„Ich sah, daß das Wort saß“
Hans Fallada als Literaturkritiker
Von Lutz Hagestedt
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDer Schriftsteller Hans Fallada ist weltberühmt; dass er auch Literaturkritiken verfasst hat, dürfte weit weniger bekannt sein. Es sind auch nicht viele Kritiken, die er geschrieben hat, auch nicht bedeutende, die literaturkritische Standards gesetzt hätten, und sie sind auch nicht unbedingt zu bedeutenden Büchern und Autoren entstanden. Gleichwohl lohnt sich ein Blick auf diese, oftmals wie beiläufigen Kritiken, denn sie spiegeln den Epochenstil der Neuen Sachlichkeit wider und geben Einblick in den Buchmarkt zwischen dem Ende der 20er Jahre und dem Ende des Zweiten Weltkrieges, dem Beginn der Nachkriegszeit. Falladas Rezensionen werden in diesem Band im Chor zeitgenössischer Besprechungen betrachtet und kontextualisiert.
Hemingways „Männer“-Buch erschien 1929 im Berliner Verlag Ernst Rowohlts, zwei Jahre, bevor Fallada dort mit Bauern, Bomben und Bonzen debütierte. Auf Einladung Leopold Schwarzschilds, dem Herausgeber des „Tage-Buchs“, beteiligte sich Fallada 1932 an der jährlichen Umfrage der Zeitschrift nach dem nachhaltigsten Leseeindruck. Sein Aufsatz „Ernst Hemingway oder Woran liegt es?“ erschien im September 1931 und geht der Frage nach dem „Phänomen Hemingway“ nach: „Woran liegt es, daß dies nicht alle spüren, wenn Hemingways Werk wirklich etwas Einmaliges, nicht zu Verwechselndes ist?“
Man vermag nicht zu glauben, dass Fallada eine derart verunglückte Frage in ein derart schlechtes Deutsch zu kleiden vermochte. Zumal seine (rhetorische) Frage für ihn letztlich unerheblich ist: Fallada möchte nämlich zeigen, dass Hemingway für jeden Leser, der diesen Namen verdient, eine Offenbarung darstellt: Wer einmal einen Hemingway gelesen hat, so seine Haltung, der hat die Literatur schlechthin entdeckt. Wem dies nicht Offenbarung war, der taugt zum Leser nicht.
Fallada, der sich durch Hunderte von Hemingway-Kritiken geblättert hatte, als er für Rowohlt das Zeitungsarchiv mitbetreute und Rezensionen ablegte, war von der fehlenden Empathie und Emphase der Kritiker regelrecht erschüttert: „die Hälfte merkt überhaupt nicht, daß sie etwas anderes liest, als was sie alle Tage liest.“
Hemingways „Besonderes“ liege nicht in den „Stoffen“, so Falladas Einschätzung – „jeder könnte sich mit ihnen befassen, der sich mit Schreiben abgibt“ –, sondern im „Stil“. Dem Stilistischen gilt folglich auch Falladas Augenmerk, nachdem er drei Bücher Hemingways – „Männer, Fiesta, In einem anderen Land“ – inhaltlich kurz paraphrasiert hat. Dem Stilistischen muss auch unser Augenmerk gelten, denn Fallada formuliert knapp und burschikos. Er ist oft sprachlich ungelenk und nimmt sich augenscheinlich keine Zeit für Überarbeitungen und Korrekturen. Er sagt „berufen“ statt „beschwören“. Er sagt: „Er hat eine fanatische Liebe zu den Dingen“ – statt „er hegt“ sie. In diesem hemdsärmeligen Stil kommt er mit Hemingway auf Augenhöhe, dessen Bücher genau dieser sprachlichen Arte povera der Neuen Sachlichkeit entsprochen haben und von Annemarie Horschitz-Horst geradezu kongenial ins Deutsche übersetzt worden sind.
Fallada macht nicht explizit deutlich, dass er, wenn er Hemingway zitiert, die sprachliche Lösung einer Übersetzerin wiedergibt, die mit ihren Übertragungen für Rowohlt den Epochenstil der 20er Jahre wesentlich mitgeprägt hat. Und auch aus den dürftigen bibliographischen Hinweisen und den Anmerkungen dieses Jahrbuches würde dies niemand erfahren, wenn nicht Carsten Gansel in seiner Metakritik der Kritik Falladas darauf verweisen würde, dass „Annemarie Horschitz […] die Exklusivrechte an der Übersetzung von Hemingway hat.“ (Was ebenfalls dürftig formuliert ist: sie „hält“ sie.)
„Ich sah, daß das Wort saß.“ Mit dieser Phrase resümiert Annemarie Horschitz-Horst ein Streitgespräch zwischen dem Sanitäter Frederic Henry und seinem Kameraden Rinaldi, und sie könnte als Losung auch über Falladas Hemingway-Kritik stehen. Denn hier sitzt jedes Wort, selbst das verrutschte, denn mit der zweiten Wahl soll die kunstvolle Sprachunbeholfenheit dieses Ausnahmestilisten (und seiner kongenialen Übersetzerin) repräsentiert werden. Zumindest wird der Hemingway-Sound der Übersetzung – faktisch – mit abgebildet, wenn Fallada „in der Art der Erzählung“ Hemingways, die „unerhört primitiv“ sei, nämlich umgangssprachlich, hemdsärmelig – salopp, beinahe schludrig, an „das Geheimnis“ dieser Prosa rührt, die er imitiert. Das Rotzig-Toxisch-Männliche der Figurenrede etwa steht paradigmatisch für das Milieu einer Kriegerkaste und ihres Jargons voller Barbarismen.
