Aus den Zeiten, als Straßen zu bauen noch geholfen hat

Ulrich Brinkmann präsentiert Ansichtspostkarten der DDR und BRD – ihr Motiv: Straßen, also „Vorsicht auf dem Wendehammer!“

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jetzt ist es soweit, auch die Postkarte wird bald ein altes Medium sein, das vom Verschwinden bedroht ist. Wer schreibt denn noch welche, wennʼs eine schnell ins Smartphone getippte Nachricht auch tut und man eh nicht genau weiß, was Briefmarke zum Beispiel auf Italienisch heißt? Und wenn die Kartenmotive ohnehin halbwegs austauschbar sind und mit dem eigenen Urlaubserlebnis wenig zu tun haben. Da kann man doch lieber gleich selbst knipsen und mit Grüßen versehen übers Smartphone verschicken.

Soweit so die mediale Untergangsstimmung: Dabei gerät gelegentlich aus dem Blick, dass Postkarten eben nicht nur eine kommunikative Aufgabe übernehmen, sondern dass sie darüber hinaus auch kulturelle Archive sind, die Auskunft darüber geben, was denn den Generationen vor uns mitteilens- und zeigenswert erschienen ist.

Ulrich Brinkmann, Redakteur der in Berlin erscheinenden Zeitschrift Bauwelt, hat nach einem Band über Postkarten von Fußgängerzonen (2010 erschienen) einen Nachfolgeband herausgebracht, in dem ein Sujet im Vordergrund steht, das mittlerweile fast nur noch als Ärgernis wahrgenommen wird – Straßen und ihre Einbettung ins örtliche Gesamtbild. Das war in den ersten Nachkriegsjahrzehnten in beiden deutschen Staaten ganz anders. In diesen Jahren, in denen der Wiederaufbau zugleich als Modernisierung verstanden und umgesetzt wurde, bei dem sich die beiden Systeme gegenseitig den Vorrang streitig machen wollten, war die Straße als städtebauliches Element und verkehrspolitischer Gegenstand höchst attraktiv und eben postkartenreif. Und das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass die moderne Straße, die eine von Hemmnissen freie Mobilität, am liebsten automobile Mobilität sicherstellen sollte, als Motiv und Gegenstand radikal mit der Tradition brach und der Verpflichtung auf die Moderne Ausdruck geben konnte.

Das macht es plausibel, warum der innerstädtische Verkehr und seine Adern bis in die 1960er Jahre ein attraktives Motiv waren. Und zugleich für einen zugleich ästhetischen wie politischen Paradigmenwechsel standen: Geht man zurück in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, lässt sich zwar eine kurze vergleichbare Phase finden, in der die Errungenschaften der Moderne in der Fotografie stolz präsentiert wurden. Dominant blieb jedoch über Jahrzehnte ein Deutschlandbild, das Moderne beinahe völlig ausklammerte: verlassene Landschaften, Flussläufe, Bergpanoramen, Stadtansichten. Wer sich einen Eindruck davon verschaffen will, werfe einen Blick in das 1915 erstmals erschienene Fotobuch Die schöne Heimat aus dem Hause Langewiesche, das bis 1971 in immer wieder neu bearbeiteten Ausgaben und einer Gesamtauflage von knapp 700.000 Exemplaren erschien. Das „wahre“ Deutschland aus den Fotobüchern à la Die schöne Heimat schien wenigstens bis 1945 im Mittelalter stehen geblieben zu sein, so wenig kam das moderne, das Industrieland Deutschland darin vor: ein Foto vom Hamburger Hafen, vereinzelte Automobile auf dem Münchener Marienplatz, der Leipziger oder Stuttgarter Hauptbahnhof, mehr war nicht.

Nach 1945 präsentierte sich dieses alte Deutschlands – nicht nur auf Postkarten, aber eben auch da – ganz anders: moderner, leichter, dynamischer, kantiger und, ja, zugleich flüssiger. Statt der mittelalterlichen Stadtansichten funktionale Infrastrukturen, innerstädtische Verkehrsführungen, die die alten Stadtzentren erschlossen und zugleich in den pittoresken Hintergrund drängten, Umgehungsstraßen, die sich selbst genug zu sein schienen, Autobahnkreuze von ästhetischer Brillanz oder Brücken- und Hochstraßenkonstruktionen, die von einem unerhörten Fortschrittsoptimismus zeugten. Und Straßen, die auf den Verkehr, der da kommen und fließen sollte, zu warten schienen, so wenige Kraftfahrzeuge waren auf den Postkarten zu sehen.

