Fehlbare Vaterrollen
In seinem Debütroman „Väter“ reflektiert Paul Brodowsky über nationalsozialistische Härteideale und patriarchales Erbe
Von Michael Fassel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseBereits der simple wie semantisch gehaltvolle Titel Väter des autofiktional angelegten Romans lässt erahnen, dass sich der 1980 geborene Paul Brodowsky, Theaterautor und Literaturwissenschaftler, mit seinem Debütroman in die Traditionslinie der sogenannten Väterliteratur einschreibt. Auch wenn sich viele Gemeinsamkeiten etwa mit Bernward Vespers Romanfragment Die Reise (1979) oder Christoph Meckels autobiographischem Prosastück Suchbild. Über meinen Vater (1980) rasch finden lassen, hebt sich Brodowskys Reflexionsprosa von den früheren Beispielen der heterogenen Väterliteratur insofern ab, als es sich um einen Ich-Erzähler handelt, der Anfang der 1980er Jahre erst geboren worden ist. Überdies steht neben der problematischen Vater-Sohn-Beziehung das eigene Vatersein im Fokus. Was bedeutet es, Vater kleiner Kinder zu sein? Die eigene Vaterrolle ist Ausgangspunkt seiner Überlegungen und veranlasst ihn dazu, mehr über die Vergangenheit seines eigenen Vaters herauszufinden, der als Jugendlicher die Napola, die Nationalsozialistische Erziehungsanstalt, besuchte.
Der Erzähler Paul, benannt nach seinem Onkel, einem ehemaligen NSDAP-Kreisgeschäftsführer, konfrontiert im Rahmen von Interviews über einen längeren Zeitraum hinweg seinen Vater mit Fragen. Nun, da er selbst Vater ist, beschäftigt ihn die Ausgestaltung seiner eigenen Vaterrolle: Wie viel patriarchales Gehabe steckt in ihm selbst? Wie kann er sich von seinem eigenen Vater abheben? Solche und ähnliche Fragen quälen den Erzähler, der im oszillierenden Gewirr von Reflexionen, Beschreibungen, Recherchen – versehen mit Schwarz-Weiß-Fotografien – und Erinnerungsfragmenten weniger nach Antworten sucht, sondern vielmehr um Ausdrucksmöglichkeiten ringt.
Die eingeschobenen Rückblenden in Kindheit und Jugend entfalten im Gegensatz zu der sonst so ausgiebig betriebenen Reflexionsprosa eine besondere literarische Wirkung. Die detailreichen Fragmente zeichnen sich durch Unmittelbarkeit aus, die sich vom sonst geordneten Blocksatz durch Linksbündigkeit abhebt. Es handelt sich dabei um Erinnerungsblitze, die mit Kleinschreibung beginnen: „ich sitze am Mittagstisch, es gibt Rotbarschfilet, Kartoffeln und Brokkoli, ich nehme von allem nur eine zwei Teelöffel kleine Menge […].“
Wiederholt wird geäußert, wie fehlbar er in seiner Vaterrolle sei, die natürlich völlig anders ausfällt als die des 1933 geborenen Patriarchen. Er fürchtet das Autoritätsgehabe, das in seiner eigenen Person schlummert und in bestimmten Situationen aktiviert wird. Dieser innere Konflikt macht die Erzählfigur, die in ihrer Empathie die Ambivalenzen zu überwinden versucht, interessant. Im Nacken lauert omnipräsent der Schatten des Vaters. Das Leiden des Erzählers unter einem Tinnitus steht allegorisch für den schattenwerfenden Vater respektive die nationalsozialistischen Prägungen seiner Vorfahren:
Jeden Morgen nach dem Aufwachen der gleiche, kurze Moment, in dem ich mich fast panisch auf mein Hören konzentriere und Morgen für Morgen feststelle: Das Geräusch ist noch da. Jeden Morgen ein Gefühl von Enttäuschung, vermischt mit der größer werdenden Angst, dieses Geräusch könne mich tatsächlich ein Leben lang bewohnen.
Erklärungsansätze für die soldatischen Härteideale seines Vaters findet er unter anderem in Klaus Theweleits für die „Masculinity Studies“ international viel beachtete Studie Männerphantasien (1977/78). Die Verweise erweisen sich durch den in hohem Maße belesenen Erzähler insbesondere für eine literaturwissenschaftlich ausgerichtete Männlichkeitsforschung einerseits als reizvoll, andererseits bekommt man als Leser:in den Eindruck, dass er selbst am Deutungsgeschäft des eigenen Textes in gewisser Hinsicht zu intensiv teilnimmt:
[…] ich stelle mir vor, wie ich auf Milan einschlage, blutiger Brei, heißt es bei Theweleit, leerer Platz, was ich real natürlich nie tun möchte, nie tun würde, zugleich hasse ich mich für diese Gewaltvorstellung, die in meinem Kopf nicht nur Milan, sondern auch mich selbst trifft.
Seine Hilflosigkeit als Vater veranschaulicht er zum Beispiel schonungslos in der Szene, in der er mit der flachen Hand auf den Fahrradhelm seines Sohnes Milan schlägt. Sofort bereut er seine Affekthandlung. Es sind solche und ähnliche Momente der Eskalation, die den doch sehr fürsorglichen Vater an seine Grenzen bringen.
Brodowskys Roman liest sich zuweilen wie ein Selbstporträt, das zum Teil stark überfrachtet wirkt. Zahlreiche Passagen drehen sich um die eigene Person, so dass an einigen Stellen der Eindruck einer Selbstinszenierung entsteht. Dies liegt vielleicht mitunter daran, dass die anderen Figuren blass bleiben, ja selbst der antagonistisch angelegte Vater nur eine autoritäre Instanz und ein Bündel längst überholter Wertvorstellungen bleibt. Statt den anderen familiären Figuren mehr Farbe zu verleihen, hadert der Ich-Erzähler in einem larmoyanten Duktus mit der Erkenntnis, dass er selbst Verhaltensweisen seines Vaters bei sich wiederentdeckt und diese unterdrückt.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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