Auf dem Weg in die Sprachlosigkeit?
Einige Überlegungen zur Rede von Tanja Maljartschuk zur Eröffnung der 47. Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt
Von Karl-Josef Müller
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie Sprache ist ihrem Missbrauch gnadenlos ausgeliefert: „Und das Hauptinstrument aller Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die Sprache, die schönste Gedichte hervorbringt, kann auch dazu dienen, Befehle kundzutun, zum Abschuss von Raketen, die Zivilisten töten, oder zum Vorrücken von Panzern.“
Seit dem 25. Februar 2022 hat die ukrainische Schriftstellerin Tanja Maljartschuk „Angst bekommen vor der Sprache, die Millionen von mehrheitlich friedlichen Bürgern überzeugen kann, im Recht zu sein, andere zu ermorden.“ Und mehr als das: die Sprache, ihr Handwerkszeug, ist ihr fremd geworden.
Dabei geht es ihr nicht so sehr um die Sprache derer, die, wie vor kurzem in der FAZ zu lesen war, als „staatlich geförderte Z-Poeten (…) den Krieg gegen den Westen“ verherrlichen (Igor Saweljew, Moskau: Die bösen Jungs werden Russland retten. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. Juli 2023), nein, Tanja Maljartschuk hat ihr Vertrauen in die Sprache an sich verloren. Absurd sei ihre Angst und so widersinnig, als würde sich ein Bäcker vor dem Mehl oder ein Bauarbeiter vor Ziegeln und Zement fürchten.
Dabei verdankt die Autorin „alles in meinem Leben der Literatur, die ich mir als Blüte am Ast eines Baumes vorstelle.“ Doch die Blüte, Sinnbild von Schönheit und für die „Fortpflanzung der Ideen“, kann gegen die Oberherrschaft der Gewalt absolut nichts ausrichten: „Ein Baum blüht, während ein Soldat ein Mädchen auf den Wurzeln des Baumes vergewaltigt.“
Vor annähernd hundert Jahren bereits berichtete Bertolt Brecht mit einem ähnlichen Bild Von der Willfährigkeit der Natur:
Ach, dem Mann, der das Kind mißbraucht hinterm Dorfe
Neigen sich Ulmen noch mit schönem und schattigem Laub.
Konsequenzen hat Brecht daraus nicht gezogen, im Gegenteil. Zweifel an der Sprache sind angezeigt, ihre Aufgabe allerdings, das Schlechte in der Welt zu benennen, wird nicht in Frage gestellt:
Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!
Noch schweigt Tanja Maljartschuk nicht über die vielen Untaten des Angriffskrieges gegen ihr Heimatland, doch die Überwindung der Sprachlosigkeit durch das gesprochene und gedruckte Wort, sie führt zu nichts: „So wie die Literatur bleibt ein Baum nur ein stummer Zeuge, (…) damit wir weiter eine schöne Lüge, die wir Hoffnung nennen, aufs immer Neue niederschreiben.“
Doch dann teilt Tanja Maljartschuk das, was sie meint, nicht mehr als Roman in Worte fassen zu können, ihren Zuhörern dennoch mit, sprachlich, wie denn auch sonst! Dieses Romanprojekt sei „im Februar des letzten Jahres für immer unvollendet geblieben“, sein Ziel sei es gewesen, „das Unerzählte der Geschichte (…), das Ungeheuerliche endlich zur Sprache“ zu bringen, dies sei, so schien ihr vor dem 25. Februar 2022, „der Mühe wert. Und doch saß in diesem meinen Roman von Anfang an die Unmöglichkeit seiner Vollendung.“
Und schließlich beschreibt Tanja Maljartschuk, worum es in diesem Roman gehen sollte, einem Roman, dessen Vollendung ihr nicht erst seit Beginn des Vernichtungskrieges gegen die Ukraine zweifelhaft erscheint, sondern der „von Anfang an“ nicht habe vollendet werden können: „Er sollte meine literarische Auseinandersetzung mit dem Thema Holocaust in der Ukraine abschließen oder allgemeiner gesagt: meine Beschäftigung mit den Themen Herkunft, Gewalt und beider traurigem Kreislauf.“
Doch dann tut sie, was sie eigentlich hat lassen wollen: „Lassen Sie mich von ihm ein bisschen erzählen.“ Nach den zwangsläufig knapp gehaltenen darauf folgenden Ausführungen über dieses Romanprojekt dürften einige derer, die in Klagenfurt die Rede hören konnten, ebenso in ein Dilemma geraten sein wie viele derer, die sie nunmehr in gedruckter Form nachlesen können. Man möchte Tanja Maljartschuk inständig bitten, ihre Vorbehalte gegenüber der Sprache doch nochmals zu überdenken und den Roman, auf den sie uns neugierig gemacht hat, zu vollenden. Gegen alle Vernunft zu vollenden, möglicherweise; ihn zu vollenden gegen die Gewissheit, dass Literatur angesichts der andauernden unsäglichen Gewalt, die Menschen einander zufügen, völlig hilflos zuschauen muss.
Seit dem Gilgamesch-Epos kann der Mensch es nicht lassen, niederzuschreiben, was seine Existenz ausmacht. Wir sind geradezu besessen davon, alles zu fixieren, worunter wir leiden, wie auch alles, was unserem Leben einen Sinn zu geben scheint. Tanja Maljartschuk schwört diesem Bedürfnis ab und bricht diesen Schwur gleichzeitig, indem sie ihn formuliert. Noch ist die Sprachlosigkeit nicht die einzige Option.
Peter Weiss hat in seinem Roman Die Ästhetik des Widerstands den Weg ins endgültige Verstummen und damit in den Tod nachgezeichnet. In den Wirren des Krieges muss die Mutter des Ich-Erzählers ins Auge einer Gewalt blicken, die ihren angegriffenen Lebenswillen endgültig zerbrechen lässt. Wer das Haupt der Medusa unmittelbar anschaut, muss zu Stein erstarren.
Noch ist Tanja Maljartschuk dieses Schicksal erspart geblieben, noch spricht sie mit uns. Vielleicht trifft auf ihre Situation als Dichterin zu, was Hodann, eine Figur aus Peter Weiss‘ Roman, über die Möglichkeiten und Grenzen der Kunst schildert:
Eine besondre und seltne Konstitution gehöre dazu, in allen Vorgängen die letzten Folgen zu erkennen, ungeheuer gefährdet seien Menschen, denen dies gegeben sei (…). Für diese Menschen gebe es nur zwei Möglichkeiten, entweder den immer hermetischer werdenden Rückzug in ihre Halluzinationen, in denen die Vereinsamung ihnen allmählich den Sinn für das Zusammensein mit anderen Menschen raube, oder den Weg in die Kunst. Dieser Weg aber sei nur so lange offen, als Bereitschaft bestehe, sich an die äußre Welt zu wenden. Ginge dies verloren, gebe es keinen Einlaß mehr in die Regionen der Kunst. (…) Fast sei es so, daß uns in einem Kunstwerk mehr als der Aufschwung dieses Versinken im Unbenennbaren ergreife.
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