Erben einer Hochkultur im tödlichen Kampf gegen ein IT-Unternehmen
„Im Netz“ mörderischer Intrigen verfangen sich die Chefs eines übermächtigen Tech-Unternehmens und die Nachfahren der Inka in Tonio Walters neuem Kriminalroman
Von Rainer Rönsch
Der spannende und hochaktuelle Kriminalroman von Tonio Walter beginnt und endet in Peru. Zu Beginn liegt ein Toter an einer weltberühmten archäologischen Fundstätte der Inka-Kultur, der astronomisch ausgerichteten Ruinenstadt Machu Picchu. Vom Fremdenführer im Roman wird dies als „großer Gipfel“ übersetzt, von Wikipedia und Künstlicher Intelligenz als „alter Berg“. Der Tote hält sein Herz in den Händen. Am Ende begegnet man am gleichen Ort drei Menschen, deren Herzen füreinander schlagen, nachdem sie knapp einer tödlichen Katastrophe entgangen sind.
Dazwischen entfaltet der Autor sprachlich überzeugend eine ungemein spannende Handlung. Manch ein Jurist, mit dem Strafrecht und der Kriminalität vertraut und professionell auf klare und logische Sprache ausgerichtet, hat hervorragende Krimis verfasst. Man denke an Louis Begley, John Grisham, Bernhard Schlink, Ferdinand von Schirach und Don Winslow.
Der Strafrechtsprofessor und Revisionsrichter Tonio Walter, der 2015 die Kleine Stilkunde für Juristen vorlegte, schreibt nicht nur klar und logisch, sondern auch originell und bildreich. „Die Sonne war aus dem Orchestergraben gestiegen und hatte die Bühne betreten.“ Dieser für einen Krimi ungewöhnlich erste Satz weckt Hoffnungen, die voll erfüllt werden. Die genaue und detailreiche Schilderung von Schauplätzen – Interieurs wie Landschaften – erinnert an die Meisterschaft der britischen Autorin P. D. James. Auch kann dieser Autor über Innigkeit schreiben, ohne in Kitsch oder Softporn zu verfallen: „Sie führte ihre und seine Hände zwischen ihre Knie und hielt sie mit den Knien zusammen.“
Die Psyche seiner Protagonisten bringt uns der Autor nahe, wenngleich man sich eine stärkere Differenzierung der drei „College Boys“ gewünscht hätte. So heißen in der IT-Branche die Chefs eines auf weltweite Monopolstellung ausgerichteten Unternehmens, sämtlich Studienabbrecher und exzellente Könner. Gemeinsam, wenn auch graduell unterschiedlich, ist den dreien (Mark, Bill und Steve) die Kluft zwischen hochentwickelter Intelligenz und mangelndem Verantwortungsbewusstsein. Ihre Firma PINE ist drauf und dran, ein weltumspannendes Überwachungsnetz zu errichten, das sämtliche Personenbewegungen und im Netz geäußerte Meinungen erfasst. Die technischen Grundlagen der „ortsbezogenen Anwendungen“ ähneln dem, was man von Meta, Google und Konsorten kennt oder noch zu erwarten hat. Darüber hinaus sind stationäre Luftschiffe in der Stratosphäre geplant, die riesige Gebiete mit überwachbarer Telekommunikation versorgen. Der Autor setzt nicht in jedem Fall böse Absicht voraus, sondern kennzeichnet manche Erfindungen als Ergebnisse zunächst nur spielerischen Einfallsreichtums. Er gesteht den drei Chefs sogar Gewissensbisse zu, die aber rasch dem Drang nach Profit und Prestige unterliegen.
Dabei geht auch das Urvertrauen zwischen den drei Partnern verloren. Mark Flag (der einzige, dessen Familiennamen wir erfahren) hat eine nur ihm unterstehende Sicherheitsabteilung in der Firma geschaffen. Als ein Datenleck deutlich wird, verdächtigt er Steve und lässt ihn umbringen. Wie es Bill ergeht, sei hier nicht verraten.
Als PINE die peruanische Regierung als Kunden gewinnt, macht sie sich eine Untergrundbewegung des Landes zum Feind, die unter dem Slogan „Die Inka sind erwacht!“ einen tödlichen Kampf gegen die Erben der europäischen Eroberer und ihre inländischen Handlanger führt. Mitten in die Auseinandersetzungen geraten ein deutscher Professor und seine französische Partnerin, weil sie zufällig einen Mitarbeiter von PINE kannten. Beide sind auch dann ihres Lebens nicht sicher, als die Inka-Erben sie als harmlose Touristen eingestuft haben.
Es kommt zur Katastrophe. Menschgemachter Horror wie Verrat und Auftragsmord, Folter und Leichenschändung gehen einem gewaltigen Erdbeben voraus. Die Urkraft der entfesselten Naturgewalten bringt einige Mörder um. Mark Flag kommt zunächst ungeschoren davon. Parallelen zwischen ihm und Al Capone ergeben eine amüsante Lektüre, die schlussendlich auch noch den Gerechtigkeitssinn befriedigt.
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