Die Welt in einem Buch
Dichter würdigen in „All the World’s a Book“ das Werk Shakespeares mit eigenen Gedichten
Von Stefanie Leibetseder
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAnlässlich des 400jährigen Erscheinungsdatums der gesammelten Werke William Shakespeares im First Folio, hat die Münchener Stiftung Lyrik Kabinett einen Kreis renommierter Lyrikerinnen und Lyriker ebenso wie namhafter Übersetzerinnen und Übersetzer versammelt, um den weltberühmten Dramatiker unter dem Titel All the World’s a Book mit eigenen Gedichten zu ehren. Diese sind in englischer und deutscher Sprache abgedruckt.
Eingeführt werden sie von einem langen Nachruf in Versen, den uns Shakespeares Zeitgenosse und Rivale, der Dramatiker Ben Jonson unter dem Titel To the Memory of my Beloved, the Author William Shakespeare: And What He Hath Left Us auf dem Frontispiz des First Folio hinterließ. Jonsons Worte: „Du hast ein Monument auch ohne Grab / Und lebst, solange Deine Werke leben / Und unser Geist, Dir Lob und Preis zu geben“ können als Motto dieses kleinen, aber feinen Lyrikbandes gelten.
Sie zeigen Jonson, der auch Dichtungstheoretiker war, in einem imaginierten Dialog mit seinem Kollegen Shakespeare, dem Theaterpraktiker, denn „Du Seele unserer Zeit kamst, um sie zu schmücken / Als unserer Bühne Wunder und Entzücken“. So stellt er ihn als den überragenden Künstler gegenüber seinen Kollegen und Zeitgenossen dar und auch die oft zitierte Kritik, „Und wußtest Du auch nur wenig Latein / Noch weniger Griechisch, ist doch Größe Dein“ entpuppt sich beim Weiterlesen als Überbietungstopos den als normativ angesehenen griechischen und lateinischen Dramatikern der Antike gegenüber. Im Weiteren wird die alte Vorstellung aufgerufen, dass die Natur durch Kunst veredelt wird. Es folgt das berühmte Sprachspiel von Shakes-Peare als dem Speer-Schwinger. Auch seine königlichen Patrone Elisabeth I. und Jacob I. werden als Beweis seines Ruhmes angeführt. Abschließend wird die Apotheose des Dichters zum unsterblichen Sternbild vollzogen.
Simon Armitages Poem bezieht sich auf Akt 1, Szene 5 in Hamlet. Prinz von Dänemark. In den dem Gedicht Geist vorangestellten Zeilen aus dem Stück verpflichtet der Geist von Hamlets Vater diesen zur Rache an seinem betrügerischen Onkel. Dementsprechend geht es auch hier um die Rede eines Vaters an seinen Sohn. Dieser soll sich an seinen Feinden rächen, doch diesen zumindest ihre Würde lassen oder sie ganz „erledigen“. Dann tritt ein inhaltlicher Umschwung ein und man erfährt, dass der Vater Sohn und Mutter bald durch seinen Tod verlassen wird, mithin dass er seinem Sprößling die Ratschläge erteilt, die Hamlets Vater diesem nicht mehr geben konnte.
Marcel Beyer wiederum widmet seine Verse dem phantasiereichen und zugleich kunstvollen Umgang des Sprachkünstlers Shakespeare mit seinem Stoff, denn „Das nennt man Arbeit an der Sprache. Das bist Du. Löse und Binde.“ In diesem Sinne führt er in seinem Gedicht gleichsam das Handwerk des Dichtens vor, vom auf‘s Band sprechen erster Einfälle über das mühsame Suchen der Reimwörter und die langwierige Überarbeitung des Textes auf der Schreibmaschine bis hin zur vollendeten Dichtung.
Von Ulrike Draesner stammen drei sprachlich experimentell angelegte Gedichte, deren erstes unter dem Titel Blöße die Herstellung von zum Schreiben benötigtem Pergament aus Tierhäuten zum Inhalt hat, wofür sie uns in poetischen Wendungen ein lebendes Tier vor Augen stellt. Das zweite Gedicht die blüh beschreibt das für den Bruchdruck grundlegende Handwerk des Setzens aus Bleilettern. Zuletzt geht es unter dem Titel entfoil um den Einband des Buches. Da aber das englische Wort foil nicht nur Seite, sondern auch Blatt bedeutet, schließen sich in diesem Gedicht sprachliche Bilder des wortwörtlich untergründigen Wachsens an.
Lavinia Greenslaw bezieht sich in ihrem Gedicht ebenfalls auf Hamlet und seine Todessehnsucht. Diese nimmt sie zum Gegenstand eines fingierten Dialogs des lyrischen Ich mit seinem imaginierten Bruder. Er kulminiert in der Zeile: „Ich blicke auf Deinen Tod. Ich öffne die Augen.“ Das erinnert an die berühmten Anfangszeilen in Laurence Sternes Tristam Shandy „Mein Vater, der seine Augen vor dem Licht der Welt schloss.“ Darin wird das „Licht der Welt“ zu einer herabgesunkenen Metapher, während es bei Greenslaw im Gegenteil die Todeserfahrung des Anderen ist, die uns zum Licht und zur eigenen Erkenntnis führt.
Albert Ostermeier hingegen thematisiert Shakespeares Tempest, in dem es auch um Prosperos Bücher geht und er tut dies mit einem Gedicht unter dem auf Prosperos Gegenspieler, den Luftgeist, gemünzten Titel Ariels Lesezeichen. In anspielungsreicher und vieldeutiger Sprache schildern seine Zeilen die Begegnung mit Büchern, das Umblättern der Seiten, das Lesen und die sich daraus im Kopf der Leserin und des Lesers formenden Assoziationen und die Veränderung, die sie in seinem Bewusstsein bewirken. Sie kulminieren in der Shakespeare gemäßen Erkenntnis: „nein dies ist kein buch es ist / eine bühne du öffnest es / und der vorhang geht auf / das theater beginnt mein.“
Uljana Wolf schlägt mit ihrem Gedicht „anrufflung“ zuletzt den Bogen zum Beginn und beschreibt den berühmten Kupferstich mit Shakespeares Porträt am Beginn des First Folio in Anspielung auf Jonsons Zeilen „O could he haue drawn his wit / As well in brasse, as he hath hit / His face. B. J.“ Daraufhin antwortet sie ihrem Kollegen, dass Shakespeares Sprachwitz sein gestochenes Bildnis für alle Zeiten überdauern wird.
Was könnte eine angemessenere Ehrung für den Sprachvirtuosen Shakespeare darstellen, als ihm auf seinem eigenen Feld, der poetischen Rede, zu begegnen und dem Speer-Schleuderer den Speer des eigenen zeitgenössischen wit entgegenzuschleudern?
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