Menschliche Maschinen
Caitlin Rosenthal untersucht in „Sklaverei bilanzieren“ die Managementtechniken großer Sklavenhalterbetriebe
Von Walter Delabar
Das Thema der Studie der amerikanischen Wirtschaftshistorikerin Caitlin Rosenthal ist die Bilanzierung der Sklaverei. Gegenstand sind Sklavenplantagen auf Jamaica und der amerikanischen Südstaaten des 18. und 19. Jahrhunderts, deren Aufzeichnungen und Berichte sie ausgewertet hat. Das führt sie zu der Erkenntnis, dass Sklavenplantagen kein Hort rückständigen Managements waren, sondern sich, ganz im Gegenteil, in ihren Methoden als besonders innovativ und modern erweisen. Wobei dieses Attest den Unterwerfungs- und Gewaltaspekt der Sklaverei unter Einschluss des humanen Desasters, für das sie stehen, einschließt.
Die Erkenntnis, dass die Sklaverei in der Entwicklung moderner Ökonomien eine zentrale Rolle einnimmt, hat sich mittlerweile halbwegs durchgesetzt. Rosenthal schließt an diesen Blick auf die Sklavenhaltergesellschaften an, attestiert den auf Sklaverei beruhenden agrarischen Betrieben aber effiziente und im Vergleich zu den sich erst entwickelnden Industrien avancierte Management- und Bilanzierungsmethoden.
Im Kern dieses Ansatzes steht der Umstand, dass die Plantagen auf menschliche Ressourcen direkt und unvermittelt zugreifen konnten: Sklaven waren Eigentum der Betreiber und konnten sich nur bedingt der Ausnutzung ihrer Arbeitskraft entziehen, mehr noch, sie waren mit ihrem gesamten Lebenszusammenhang den Sklavenhaltern ausgeliefert. Die Sklavenhalter hätten deshalb, so Rosenthal, aus ihren Betrieben unter Einschluss der Sklaven funktionierende soziale „Maschinen“ entworfen – ein perverser Arbeitgebertraum, mag man aus heutiger Sicht sagen.
Dazu nutzte das Management der Plantagen Bilanzierungs-, Berichts- und Aufzeichnungssysteme, die im Grundsatz bereits vorlagen, aber auf ihre Belange angepasst wurden. Sklaven wurden inventarisiert und kapitalisiert, soll heißen, es wurden detaillierte Verzeichnisse über den Sklavenbestand geführt, die Qualität, Leistungen, Einsatzbereiche und Verfügbarkeit der versklavten Arbeitskräfte wurden festgehalten, sie wurden – nicht anders als andere Produktivmittel – als Investitionen verstanden, die einen bestimmten Wert hatten und die Wertveränderungen unterlagen, bis hin zum Marktwert, der in der Bilanz der Plantagen mitzuteilen war. Gerade für die Bestimmung des Marktwertes von Sklaven in den Südstaatenplantagen nutzte das Management zudem Verfahren, die auch für andere Waren und Güter verwendet wurden und mit denen verschiedene Qualitätsstufen bestimmt werden konnten.
Um Sklaven derart nutzen zu können, waren sie einem strengen Regime zu unterwerfen. Dabei stand im Zentrum ihre Qualität als Eigentum der Betreiber, die sie beinahe unbeschränkt der Gewalt der Sklavenhalter unterwarf. Unbotmäßige Sklaven wurden ebenso bestraft wie Sklaven, die den Arbeitseinsatz verweigerten, geflohen waren oder vorgegebene Zielmarken verfehlten und unterliefen. Alternativ motivierten Betreiber Sklaven mit Anreizsystemen zu Mehrleistungen. Das erhöhte zwar die Kosten. Andererseits schuf das Straf- und Gewaltsystem der Sklavenhaltergesellschaften andere Probleme wie die zeitweise Wertminderung des Humankapitals bis hin zum Wertverlust, wenn nicht die Sklaven sich dem Zugriff insgesamt entzogen. Rosenthal weist immer wieder auf die hohen Sterblichkeitsraten der Betriebe hin, die Sklaven hielten, und die nicht zuletzt durch das extreme Regime erzeugt wurden, das auf den Plantagen herrschte, aber auch auf die geringen Aufwendungen für Infrastruktur, Hygiene, Gesundheitsfürsorge und Ausbildung.
