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Macht die „Work-Life-Balance“ die Generation Z glücklich?

Von Dirk KaeslerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dirk Kaesler und Stefanie von WietersheimRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie von Wietersheim

Rätsel des Lebens, Abteilung Work-Life-Balance. Wie, um Himmels willen, konnte es nur passieren, dass die meisten jungen Deutschen der Generation Z sich nicht mehr in der Lage sehen, fünf Tage in der Woche zu arbeiten? Überstunden als Folter empfinden, die eigentlich sofort vor einem Gerichtshof für Menschenrechte verhandelt werden muss? Dass die Vier-Tage-Woche als das neue Normal gehandelt wird und „Meine Freizeit!“ schon von Studierenden bei der Bewerbung um obligatorische Praktika als zweiter Punkt angesprochen wird?

Klar. Seit Beginn der Klassen- und Arbeitskämpfe im 19. Jahrhundert sind die Reduzierung von Arbeitszeiten, das Abwehren von Ausbeutung durch Arbeitgeber und die Achtung der Gesundheit ein Kernanliegen von Gewerkschaften, politischen Parteien und Aktivistinnen gewesen. Früher bezog sich dieser Kampf vor allem auf körperlich arbeitende Menschen – und auch heute achten die starken Gewerkschaften im produzierenden Gewerbe und in der Dienstleistungsbranche auf den Schutz ihrer Mitglieder. So weit so gut.

Neu ist jedoch, dass viele sehr junge Menschen, die intellektuellen Berufen nachgehen oder sich auf diese vorbereiten, ihre sorgfältig kuratierte Freizeit vehement gegen jegliche Einschränkung verteidigen. Yoga, Radeln, Netflix-Schauen, Kochen und Tanzen gelten als ebenso wichtig wie der lebenserhaltende Broterwerb. Prophylaktisch wird bei Gesprächen mit Eltern, Verwandten und Arbeitgeberinnen oft das rote Warnschild herausgeholt auf dem steht: „Fass meine Freizeit nicht an“, wenn man über Berufswünsche spricht. Ist die Bereitschaft, gerade am Anfang einer Berufslaufbahn sich ganz auf den Job zu fokussieren, radikal gesunken? Umfragen im Bekanntenkreis scheinen dies zu bestätigen: Ein befreundeter Zürcher Wirtschaftsanwalt stellte erst jüngst bei einem internen Recruiting für die Position als Partner fest, dass sich in der Großkanzlei nur schwer jemand fand, der Lust auf den Job hatte. Die drei angesprochenen Menschen mit Eliteausbildung und gutem Karriereweg wollten a) lieber eine berufsbegleitende Yoga-Ausbildung machen, b) regelmäßig die Wochenenden im Chalet verbringen und c) auf dem Zürichsee rudern. Selbst früher begehrte Jobs im Hotelfach oder im Journalismus scheinen wegen der Wochenend- und Nachtdienste für viele ausgeschlossen. Ein Luxusproblem für verwöhnte Kinder der deutschen Nachkriegsbourgeoisie?

Wie schlimm ist Arbeit? Die schwierige Balance und die neuen Verhandlungen mit den Chefs

Zutiefst verständlich ist das Bedürfnis, Zeit für sich, seine Familie und Freunde haben zu wollen, auch die Sorge um mentale Balance. Erstaunlich ist jedoch, dass diese Anliegen von Menschen geäußert werden, die selbst noch keine Verantwortung für Kinder oder alte Eltern übernehmen und keine 20 Jahre Maloche auf dem Buckel haben. Selbst die ständige Anwesenheit in einem – huch! – Büro scheint eine Zumutung zu sein. Home Office ist meist die Basisforderung der Studienabgänger. Ist die Generation Z vollkommen traumatisiert durch die von der Arbeit schwer verwundeten Eltern? Fürchten sie seelische und körperliche Traumata? Tyrannische Chefs? Hätten lieber mehr Zeit mit den Eltern verbracht? Unterschätzen sie ein auskömmliches Arbeitseinkommen, die Notwendigkeit von Rücklagen für Notfälle oder das Alter? Sind die jungen Leute einfach leistungsunwillig und zu verwöhnt?

