben Kurzgeschichten, dem Fragment eines Schauspiels, zwei Gedichten, einer Studie über Picasso auch einige kritische Kommentare zu vielen seiner Schriftstellerkollegen (James Jones, Truman Capote, Jack Kerouac, Saul Bellow, J.D. Salinger, Paul Bowles und andere), wobei er manchmal zu einem Rundumschlag mit beißendem Urteil ausholte. Den Abschluss bildet die Erzählung The Time Her Time (dt. Die schönste Zeit ihres Lebens) aus dem Jahre 1958, die hier erstmals veröffentlicht wurde.

Advertisements for Myself markiert den Neustart nach einer existenzbedrohenden Schaffenskrise. Selbstkritisch betrachtet der exzentrische und selbstgefällige Mailer die letzten „drei oder vier Jahre unfruchtbarer Arbeit, mangelndes Selbstvertrauen, feiges Freundlichtun und Anfälle von Flegelhaftigkeit“. Er war sich bewusst, dass er den Erwartungen, die er einst geweckt hatte, nicht gerecht geworden war. Nun wollte der 36-Jährige einen Neuanfang finden, denn er erkannte „die Leblosigkeit“ seines Schreibstils der letzten Werke.

Die Essays in diesem außergewöhnlichen Band der Eigenwerbung widerspiegeln die Entwicklungskämpfe eines Schriftstellers zwischen Angst vor dem Scheitern und kommerziellen Erfolg, zwischen gekränkter Eitelkeit und verletztem Stolz. Neben der Ehrlichkeit und der Selbstverherrlichung der Autobiographie sind sie auch energische Angriffe auf die Gesellschaft und die amerikanische Literaturszene. Mailer vermittelte den LeserInnen seine Sicht auf sein Schreiben, andere Schriftsteller und die Lage der Nation. Obwohl Advertisements for Myself viele positive Kritiken erhielt, war die Nachfrage zunächst recht bescheiden. Später galt es als ein Höhepunkt von Mailers literarischer Karriere.

Reklame für mich selber erschien 1963 erstmals in deutscher Übersetzung im Herbig Verlag. Nach fast sechzig Jahren wurde die Ausgabe nun in die Neu-Edition der Werke (bisher elf Titel) Norman Mailers des Langen Müller Verlages übernommen.

Titelbild

Norman Mailer: Reklame für mich selber.
Aus dem Amerikanischen von Werner von Grünau und Wilfried Sczepan.
Langen Müller Verlag, Stuttgart 2021.
672 Seiten , 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783784435947

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