Städtebaulich stellt man heute vieles von dem, was in den 1950er und 1960ern in beiden deutschen Staaten wortwörtlich auf den Weg gebracht worden ist, in Frage. Die Beteiligung der städtebaulichen Funktionseliten der NS-Zeit bei diesen Innovationsschüben wird zumindest verwundert zur Kenntnis genommen, gelegentlich skandalisiert (etwa in Susanne Scharnowskis problematischer Geschichte des Heimatbegriffs, in der sie am Beispiel der Raschplatzgestaltung in Hannover den Heimatverlust in der urbanen Nachkriegsmoderne beklagt und sie ohne weiteres mit dem Nationalsozialismus kontaminiert, (siehe die Besprechung Heimat, deine Sterne in literaturkritik.de).

Auch Brinkmann verweist immer wieder auf solche, teils unheilvollen Kontinuitäten, ohne freilich daraus eilfertig ideologiekritisch verbrämte Vorverurteilungen abzuleiten. Er mutet sich und seinen Lesern hingegen in seinen kenntnisreichen und strukturierten Kommentaren zu den zahlreichen Postkarten eben auch zu, sich in die Konzepte der Entstehungszeit dieser städtebaulichen Großprojekte einzudenken. Und siehe da, es kommt dabei neben der wohl unvermeidlichen Überheblichkeit, ohne die solche Projekte nicht realisierbar sind, auch eine Menge Bedenkenswertes und vor allem städtebaulich und architektonisch Beachtliches, manchmal sogar Leichtes zum Vorschein. Sicher, zahlreiche Straßen dieser Zeit, sind nicht dazu gedacht, dass sie jemand zu Fuß überquert. Die Pracht der Straße wirkt aus sich selbst heraus. Fuß-, ja gar Spaziergänger schienen zeitweise ein unerheblicher Anachronismus zu sein. Andere Projekte aber geben Fußgängern unerhörten Raum, Promenaden der Nachkriegsmoderne, die gerade in ihrer gläsernen Architektur, in ihren klaren Linien und den großen, ja groben Bauten auch ein entschiedenes Statement gegen das gerade überwundene Tausendjährige Reich abgaben (auch wenn ihre Protagonisten nicht nur Zeitgenossen, sondern – soweit sie städteplanerisch aktiv waren – auch Kombattanten des faschistischen Regimes gewesen waren, das seine eigenen modernen Ambitionen nicht verborgen hat). Und das ist jede Anerkennung wert, wo immer man auch politisch stehen mag.

In dieser umfassenden Postkatensammlung, die Brinkmann zusammengestellt und kommentiert hat, wird mithin eine Vergangenheit vorgeführt, die wir heute vielleicht unsererseits ein wenig hochnäsig anschauen. Allerdings müssen wir uns zugleich zu Bewusstsein führen, dass auch wir nur auf den Schultern dieser Riesen stehen, die ihrerseits bereits eine große Last zu tragen hatten: Sich als modernes Land neu zu definieren und das auch in solchen Projekten umgesetzt zu haben, bleibt ein großes Verdienst, das anzuerkennen ist, auch wenn die Bausubstanz dieser Jahre mittlerweile marode geworden ist und anachronistisch wirkt. Wennʼs denn in fünfzig Jahren noch Postkarten unserer heutigen Städte und Verkehrswege geben sollte, wird auch auf ihnen zu erkennen sein, was zwischenzeitlich alles anders geworden ist. Wennʼs denn dann noch Postkarten gibt.

Titelbild

Ulrich Brinkmann: Vorsicht auf dem Wendehammer! Die Straße als Element des Städtebaus. Ansichtspostkarten in der DDR und Bundesrepublik 1949 bis 1989.
DOM publishers, Berlin 2023.
287 Seiten , 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783869225548

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