Sicher scheint: Die „Balance“ von Work und Life ist ein Thema, das Beziehungen zwischen künftigen Arbeitnehmern mit potenziellen Arbeitgebern zumindest in den Berufen mit Fachkräftemangel verändert hat. Wobei schon die Bezeichnungen ziemlich verdreht sind: Wer eigentlich „gibt“ die Arbeit? Doch nicht der, der Geld für die Arbeit eines anderen bezahlt, oder? Gibt die Arbeit nicht der Arbeitende? Und der angebliche Arbeitgeber ist doch der Nehmer der Arbeit eines anderen, oder etwa nicht?

Gefordert wird ein Zustand, in dem Privat- und Berufsleben sich in einem harmonischen „Gleichgewicht“ befinden. Gefordert wird, genug Zeit für Familie, Freundschaften und Unternehmungen zu haben und gleichzeitig über genügend Kraft zu verfügen, um den Arbeitsalltag erfolgreich meistern zu können. Im Netz erscheinen Illustrationen von einer Waage, bei der beide Waagschalen auf gleicher Höhe schweben. In der Schale mit der Beschriftung „Work“ liegen „Berufliche Ziele setzen, Finanzielle Ziele setzen, Effektives Zeitmanagement betreiben, Freunde im Berufsumfeld“, in der Schale „Life“ liest man „Hobbys und Interessen, Private Ziele setzen, Auf gesunden Geist und Körper achten, Freunde im Privatleben.“

Wieso konstruieren manche Menschen einen Gegensatz, ja eine Gegnerschaft von Arbeit und Leben? Gehört Arbeit nicht zum Leben? Gibt es ein gutes Leben ohne Arbeit? Ist Arbeitslosigkeit nicht ein Schicksalsschlag, dem abzuhelfen eine beachtliche Bürokratiemaschine geschaffen worden ist: Die „Bundesagentur für Arbeit“ mit Sitz in Nürnberg erbringt Leistungen für den Arbeitsmarkt, insbesondere die Arbeitsvermittlung sowie die Arbeitsförderung, und regelt als Verwaltungsträgerin der deutschen Arbeitslosenversicherung die finanziellen Entgeltersatzleistungen, etwa das Arbeitslosengeld. Im Jahr 1952 gegründet, beschäftigt dieses Monster heute bundesweit über 110.000 Menschen.

Und Menschen schreien nach Arbeit. Jeden Tag führt uns das Fernsehen in einem Werbespot für die Jobplatform Stepstone vor Augen, wie glücklich sie zu sein scheinen, wenn sie jubeln können: „Ich hab` den Job!“

Im Mai 2023 veröffentlichte die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung eine Umfrage zur Vier-Tage-Woche. Darin untersuchten Dr. Yvonne Lott vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Stiftung und Dr. Eike Windscheid auf Basis aktueller Befragungsdaten, ob Vollzeiterwerbstätige eine Vier-Tage-Woche möchten oder nicht. Fazit: Rund 81 Prozent der Vollzeiterwerbstätigen wünschen sich eine Vier-Tage-Woche mit entsprechend niedrigerer Wochenarbeitszeit. Knapp 73 Prozent gaben an, eine Arbeitszeitverkürzung nur bei gleichem Lohn zu wollen. Acht Prozent der Erwerbstätigen würden ihre Arbeitszeit auch dann reduzieren, wenn das Entgelt geringer ausfiel. 17 Prozent der Befragten lehnen eine Vier-Tage-Woche ab, zwei Prozent haben ihre Vollzeittätigkeit bereits auf vier Tage verteilt.

Seiltanzen ist keine Arbeit – Vom Wandel der Definitionen

Ob Vier-Tage-Woche oder Sieben-Tage-Woche: Was Arbeit eigentlich ist, darüber sprechen Menschen schon so lange, wie sie sich Gedanken über ein gelungenes Leben machen. In der Bibel lesen wir zum Thema Work-Life-Balance in der Schöpfungsgeschichte bei 2. Mose 20,11: „Denn in sechs Tagen hat der HERR Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der HERR den Sabbattag und heiligte ihn.“ Somit gilt bei den Juden und Christen ein traditionelles Ruhegebot nach einer Woche voller Arbeit, das sich bis heute – vor allem bei orthodoxen Juden – hält. Was jedoch Arbeit genau ist, lesen wir etwa nach der Zeit der Aufklärung im „Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon“ von 1837 mit einer Definition, deren Wertschätzung heute ebenso strittig geworden ist:

