Strukturelle Not
Lukas Bärfuß’ neuer Roman „Die Krume Brot“ erzählt von einer Alleinerziehenden in den 70ern und zeigt: Armut ist vererbbar
Von Jana Behrends
Eltern, besonders Mütter, brauchen Verbündete. Kinder zu haben kann ein hartes, einsames und teures Geschäft sein. Die finanziellen Auswirkungen von Elternschaft sind auch 2023 in einem westlichen Industriestaat besonders für Alleinerziehende stark belastend, was zahlreiche Studien zeigen. Adelina, die Protagonistin in Lukas Bärfuß’ neuem Roman Die Krume Brot, schlägt sich mit ihrer Tochter Emma ganz allein durch – ohne finanzielle Unterstützung, aber auch ohne das berühmte Dorf, das Eltern brauchen. Als Kind italienischer Migranten ist sie in den 1970ern in der Schweiz außerdem nicht gern gesehen und wird immer wieder von ihrem Umfeld herabgesetzt.
Dass Adelinas aus Alleinsein, Geldnot und Rassismus entstehende Schwierigkeiten struktureller Natur sind und nicht jeder seines eigenen Glückes Schmied ist, zieht sich durch den ganzen Roman, der schon vielsagend beginnt: „Niemand weiß, wo Adelinas Unglück seinen Anfang nahm, aber vielleicht begann es lange vor ihrer Geburt.“
Nach dem frühen Tod ihres Vaters steht Adelina ohne Mutter – die hat das Weite gesucht – und mit 9000 Franken Schulden ihres Vaters da. Sie muss aus finanziellen Gründen ihre Ausbildung abbrechen, heuert in einer Suppenfabrik am Fließband an und wird schwanger von Toto, einem Wanderarbeiter. Nach der Geburt macht sich auch dieser aus dem Staub.
Eins kommt schnell zum anderen: Adelina muss für eine medizinische Behandlung Schulden machen. Sie arbeitet nun abends als Barkeeperin, um sich tagsüber um ihre Tochter Emma kümmern zu können. Doch die Babysitterin am Abend kostet die Hälfte ihres Gehalts, und ihren Job wird sie wieder los, als sie eines Tages ihr Kind mit zur Arbeit bringen muss. Als sie versucht, sich ein wenig Erholung zu gönnen, führt das zu weiterem Stress:
Adelina verbringt einen Tag in der Hölle. Sie rennt durch die halbe Stadt, und was eine Erholungspause hätte werden sollen, wird zu einem Albtraum. (…) Was tut sie nur? Wie unvernünftig kann man sein? Dreißig Franken für ein Frühstück, die Rate nicht bezahlt, keine Stelle, in ein paar Wochen wird sie auf der Straße stehen, aber sie gibt ihr letztes Geld für eine Sonntagsvergnügung aus.
Vermeintliche Erlösung kommt in Gestalt von Emil, einem Gast mit etwas Geld, der sich in Adelina verliebt und der sie vom ersten Treffen an langweilt: „Er war gut angezogen, er roch nach einem teuren Aftershave, er wusste, wo der Zaster zu holen war, und doch fand ihn Adelina in diesem Moment gewöhnlich, flach, ohne Geheimnis, ein kleiner Filou, der langsam dick wurde.“
Dennoch ziehen sie und ihre Tochter zu Emil, und Adelina hat eine Weile ihre Ruhe. Das geht so lange gut, bis sich Emil hintergangen fühlt und Adelina das Einzige nimmt, was sie noch verlieren kann: Er entführt Emma.
Den Lesenden ist schnell klar, spätestens seit den Besuchen eines zwielichtigen Schuldeneintreibers: Adelina hat keine Chance, allein finanziell wieder auf die Beine zu kommen. Sie schuftet, sie kauft nur herabgesetzte Lebensmittel, sie geht fast ausschließlich zu Fuß, aber das Geld reicht trotzdem vorne und hinten nicht. Und sie hat keinerlei Vertrauen in staatliche Institutionen. Anstatt zur Polizei zu gehen, schließt sie sich der Roten Brigade an, um ihre Tochter zu finden.
Lukas Bärfuß hat sich zuvor bereits in Vaters Kiste. Eine Geschichte über das Erben mit den großen Themen Erben, Erbrecht und Schulden beschäftigt und führt den Ansatz in Die Krume Brot präzise und empathisch, aber dabei frei von Kitsch weiter. Der Roman, als erster Teil einer Trilogie angelegt, empört ob der Ungerechtigkeiten, die Adelina widerfahren, und ist eine hervorragende Einladung, sich der eigenen Privilegien bewusst zu werden. Zudem lässt er sich problemlos in die Gegenwarts-BRD übertragen. Denn arme Eltern und ihre Kinder haben nach wie vor keine Lobby und sind zu aufgerieben, um für eine bessere Versorgung und faire Grundbedingungen zu streiten. Das lässt sich derzeit beispielsweise an dem Gezanke um Elterngeld für Besserverdienende und um das Ehegattensplitting sowie die darüber in den Hintergrund tretende politische Diskussion über eine angemessene Kindergrundsicherung bestens erkennen.
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