Innenansichten eines mürrischen Mädchens
Simone Atangana Bekonos Debütroman „Salomés Zorn“ verzeichnet sprachgewaltig den Alltagsrassismus in den Niederlanden
Von Bernhard Walcher![RSS-Newsfeed neuer Artikel von Bernhard Walcher](/rss/rss.gif)
Simone Atangana Bekonos Vater stammt aus Kamerun, ihre Mutter aus den Niederlanden und ihr Debütroman literarisiert ganz sicher zahlreiche ihrer eigenen Erfahrungen mit Ausgrenzung und Rassismus. Aber die Erzählerin des Textes, Salomé Atabong, hat nur ein paar Silben mit dem Nachnamen der realen Autorin gemein. Ansonsten ist sie eine eigenständige, erfundene Figur mit einer eigenwilligen Sprache und einem geradezu suadahaft-monologisierenden Erzählstil. Nach jahrelangen, rassistischen Demütigungen beherzigt die Heldin einmal den Ratschlag ihres Vaters, ihre Wut mit Gewalt an einem Punchingball zu kompensieren und landet dafür für sechs Monate im Gefängnis, weil sie ihren Zorn nicht am Ball, sondern direkt an dem Jungen entlädt, der der Urheber ihres Zorns gewesen ist. Im Gefängnis gerät sie ausgerechnet an einen psychologischen Betreuer, der selbst in seinen alltagsrassistischen Ressentiments gefangen ist, sich für das hier von Salomé Erzählte und Erzählen selbst aber als besonders geeigneter Gesprächspartner erweist, insofern sich die Protagonistin an ihm mit all ihrer Wut und ihrem Unverständnis gegenüber einer ihr feindlich gesinnten Gesellschaft abarbeiten kann.
Der Roman, den die Autorin bewusst nicht in die Nähe der florierenden Gattung der Autofiktion oder Autosoziobiographie rückt, beginnt mit einer Erinnerung an jugendliche Jahre mit noch kindlicher Gewalt und Sadismus, bei der sich die Ich-Erzählerin an ein vergangenes Ich erinnert („Bin ja eh nicht ich“), das bereits den Grad der Selbstentfremdung markiert, aber eben auch ihr zukünftiges Instrument der Bewältigung von erfahrenen Demütigungen und Verletzungen beschreibt. Die den Text strukturierende und immer wiederkehrende Vorstellung von dem, was eine „andere Salomé“ machen würde, ist weniger Vision oder Plattitüde, sondern stellt sich in die literarische Tradition adoleszenter Literatur à la Rimbaud („Ich ist ein anderer“) und formuliert damit die Frage danach aus, wer man im Leben eigentlich und warum geworden ist – und dass es für manche nicht zuletzt aus sozialen Gründen kein Zurück mehr geben kann. Die Haft wird für die Protagonistin zur Erkundung des Inneren und auch dessen, was einen eigentlich so wütend macht und gemacht hat.
Manche Bilder in diesem Roman sind nicht unbedingt schief, bisweilen aber aufdringlich und wirken an manchen Stellen wie nach einer Art Baukastensystem angeordnet. Die bewusst sich am Mündlichen orientierende Sprache wirkt oft knallhart und will auch so sein, doch entwickelt sie sich nicht immer überzeugend aus der Plausibilität der Figur heraus, sondern ist allzu oft (nur) rückgebunden an das Setting und das Milieu. Auf überzeugendere Weise gelingt es da Behzad Karim Khanis Debütroman Hund, Wolf, Schakal, die Sprache der Straße authentisch zu fiktionalisieren.
Das Spannungsverhältnis von zornig vorgetragener (Selbst-)Anklage und implizit ja auch miterzählter Rettung – insofern die Erzählerin ihre Wut artikulieren kann und eben nicht verstummt – gerät bisweilen in eine Schieflage, die zeigt, dass die Autorin literarisch zu experimentieren versucht, ihre Form aber nicht gänzlich gefunden hat. Intertextuelle Verweisstrukturen auf den antiken Stoff von Paris und Helena oder auf John Steinbecks Roman Früchte des Zorns wirken unmotiviert und erschließen sich in ihrer Bedeutung für Salomés Weltsicht und Lebensauffassung nicht vorbehaltlos.
Gleichwohl darf Bekonos Debütroman als ein niederländisches Pendant zu Behzad Karim Khanis Roman gelten. Beide Texte zeigen die Problematik von Integration und prekären Milieus, beide Texte scheuen nicht vor der schonungslosen Darstellung von exzessiver Gewalt zurück, deren verheerende physischen wie psychische Folgen dem Leser vorgeführt werden und diesen oft genug ratlos zurücklassen, wenn es um die Analyse der Herkunft von Gewalt und Gegengewalt geht.
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