Arbeit ist menschliche Thätigkeit zu vernünftigen Zwecken. Nur Menschen können arbeiten, weil sie allein nach Zwecken handeln können. Man sagt zwar im gewöhnlichen Leben auch von den Thieren und Maschinen, daß sie arbeiten, wenn die Kräfte derselben zur Beförderung menschlicher Zwecke verwendet werden; allein im Grunde ist es doch nur der Mensch, der durch die Kraft der Thiere und der Maschinen thätig ist, da er jene abrichten, diese erfinden mußte. Auch ist die Thätigkeit der Thiere zur Befriedigung ihrer eignen Bedürfnisse von der menschlichen Arbeit sehr unterschieden. Das Thier arbeitet nur, wie es ihm von seinem Instincte eingegeben wird, der Mensch dagegen mit Vernunft und nach freier Wahl. Darum ist auch bei der Arbeit der Thiere kein Fortschritt zum Bessern und Vollkommenern bemerkbar, während die Arbeit der Menschen mit ihrer geistigen Ausbildung zu größerer Vollkommenheit fortschreitet. Allein nicht jede Thätigkeit der Menschen, sondern nur diejenige, welche auf vernünftige Zwecke gerichtet ist, kann Anspruch darauf machen, Arbeit genannt zu werden. Auch ist es keine Arbeit, sondern nur Spielerei, wenn Jemand, wäre es auch mit dem größten Fleiße und mit der geübtesten Kunstfertigkeit, Dinge treibt, welche keinen Nutzen bringen, den Geist nicht fördern und überhaupt nicht zur Erreichung der Zwecke beitragen, welche die Bestimmung des Menschen sind, wie dies z.B. bei Seiltänzern, Taschenspielern und Leuten ähnlicher Art der Fall ist. Arbeit ist nur diejenige Thätigkeit des Menschen, welche darauf gerichtet ist, die menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen, und zwar nicht nur die niedern und leiblichen, sondern auch die höhern und geistigen. Die menschliche Arbeit ist demnach so verschieden, wie die Bedürfnisse selbst, welche durch sie befriedigt werden sollen.

Die alte Eintheilung, nach welcher alle Arbeit entweder productiv, d.h. darauf gerichtet ist, Früchte aus Grund und Boden zu gewinnen, oder nichtproductiv, d.h. in Thätigkeit anderer Art besteht, z.B. der des Handwerkers, Künstlers, Staatsdieners und Gelehrten, ist unrichtig, da die menschliche Arbeit überhaupt nicht productiv ist. Die Thätigkeit des productiven Arbeiters, z.B. des Landmanns, geht nicht weiter, als daß er sein Feld gehörig bestellt; daß aber die Saat aufgeht und zur Frucht reist, ist das Werk der schaffenden Kraft der Natur. Wollte man aber sagen, die productive Arbeit sei besser als die unproductive, so wäre dies ein großer Irrthum, da beide gleich nützlich und gleich nothwendig sind. Die Arbeit des Landbauers würde nicht viel helfen, wenn nicht der Müller das Korn mahlte und der Bäcker das Mehl genießbar machte. Alle drei aber würden umsonst arbeiten, wenn nicht die Staatsdiener durch ihre Arbeit dafür sorgten, daß Recht und Gesetz walteten, unter deren Schutze man die Frucht seiner Arbeit ruhig genießen kann. So muß productive und unproductive Arbeit Hand in Hand gehen und sich gegenseitig unterstützen. Nicht minder unstatthaft ist die Eintheilung der Arbeit in Werkthätigkeit und Geistesthätigkeit, da in reiner Werkthätigkeit, welche die Geistesthätigkeit gänzlich ausschließt, die Arbeit niemals bestehen soll.

