Die Macht des Geldes

Anna Mayrs „Geld spielt keine Rolle“ liefert wichtige Denkanstöße

Von Heike HendersonRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heike Henderson

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Geld spielt keine Rolle“ – das können nur die sagen, die genug davon haben. In diesem sehr persönlichen Bericht – teils Sachbuch, teils Memoiren – beschäftigt sich Anna Mayr mit der Rolle des Geldes in unserer Gesellschaft. Spezifisch geht sie der Frage nach, wie Menschen sich verändern, wenn sie Geld haben. Da sie selbst arm aufgewachsen ist, ist es für sie in keiner Weise natürlich, genug Geld zu haben. Sie analysiert ihre eigene Zerrissenheit und denkt nach über Verschwendung, Gerechtigkeit und Konsum-Unsinn.

Obwohl die Autorin mittlerweile in gesicherten finanziellen Verhältnissen lebt, rechnet sie Eurobeträge immer noch in Hartz-IV-Regelsätze um. Sie genießt es, das kaufen zu können, was sie möchte, und das essen zu können, was ihr schmeckt („wer arm ist, erlebt im Mund weniger“) – und empfindet doch ein Gefühl von Fremdheit dabei, 16,85 Euro für ein winziges Glas mit Trüffeln zu bezahlen.

225 Euro für eine Katzentherapeutin – schon der Titel dieses Kapitels verweist auf die großen Unterschiede im Leben derer, die genug Geld haben, und derer, die sich fragen, womit sie die nächste Miete und das Essen bezahlen sollen. Der Zweifel daran, ob es sich lohnt, so viel für das psychische Wohlergehen eines Haustiers auszugeben, wird verstärkt dadurch, dass die Beratung vor allem aus Kauftipps besteht.

Andere Kapitel beschäftigen sich mit Themen wie Hochzeitskleidern (und der Hochzeitsmodenindustrie), dem Ehegattensplitting, den Unterschieden zwischen der gesetzlichen und der privaten Krankenversicherung, und der Belohnungsgüterindustrie, die davon profitiert, dass Menschen zu viel in unbefriedigenden und entfremdeten Arbeitsverhältnissen arbeiten und dann das Gefühl haben, sich selbst belohnen zu müssen. Die Konsumgüterindustrie in all ihren Varianten verkauft schließlich nicht nur Produkte, sondern auch Lebensmodelle – diese Einsicht ist zwar nicht neu, lohnt aber doch der Erinnerung.

Wenn man genug Geld hat, muss man nicht zwischen Gütern abwägen – das ist eine der fundamentalen Erkenntnisse, die Mayr in ihrem Leben mit Geld gewonnen hat. Wenn jemand, der Geld hat, ein Produkt zu teuer findet, ist das eine Aussage über das Produkt, die Überheblichkeit oder zumindest Informiertheit signalisiert. Wenn jemand mit wenig Geld ein Produkt zu teuer findet, ist das eine Aussage über die eigene Person, die oft mit Scham verbunden ist: Ich kann mir das nicht leisten.

Eine andere Erkenntnis, die Mayr sowohl mit persönlichen Anekdoten wie mit Statistiken unterlegt, ist die Einsicht, dass subjektive Faktoren letztendlich mehr für unsere Wahrnehmung von Reichtum zählen als Zahlen. Die Definition von Reichtum, und wer zur Gruppe der wirklich Reichen gehört, variiert je nachdem wen man fragt. Reich werden, das ist Mayr zufolge zum größten Teil nicht Leistung, sondern Glück (auch wenn reiche Leute das meistens anders sehen).

Das Private ist politisch, das ist eines der fundamentalen Konzepte, die Mayrs Text unterliegen. Andere Einsichten wie „je mehr Geld man hat, umso mehr bekommt man geschenkt“ vermitteln nichts wirklich neues, sind jedoch klar formuliert und an persönlichen Erlebnissen festgemacht. Mayr entlarvt Meritokratie als Lüge und kämpft damit, ehrlich zu sein. In ihrem Nachwort reflektiert sie darüber, wie anstrengend es war, das zu schreiben, was sie dachte und nicht das, was sie gerne denken würde. Widersprüche aushalten, das ist vielleicht die wertvollste Erkenntnis dieses Buchs, das zwar keine konkreten Thesen und Handlungsanweisungen beinhaltet, aber doch wichtige Denkanstöße und, nicht zu unterschätzen, Spaß beim Lesen liefert.

Titelbild

Anna Mayr: Geld spielt keine Rolle.
Carl Hanser Verlag, München 2023.
192 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783446275898

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