Poetische Spaziergänge am Bodensee
Martin Walser schenkt in dem Gedichtband „Fisch und Vogel lassen grüßen“ der Schönheit der Natur weiten Raum
Von Thorsten Paprotny
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseMartin Walsers Sprache streifte schwebend auch in seinen kunstvoll gewebten Erzählungen die Denkräume der Lyrik. Der in Nußdorf bei Überlingen am Bodensee lebende, mittlerweile 96 Jahre alte Schriftsteller hat existenzielle Phänomene und manches Naturkundliche dichtend wahrgenommen und bedacht, mitnichten zu Ende interpretiert oder gar mit einer Botschaft versehen. Walser lässt die Natur sein, ist dankbar, schaut zu und sinniert darüber, auch über geliebte Mitmenschen: „Auf Deiner Haut gedeihen meine Träume …“ Wer solches liest, ahnt und hofft auf eine romantische Begebenheit. Doch Walser sorgt auch gelegentlich für Ernüchterungen, denn die Träume, die auf der Haut gedeihen, können bisweilen Albträume sein, sogar am Bodensee. Ein gewisses Maß an Realismus bleibt, ohne eine Spur von Resignation:
Über den silbernen Septembersee gleitet
ein Katamaran. Die Möwen schreien
den Winter herbei. Ich bin verpflichtet
zuzuschauen, bis es anfängt zu schneien.
Die Rufe der Möwen vernimmt das lyrische Ich, doch wovon künden sie? Der Katamaran gleitet dahin, die auffliegenden Vögel rufen. Auf den Spätsommer und den goldenen Herbst folgt der Winter, und der Zuschauer bleibt, seine Zeit ist noch nicht gekommen. Er altert, aber gelassen, sich verpflichtet wissend. Vielleicht fragt sich mancher: warum geht er nicht einfach, wenn es am schönsten ist? Das lyrische Ich darf nicht entschwinden, es bleibt „verpflichtet“ – und wer weiß, ob es nicht noch viel schöner sein wird am „silbernen Septembersee“, wenn es zu schneien beginnt. Walser beschreibt die Atmosphäre, stimmungsvoll, ohne jede plakative Botschaft, so in „Das Leben als Stimmung“:
Ich liebe den Leerlauf des Winds
durch die Bäume, das Rauschen
für nichts. Mich ergreift die Eitelkeit
der Wolken, die den Augenblick
beherrschen wie für immer und
dabei vergehen.
Wird hier Vergängliches zum Gleichnis? Vor eindeutigen Deutungen gilt es sich zu hüten. Walsers lyrisches Ich bekennt sich als Liebender, der sich nicht auf etwas Gegenständliches oder eine Person ausrichtet, sondern dem Rauschen des Windes zugetan ist, davon liebevoll berührt. Majestätische Wolken gleiten dahin, eine weiße Pracht am blauen Himmel sehen wir lesend vor uns, über uns, ziehen hinfort und verschwinden. Der Betrachter schaut bewundernd nach droben, der „Leerlauf des Winds“ darf geliebt sein, die Landschaft betört: „Der See schaufelt Licht / durch die Bäume, / in das Haus strömt die Helle / wie ein Ereignis, wir leben.“ Besondere, besonders lichtreiche Momente erhellen das Leben, schenken leise, innere Freude, mehr als ein Geschenk, geradezu ein „Ereignis“ ist es, zu leben, dafür dankbar zu sein, dies hier an einem besonderen Ort wie dem Bodensee.
Die Natur lädt ein zu Besinnung und Nachdenklichkeit, der „graue Herbst“ lehre das Schweigen „im Nebel“, vor dem niemand sich fürchten muss. Der Nebel erscheint nicht bedrohlich, luftig, bietet Möglichkeiten, sich zu verbergen und im Verborgenen zu leben. Die Nebelschwaden verändern die Wahrnehmung der Landschaft, auch der Betrachter nimmt sich neu in den Blick: „Solange ich noch Stimmen hör, / werd ich mich entfernen.“ Der Rückzug beginnt, der Dichter beschreibt seine Bewegungen, durch den Nebel hindurch, der die Möglichkeit zu einem leisen, lautlosen Verschwinden eröffnet – anderswohin, vielleicht in den nächsten September hinein:
Sonne und Wind spielen mit Bäumen,
der See stellt sein Rauschen dazu,
großer September, dir das Denkmal zu bauen,
dass du nicht ungerührt vergingst.
Mit einer poetischen Leichtigkeit schreibt Martin Walser vom nahenden Herbst, dem „großen September“, eine melodische Atmosphäre am See, in der nachhallt, nachklingt, das Leben noch nicht erloschen ist und rauschhafte Momente möglich sind, die inwendig berühren, sodass auch der September „nicht ungerührt“ vergehen darf. Der Literat schwärmt von der Landschaft, in der er heimisch geworden ist und in der er bleiben möchte – „nirgends wäre ich lieber, wenn’s / überall so wäre wie hier“. Walsers Sehnsucht heißt: zu Hause sein, noch ein wenig verweilen zu dürfen – am Bodensee, aus dem bisweilen ein „ewiges Licht“ hervorzuleuchten scheint. Aus etlichen Werken von Martin Walser sind diese naturnahen Gedichte und gedankenvollen Dichtungen zueinander gefügt, liebevoll arrangiert und verflochten. Diese poetischen Spaziergänge am Bodensee sind Zeugnisse einer tiefen Dankbarkeit für die Schönheit der Natur.
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