Das Wahre an den verschiedenen Eintheilungen der Arbeit ist, daß sich verschiedene Individuen in die verschiedenen Arten der Arbeit theilen müssen, wenn etwas Tüchtiges geleistet werden soll. Eine gehörige Theilung der Arbeit ist daher viel wichtiger als jede Eintheilung derselben. Da nicht ein und derselbe Mensch zu jeder Arbeit geschickt ist, so muß sich ein Theil der Menschen dieser, ein anderer Theil jener Arbeit widmen. Durch eine solche Theilung wird die eine Classe der Arbeiter der andern unentbehrlich, denn die eine muß immer für die andere arbeiten und alle haben den gemeinschaftlichen Vortheil, daß ihre Bedürfnisse weit besser und vollkommener befriedigt werden, als wenn sie selbst jede Art der Arbeit verrichtet hätten. Noch viel weiter als gewöhnlich hat man die Theilung der Arbeit bei einzelnen Fabrikationszweigen mit dem glücklichsten Erfolge ausgedehnt und gefunden, daß die richtige Vertheilung der Arbeit an mehre Personen ein 200mal größeres Product gibt, als es ohne Arbeitstheilung der Fall sein würde. So verfertigt z.B. ein Schmied, der nichts als Nägel macht, des Tages 2300, während ein anderer, der auch mit anderer Schmiedearbeit sich beschäftigt, deren nur 800 verfertigen kann. Wenn indeß diese Theilung der Arbeit so weit getrieben wird, daß an den einzelnen Arbeiter nur kleine unbedeutende Verrichtungen kommen, bei welchen er nichts mehr zu denken und zu überlegen hat, so kann zwar die Arbeit an Vollkommenheit gewinnen, allein der Arbeiter selbst geht verloren, denn wer lange Jahre hindurch nichts thut, als Nadeln zu durchbohren, muß nothwendig am Ende zu einem maschinenmäßigen Instrumente herabsinken, welches zu nichts Anderm tauglich ist.

Was macht der Mensch eigentlich den ganzen Tag?

Der Tag jedes Menschen hat 24 Stunden: Womit diese Zeit im Durchschnitt verbracht wird, zeigt aktuell eine internationale Studie unter Leitung kanadischer Forschender von der McGill University. Diese nutzten verschiedene Datenquellen, um einen globalen Durchschnittstag zu berechnen – und kamen dabei zu überraschenden Ergebnissen.

„Wir wollten wissen, wie die Zeitaufteilung der Menschheit im Durchschnitt aller Menschen und Länder aussieht“, erklärt Erstautor William Fajzel. Anders formuliert: „Wenn die Welt eine einzige Person wäre, wie würde ihr Tag aussehen?“ Das Forschungsteam zog Zeit- und Arbeitsdaten aus über 140 Ländern heran, die aus den Jahren 2000 bis 2019 stammten, um die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auszusparen. Konkret nutzten die Wissenschaftler Informationen von statistischen Ämtern, aber auch von Ilostat, der Datenbank der Internationalen Arbeitsorganisation (Ilo), sowie Daten der Weltbank und von Unicef.

Wie die Studienautoren selbst einräumen, waren allerdings nicht für jedes der berücksichtigten Länder alle Daten verfügbar und manche Datensätze waren umfangreicher als andere. Nichtsdestotrotz ergab sich für die Wissenschaftler ein Bild jener Tätigkeiten, die Menschen an einem Tag verrichten, die sie nach deren jeweiligem Zweck sortierten. Insgesamt verwendeten sie mehr als 20 Kategorien, die sie in vier große Gruppen einteilten.

Die erste Gruppe beschreibt Schlaf und Bettruhe – hierauf entfielen gut neun Stunden des Durchschnittstages. Diese lange Zeit erklärt sich daraus, dass in die Statistik auch die Schlafzeiten von Kindern und Jugendlichen eingerechnet wurden, die in der Regel mehr schlafen als die etwa sieben Stunden, auf die Erwachsene den Autoren zufolge im Schnitt kommen. Ebenso wurde die Zeit miteinbezogen, in der man im Bett liegt, aber nicht schläft.

Knapp neuneinhalb Stunden entfielen auf Aktivitäten, die auf sich selbst oder andere Menschen ausgerichtet sind. Dazu gehörten beispielsweise so unterschiedliche Dinge wie Hygiene und Körperpflege, Kinderbetreuung, Mahlzeiten, aber auch Treffen mit Freunden, Religionsausübung und Bildung. Allein zum Essen wendet ein Durchschnittsmensch täglich 1,6 Stunden auf – sowohl in armen als auch in reichen Ländern.