Im Nachlass findet sich auch die vermutlich letzte Betrachtung Falladas, sie gilt Johannes R. Bechers Roman Abschied und wurde 1946 im sowjetisch kontrollierten Berliner Rundfunk versendet. Mit Hemingway als Auftakt, mit Becher als Abschied ist auch der politische Rahmen abgesteckt, innert dessen Falladas (teils unpublizierte) Publizistik erfolgte: die Zwischenkriegszeit, die Nazizeit, die frühe Nachkriegszeit.
Die Verbundenheit mit Becher, der Fallada in der Sowjetischen Besatzungszone protegiert hatte, dürfte zu Falladas Besprechung geführt haben. Er liest Bechers Roman – natürlich, möchte man sagen – als Verabschiedung der „für immer dahinsinkenden bürgerlichen Welt“ und als Begrüßung des „Heraufdämmern[s] einer neuen, oh, so veränderten Welt“. Von der Morgenröte des Kommunismus, die nun auch für den Osten Deutschlands anbricht, hat Fallada gerade mal den Vorschein erlebt (er starb bereits 1947), und so kann er Bechers Erinnerungsbuch noch unbefangen als „Gipfel dichterischer Schau“ und Vorschau feiern. Es wird zart angedeutet, dass Becher genuin Lyriker, nicht Erzähler sei: „Es würde mich schon reizen, den Roman dieses Lyrikers zu besprechen, aber dann nur nach diesem Gesichtspunkt.“ Der Kommentar von Hannes Gürgen freilich betrachtet Falladas Kritik nicht vorrangig im Chor anderer Kritikerstimmen, sondern vor dem Hintergrund augenfälliger biographischer Parallelen des Autorengespanns Becher/Fallada. Das ist für sich genommen interessant und aufschlussreich, passt aber nicht so recht zur Konzeption dieses Jahrbuches.
Als drittes und letztes Beispiel sei Falladas Seitenblick auf Aldous Huxleys kleinen Roman Zwei oder drei Grazien genannt, der auf einen sehr subjektiven, beinahe interesselosen Leser trifft: „Kurz gesagt: diese Menschen sind in einem fatalen Sinne ,zeitlos‘, sie haben eigentlich überhaupt keine Beziehung zum heutigen Leben. Darum gehen sie mich nichts an.“
Wolfgang Brylla, der Bearbeiter dieses Beitrages, vergleicht Falladas Rezension mit der zeitgenössischen Würdigung Martin Ruschkes in der Literarischen Welt, die dagegen fast akademisch wirkt und genau das lobt, was Fallada tadelt. Man bekommt hier Lust auf jene anderen Stimmen aus dem Chor der Rezensionen, die in diesem Jahrbuch nicht mit abgedruckt sind.
Falladas erfrischende Subjektivität wird dem jeweils behandelten Buch vielleicht nicht immer gerecht, salviert ihn aber aufgrund der wenigen, für den Autor typischen Kriterien, die er an alle Literatur anlegt: sie muss ihn als Leser etwas angehen, ihn überzeugen. Damit wirkt auf ihn die Welt der Pappkameraden, die so viele Autoren vor sich aufbauen, um sie dann abzuschießen, unglaubwürdig. Neben Huxley trifft dies beispielsweise auf Reinhold Brauns Roman Die seltsame Welt der Annetraut Ohnzeit zu: „diese Annetraut ist ein wundervolles Stück Verlogenheit“, schreibt Fallada in seiner köstlichen Kurzrezension und wendet sich direkt an den Autor: „Ach, Kollege Reinhold Braun, ich habe dich im Verdacht, daß du eine Reinholdine bist.“
Interessant wäre es auch, der Frage nachzugehen, welche Bücher Fallada nicht bespricht und welche Autoren er nicht würdigt. Tucholsky fiele mir ein, Bronnen, Feuchtwanger, Vicky Baum. Frauen, die schreiben, sind hier, wie überall, unterrepräsentiert. Immerhin aber berücksichtigt eine Sammelrezension Irmgard Keuns Gilgi, eine von uns und Karin Michaelisʼ Roman Eine Frau macht sich frei. Der doppelsinnig-anzügliche Titel wirkt auf Fallada so „konstruiert“ wie „die ganze Handlung“, die „unwahrscheinlich“ sei. Gleichwohl attestiert Fallada der Autorin Echtheit, Ehrlichkeit, Dichte, Hass und Tiefe. Die Ausschläge seiner Urteilsfindung sind gewaltig – er hätte damit ein bedeutender Kritiker werden können, mit eigener Handschrift und poetischer Expertise. Was er über Otto Alfred Palitzsch (Die Marie) schreibt, lässt sich auch über ihn selber sagen: „Was dieses Buch zwingend macht, ist die lautere Ehrlichkeit des Autors.“
|
||