Bilder und andere Verbrechen
Isabel Rohners Kicherkrimi „Kalte Sophie“ klärt nicht nur Straftaten auf
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDass Linn Kegel eine Stubenhockerin wäre, lässt sich nicht eben behaupten. Suchte sie vor einigen Jahren an den sonnenverwöhnten Stränden Spaniens nach den sagenhaften Taugenixen, so war sie schon bald darauf im lauschigen Spreewald hinter einem mysteriösen Verbrechen her und unlängst verfolgte sie im weltberühmten Theater einer an der schönen blauen Donau gelegenen Caféhaus-Metropole die Fährte eines mörderischen Strippenziehers.
Nun ist die inzwischen bekannte Krimiautorin allerdings selbst auf der Flucht. Vor einem ebenso absurden wie inszenierten Shitstorm hat sie bei der Tante ihrer Freundin Bettina Unterschlupf im weder sonnenverwöhnten noch lauschigen oder gar weltberühmten Osnabrück gefunden. Die für die immer stärker Fahrt aufnehmende Internethetze verantwortliche Boulevardjournalistin bleibt ihr allerdings auch hier dicht auf den Fersen.
Doch wie es sich für einen Krimi gehört, begehen Menschen nicht nur moralisch, sondern auch strafrechtlich relevante Verfehlungen. So geht es denn auch um Kunstraub und andere Delikte. Zwei Frauen werden entführt. Eine aus Fleisch und Blut, die andere aus Öl und Leinwand. Denn ein geradezu sensationelles Frauenporträt eines in dem Provinzstädtchen hochgeschätzten und wohl auch überbewerteten Malers verschwindet ausgerechnet während einer Vernissage.
Aller schlechten Missetaten sind (mindestens) drei, und so handelt es sich bei den beiden Verbrechen auch nicht um die ersten und schon gar nicht um die einzigen, die in Osnabrück (an Frauen) begangen wurden. Die Dritte im Bunde der Untaten wurde zwar schon vor längerer Zeit verübt, ist aber mit den beiden heutigen aufs Engste verknüpft. Wie in jedem Krimi, der etwas auf sich hält, werden die LeserInnen auch schon mal auf eine falsche Spur gelockt, bevor Linn Licht ins Dunkel des kriminellen Geschehens bringt. Auch können sie sich bei einem ihrer Vorurteile ertappt fühlen; und sei es auch nur, was die Erwartung einer klischeehaften Zeichnung einer Figur betrifft.
An Figuren ist der multiperspektivisch erzählte Roman auch jenseits der beiden Protagonistinnen Linn und Bettina nicht eben arm. So tritt etwa eine „Investigativ-Journalistin“ auf, ein „verdammter Bürgermeister“, ein lesbisches Paar, längst verblichene MalerInnen, quicklebendige KunsthistorikerInnen, diverse Angehörige des Kulturbetriebs und natürlich die üblichen Verdächtigen.
Ebenso vielfältig wie das Personal sind die im Roman verhandelten Themen, die wie immer in Rohners Krimis feministisch ausgeleuchtet werden. So geht es diesmal etwa um Shitstorms, Hatespeech, die „Patriarchatslogik“, Incels, Mager- und Fresssucht, eine problematische Mutter/Tochterbeziehung, den Kanon und die prekären Beschäftigungsverhältnisse im universitären Mittelbau. Bemerkenswert ist auch ein gezielt eingesetzter Gender-Asterisk.
Der Roman bietet den LeserInnen ein doppeltes, wenn nicht gar dreifaches Vergnügen. Denn sie können sich von Rohners Kicherkrimi nicht nur erheitern lassen und ihren Scharfsinn an der Aufklärung der Frage erproben, wer welches Verbrechen warum begangen hat, sondern auch den nicht selten versteckten intertextuellen Anspielungen auf die Höhenkamm-, Trashkultur und allem was dazwischen liegt bis hin zu einer TV-Werbung für Kondome aus den 1980er-Jahren nachspüren. Wurde die Wendung „Ich lausche“ nicht einem Kieler Kriminalisten abgelauscht und nur unmaßgeblich verfremdet? Und gibt es da nicht eine Graphic Novel mit dem Titel V for Vendetta?
Allerdings kann ihre Phantasie die LeserInnen auch gehörig in die Irre führen. Sollten in dem ausschweifenden Namen eines feliden Haustieres wirklich sowohl ein von englischen Beatmusikern verewigter Drogenarzt, ein von einer deutschen Schlagersängerin besungener Adliger als auch ein Rock- und ein Country-Sänger zusammengefunden haben? Oder sollte am Ende tatsächlich einmal ein Mensch auf Erden gewandelt sein, dessen Name Bettinas Tante ihrem animalischen Mitbewohner verliehen hat? Der hätte dann aber weniger mit krallenbewährten Samtpfoten als vielmehr mit Glück verheißenden Besohlungen zu tun gehabt. Auf manche Größe der Literaturgeschichte wird hingegen nicht nur angespielt, sie wird sogar explizit erwähnt. Etwa Goethe und Eckermann oder auch Thomas Mann. Wer mit dem Schaffen der Autorin vertraut ist, wird sich allerdings fragen, wo denn dessen Schwiegermutter bleibt.
Eine grün-alternative Politikerin aus der Schweiz, die erfolgreich „gegen jeden einzelnen fehlerhaften Artikel über sie [klagte], mit dem Medien Geld verdienen“, und von den Gerichten nicht nur Recht, sondern auch „Kohle“ zugesprochen bekam, bleibt hingegen namentlich ungenannt, kann aber mit nur mäßigem Aufwand recherchiert werden.
Überdies werden die LeserInnen über manchen merkwürdigen Sachverhalt aufgeklärt. So wird ihnen etwa ohne Weiteres verraten, was „einen Mann zur Respektsperson macht“, warum Mick Jagger keine Kissenabdrücke im Gesicht hat, und natürlich wie die Kalte Sophie zu ihrem Namen kam. Zudem ist bei allem kichernden Vergnügen viel Wissenswertes über Malerinnen zu erfahren, die erfolgreich aus dem Gedächtnis der Kunstgeschichte gelöscht wurden. Warum es zwar möglich ist, einen Menschen aufgrund des Geschlechts zu diskriminieren, nicht aber wegen des Alters, lasse sich hingegen in den Schriften einer hochgerühmten Gendertheoretikerin namens Battler nachlesen, so verspricht zumindest eine der Figuren.
Dass eine studierte Kunsthistorikerin jemandem vorwirft, sie sei eine „Kunstbanausin“ ist allerdings vielleicht doch etwas unwahrscheinlich. Ebenso, dass um 1800 die anzüglichen beziehungsweise misogynen Ausdrücke „Stecher“ und „Dorfmatratze“ zum Sprachgebrauch gehörten. Aber das lässt sich wohl unter künstlerischer Freiheit verbuchen.
Was nun die diversen Verbrechen betrifft, so werden sie natürlich ausnahmslos aufgeklärt. Doch nicht alle, die eines begangen haben, können oder sollten belangt werden. Einen anderen hat die wohlverdiente Strafe hingegen längst ereilt.
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