Etwas weniger als dreieinhalb Stunden fielen in die dritte Kategorie der Aktivitäten mit „äußerer Wirkung“. Zu diesen gehörten laut der Studie unter anderem der Anbau, die Verarbeitung und die Zubereitung von Lebensmitteln, aber auch die Herstellung von Dingen oder der Umgang mit Abfall.

In der letzten Kategorie fanden sich schließlich Aktivitäten mit organisatorischem Zweck, auf die gut zwei Stunden entfielen. Dazu zählten die Forschenden etwa den Aufwand für Wegstrecken und der Transport von Gegenständen.

Einige der Detailergebnisse erstaunten die Forschenden selbst, darunter die Tatsache, dass die meiste Zeit des „globalen menschlichen Tages“ darauf entfalle, sich um sich selbst und andere zu kümmern. „Überraschenderweise ändert sich der Zeitaufwand für Aktivitäten wie Mahlzeiten, tägliche Reisen, Hygiene und Körperpflege sowie die Zubereitung von Lebensmitteln nicht systematisch mit dem materiellen Wohlstand einer Bevölkerung“, schreiben sie weiter.

Große Unterschiede beobachteten sie hingegen beim Anbau und der Beschaffung von Essen: Hierfür brauchen die Menschen in ärmeren Ländern im Durchschnitt mehr als eine Stunde, während es in reichen Ländern weniger als fünf Minuten sind. Auf den ersten Blick verblüffend wirkt die Tatsache, dass die Studie gerade einmal gut zweieinhalb Stunden für das Geldverdienen im Rahmen eines durchschnittlichen menschlichen Tages verzeichnet, wobei diese Wirtschaftstätigkeit von der Land- und Viehwirtschaft dominiert werde. „Die Gesamtzeit von 2,6 Stunden mag zwar gering erscheinen, doch für die zwei Drittel der Weltbevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15-64 Jahre), die die Erwerbsbevölkerung bilden, entspricht dies einer 40-Stunden-Woche“, heißt es dazu in einer Mitteilung.

Die ungewöhnliche Einteilung menschlicher Aktivitäten soll laut William Fajzel einen ersten Schritt zu einer „Vogelperspektive auf das menschliche Leben“ darstellen. Dabei entwickele die Studie keinen internationalen Standard dafür, wie unsere verbrachte Zeit definiert oder gemessen werden könne. Stattdessen böten die Ergebnisse einen Einblick in die Art und Weise, „wie wir das Leben erleben“ und wie sich unsere Zeitnutzung angesichts globaler Herausforderungen infolge des Klimawandels oder des technologischen Fortschritts verändern könnte. Die Studie schließt: „Zeit, so heißt es, ist die Währung des Lebens – und in einer global vernetzten Gesellschaft ist es unabdingbar, ein umfassendes Verständnis dafür zu haben, wie diese ausgegeben wird.“

Schlag nach bei Max Weber – Leben, um zu arbeiten

Auch unser diesmaliges Thema bietet eine gute Gelegenheit, an Ideen zu erinnern, die die Soziologie dem Wissen der Menschheit vermacht hat. Wer über das Verhältnis von Arbeit und Leben nachdenkt, wird nicht umhinkommen, ein klassisch gewordenes Werk des deutschen Soziologen Max Weber zu nennen.

Mit seiner Aufsatzserie „Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“ (1904/1920) schuf dieser Universalgelehrte einige der spannendsten und folgenreichsten Texte, welche die wissenschaftliche Soziologie im Laufe ihrer vergleichsweise kurzen, etwa 200jährigen Geschichte geschaffen hat.