Wie effizient und profitabel die Plantagen waren, die Sklaven hielten, zeigte sich nicht zuletzt nach der Abschaffung der Sklaverei in den Südstaaten: Die Betriebe hatten offensichtlich allergrößte Probleme, die bisher gewohnten Profite zu erzielen, weil sie sich mit der nun einsetzenden hohen Fluktuation der nunmehr formal freien Arbeitskräfte nur schwer arrangieren und die betrieblichen Abläufe deshalb kaum in der gewohnten Weise aufrechterhalten konnten. Die aus der Sklaverei befreiten Arbeitskräfte zahlten die gewonnenen Freiheiten freilich mit einem enormen wirtschaftlichen Druck. Nach der Sklavenbefreiung gerieten sie zusehends in die wirtschaftliche Abhängigkeit von den Plantagen, deren Eigentum sie vorher waren. Ein Fortschritt?
Belässt es man es bei dieser Skizze der Studie Rosenthals, ist ihr Erkenntniswert enorm: Effizienz und abgestimmte Arbeitsabläufe sind keine zwingende Errungenschaft des industriellen Zeitalters, sondern ließen sich bereits unter vorindustriellen Bedingungen realisieren. Die Nutzung formalisierter und abstrahierter Bilanzierungs- und damit Berichtsverfahren lässt zudem Analogieschlüsse auf unsere Gegenwart zu, in der solche Verfahren weiterentwickelt und auf deutlich komplexere Bedingungen angepasst wurden. Alles das, was bislang referiert wurde, kommt einem doch ziemlich bekannt vor, vom Eigentumsaspekt der Sklaverei einmal abgesehen.
Dennoch ist Rosenthals allgemein gehaltene Ableitung von Machtstrukturen aus Bilanzierungs- und Managementmethoden schließlich doch kurzschlüssig, was darauf zurückgeht, dass sie den analytischen Ansatz immer wieder verlässt und diese Verfahren moralisch bewertet. Mit den Versuchen, Sklaven und ihren Wert bilanziell zu erfassen, wird eben nicht das Inkommensurable vergleichbar gemacht, wie Rosenthal wiederholt, wie es scheint mit Entrüstung, bemerkt. Auch Menschen sind, mit welcher Qualität auch immer, vergleichbar und statistisch oder bilanziell erfassbar. Das mag ihre Persönlichkeit missachten, aber auf die kommt es eben in gesellschaftlichen Prozessen, zu denen auch wirtschaftliche gehören, nicht immer an. Menschenrechte etwa sind unabhängig von individuellen Qualitäten zu beanspruchen.
Vergleichbares gilt für die von Rosenthal mindestens angedeutete Ableitung von Bilanzierungsmethoden aus den Strukturen von Sklaven nutzenden Betrieben. Bilanzierungsmethoden sind in solchen Betrieben verwendet und weiterentwickelt worden, sie reproduzieren aber weder Herrschaft noch gar Sklaverei, oder anders gewendet: Das Sklavenhaltersystem scheint in Bilanzierungsmethoden eben nicht unter der Hand durch.
Interessanterweise ist zudem Rosenthal der Grund für die Rückwanderung zahlreicher westindischer Plantagenbesitzer nach England, in deren Zuge sie die Bewirtschaftung der Plantagen Verwaltern überließen (ein sehr modernes Prinzip), nur eine Nebenbemerkung wert. Dabei weist die fehlende Infrastruktur, die dafür verantwortlich ist und zu der auch ein qualifiziertes Bildungs- und Ausbildungssystem gehört, schon auf den späteren Rückstand zur sich schnell entwickelnden Industrie voraus. Sklaven konnten für komplexe Aufgaben, die eine bessere Ausbildung voraussetzten, nicht verwendet werden, während die Industrien gut ausgebildete Angestellte und Arbeiter benötigten.
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