Wer sich mit Webers Buch auseinandersetzt, begegnet einer der Großen Erzählungen der Soziologie, mit denen Menschen auf der ganzen Welt sich seit über hundert Jahren einen Reim auf ihre Geschichte und Zukunft zu machen versuchen. Mit diesem Buch wurde – zwar keineswegs zum ersten Mal, dafür jedoch mit der größten Wirkung – eine These in die Gedankenwelt der Menschen gesetzt, die bis heute an Vehemenz nicht viel verloren hat, vielleicht gegenwärtig sogar eher zunimmt. Die zentrale These des Max Weber lautet: Einige jener Ideen, die radikale Protestanten des 16. und 17. Jahrhunderts, auf der Suche nach einigermaßen verlässlichen Zeichen Gottes für ihre Erlösung von der ewigen Verdammnis, entwickelten, wirkten entscheidend mit am Bau einer Welt von Glaubensinhalten und Verhaltensweisen. Dieser Gedankenkosmos seinerseits erbaute ganz allmählich jene Gehäuse der Hörigkeit und Unfreiheit des Menschengeschlechts auf dem ganzen Globus, die man unter der Überschrift „moderner Kapitalismus“ zusammenfassen kann. Zum Kernbestand der Großen Erzählungen der Menschheit zählend, kann diese These, die üblicherweise als „Protestantismus-Kapitalismus-These“ bezeichnet wird, im angloamerikanischen Kulturraum abgekürzt als „Weber-These“ gehandelt wird, empirisch nicht widerlegt werden. Trotz ihres Alters kann sie daher auch nicht „überholt“ werden.

Aber nicht nur, weil diese Texte kanonisch geworden sind, lohnt es sich, sie zu lesen. Es kann sich noch aus einem anderen, sehr viel persönlicheren Grund lohnen: Sie wären nicht die ersten, die sich durch deren Lektüre selbst begegnen, die sich selbst und ihre Mitmenschen dadurch besser verstehen. Vielleicht haben auch Sie sich schon manchmal gefragt, wieso Sie Ihrem Beruf, Ihrer Arbeit, Ihrer Tätigkeit eine so große Bedeutung zumessen. Wieso Sie so viel Ihrer Freizeit, Ihres Soziallebens, Ihrer nichtberuflich bestimmten Neigungen opfern, nur Ihrer Arbeit wegen. Und wieso Menschen, die keinen Beruf haben, ihn noch nicht haben oder arbeitslos geworden sind, derart darunter leiden, dass sie diese Tatsache auf vielerlei Weise zu leugnen, zu verbergen suchen. Sie wären nicht die ersten, die nach der beendeten Lektüre der Texte Webers, eine bessere Antwort auf diese Fragen liefern können als davor.

Nur so viel sei an dieser Stelle gesagt: Max Weber macht klar, dass die „Balance“ von Leben und Arbeit deswegen aus dem Gleichgewicht kam, weil sich das alles entscheidende „Leitmotiv“ des Kapitalismus durchgesetzt hat: „Der Mensch ist auf das Erwerben als Zweck seines Lebens, nicht mehr das Erwerben auf den Menschen als Mittel zum Zweck der Befriedigung seiner materiellen Lebensbedürfnisse bezogen.“ Und damit Menschen so weit kommen, dass sie im „Erwerben“ den Zweck ihres Lebens sehen, haben sie etwas entwickelt, was Weber die „Berufspflicht“ nennt, die Pflicht jedes Menschen, einen Beruf zu finden, zu ergreifen, auszufüllen, zu leben. Dieser „Beruf“ ist nicht nur „Job“, wie wir das heute nennen würden, also eine Tätigkeit, die man „halt so“ ausübt, wenn auch für Geld. Innerlich ist man von einer Tätigkeit wohl nicht ergriffen, wenn man beispielsweise die Toiletten in einer Autobahnraststätte putzt, im Schnellrestaurant die Tische abräumt oder in einer Großhalle Mobiltelefone zusammensetzt. Was Weber mit „Beruf“ im Sinn hatte, ist eine Tätigkeit, die den ganzen Menschen erfasst, mit Haut und Haar, mit Geist, Seele und Herz gewissermaßen, zumeist ein ganzes Leben lang. Einen Beruf also, der zur „Berufung“ geworden ist. Und weil sich im Prinzip kein Mensch solcher „Berufspflicht“ entziehen kann, entsteht eine Ordnung, eine wirtschaftliche, politische, gesellschaftliche, kulturelle und mentale Ordnung, die Weber Kapitalismus nennt, oder genauer: moderner, rationaler Betriebskapitalismus. Und von dieser Ordnung sagt er in seiner starken Sprache mit ihren vielen eindrucksvollen Bildern: „Die heutige kapitalistische Wirtschaftsordnung ist ein ungeheurer Kosmos, in den der einzelne hineingeboren wird und für ihn, wenigstens als einzelnen, als faktisch unabänderliches Gehäuse, in dem er zu leben hat, gegeben ist. Er zwingt dem einzelnen, soweit er in den Zusammenhang des Marktes verflochten ist, die Normen seines wirtschaftlichen Handelns auf.“

Mit diesem Zitat erklingt bereits das Leitmotiv jener Erzählung, die Max Weber vermitteln möchte: Wie konnte das geschehen, so fragt er sich, dass dieser „ungeheure Kosmos“ des modernen Kapitalismus entstand, der für jeden Menschen zum „unabänderlichen Gehäuse“ wurde, von dem er an anderer Stelle als einem „stahlharten Gehäuse“ spricht?

Wer das Buch nach Lektüre zur Seite legt, wird erkennen, dass der Traum von einer ausgewogenen Balance von Arbeit und Leben ein Traum ist, den nur sehr wenige Menschen in die Wirklichkeit umsetzen konnten und können. Die universale kapitalistische Ordnung der menschlichen Gesellschaften wird immer die Waagschale mit der Überschrift „Work“ weit oben über den Köpfen der Menschen schweben lassen. Sie herrscht über die Menschen auf der ganzen Erde.

„What is a weekend?“ – Downton Abbey als Inspirationsquelle für die Gen Z

Von den sehr wenigen Menschen, deren Waagschale „Life“ weit oben hängt – auch schon deswegen, weil sie die Waagschale „Work“ für sich selbst nicht kennen –, könnten wir eine Heldin aus der Serie „Downton Abbey“, Ihre Ladyschaft, Violet Crawley, die Dowager Countess of Grantham, zu Wort kommen lassen. Folgende Szene gehört seit Erscheinen der Staffel zur Filmgeschichte, denn sie zeigt wie so vieles in dieser Serie auch Sozialgeschichte: Als Matthew Reginald Crawley, der als Angehöriger der Mittelschicht als Anwalt in Manchester arbeitet und unvermutet als möglicher Nachfolger des aktuellen Lord Grantham auftaucht, beim Dinner der Familie von seiner Arbeit erzählt, sorgt sich Lord Grantham, dass Matthew sich nicht genügend um den Betrieb des Schlossguts kümmern könne. Matthew beruhigt ihn und verweist darauf, dass er dafür hinreichend Zeit an den Wochenenden finden würde.

Nach einer kurzen Schrecksekunde ertönt die Frage der Seniorin: „What is a weekend?“

Überhaupt nicht zu wissen, was ein Wochenende sei, weil für manche Menschen eigentlich immer Wochenende ist, mag für manche als ultimativer Luxus gelten. Nicht aber für jene Menschen wie die verstorbene Queen Elizabeth, der es gar nicht in den Sinn kam, auch in ihren hohen Neunzigern in den „Ruhestand“ zu gehen, da ihr ganzes Sein mit royalen Terminen verflochten war und eben diese Arbeit ihr Leben bedeutete.

Von Hannah Arendt wissen wir, dass der Mensch glücklich ist, wenn er nicht das „Animal laborans“, das Tier sein muss, dessen Dasein auf das Arbeiten zur Existenzsicherung reduziert ist. Der jungen Generation, die eine Work-Life-Balance zu ihrem Mantra gemacht hat, kann man nur wünschen, dass auch sie eine Berufs-Arbeit findet, die sie so ausfüllt, dass sie sich primär als „homo faber“ erleben, einen schaffenden Menschen, der seine Umwelt aktiv verändert. Und wenn sie sich in ihrer Arbeit auch noch als „homo ludens“, einen spielenden Menschen, erleben, steht der „Vita activa oder Vom tätigen Leben“ (Englisches Original „The Human Condition“ 1958, auf Deutsch zuerst 1960) nichts mehr im Weg. Erst dann macht das Segeln auf dem Zürisee so wirklich Freude.

Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag gehört zur monatlich erscheinenden Kolumne „Rätsel des Lebens“ von Dirk Kaesler und Stefanie von Wietersheim.