Literatur als Erfahrung und Erkenntnis

Maurice Blanchot stellt in seinem Essayband „Feuers Anteil“ luzide Überlegungen zu Literatur und Kritik an

Von Gerhard PoppenbergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gerhard Poppenberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der 1949 publizierte Band La part du feu enthält längere Essays zu verschiedenen Autoren. Sie wurden bei Gelegenheit von Neuerscheinungen geschrieben, werden aber durch eine leitende Fragestellung orientiert und bilden in ihrer disparaten Vielfalt eine Einheit. Sie umfassen Autoren vom Beginn des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, also die Literatur der Moderne: Hölderlin, Constant und Chateaubriand, Baudelaire und Mallarmé, Rimbaud und Lautréamont, Valéry und Paulhan, Kafka und Char, Gide, Malraux und Sartre. Blanchot legt ihre Werke auf die Frage des Schreibens und der Literatur selbst aus, getragen von der Kraft eines vorausleuchtenden Gedankens: dass es dem Schreiben von Literatur, wenn es ernsthaft geschieht, in seinem Schreiben zuerst und zuletzt um die Literatur selbst geht.

An den verschiedenen Phänomenen des Literarischen legt Blanchot das frei, was sich in ihnen von ihnen selbst her als ihr Eigenes zeigt, und legt es auf die Frage nach dem Wesen des Literarischen aus. Dieses Wesen, so zeigt sich, ist nicht eine vorgängige Größe – es ergibt sich aus den literarischen Werken. Das ist die Quintessenz des abschließenden Essays Die Literatur und das Recht auf den Tod, der nicht nur für Blanchots Überlegungen grundlegend ist; es ist ein für die Literaturtheorie des 20. Jahrhunderts epochaler Essay, der Einsichten in die Verfassung von Literatur überhaupt gibt. Er wird in seiner Tragweite erkennbar, berücksichtigt man den Text, auf den er antwortet: Sartres Was ist Literatur? (1948). Die Auseinandersetzung lässt das Epochale von Blanchots Überlegungen erkennbar werden. Die Frage „Was ist Literatur?“ ist formal die nach dem Wesen in der Tradition der metaphysischen Ontologie. In deren Linie zielt die Frage auf das, was eine Sache – in diesem Fall die Literatur – vorab bestimmt und sie von anderen Sachen – Mitteilungen und Berichten der Alltagssprache, Vertrags- und Gesetzestexten etc. – unterscheidet. Sartre bestimmt die Literatur von ihren Themen, vor allem vom politischen Engagement her: also von etwas ihr Vorgängigem.

Blanchot macht geltend, damit werde sie nicht als Literatur bestimmt, sondern von einer ihr äußerlichen und vorgegebenen Sache, dem behandelten „Thema“, über das sie etwas mitteilt. Er zeigt in den Essays, wie wenig die Handlung und das Thema der Werke etwas über ihr Besonderes zu verstehen geben und wie sehr die Texte ihre je eigene Weise des Schreibens erzeugen. Aus diesem Grund ist die Was-ist-Frage, mit der die Texte auf ein allgemeines Wesen ausgelegt werden, der Sache der Literatur nicht angemessen. Literatur ist nicht in dem Sinn, wie Sachen und Lebewesen sind; sie hat kein Wesen, das man als ihr Wassein bestimmen könnte – wie man etwa Eisen im Verhältnis zu Blei chemisch, einen Hund im Verhältnis zu einer Katze biologisch bestimmen kann. Sie ist eher in der Art von vernunftbegabten Lebewesen, die sich nicht nur im Verhältnis zu anderen, sondern vor allem auch zu sich selbst bestimmen und ihr Verhältnis zu anderen von diesem Selbstverhältnis her auslegen: denen es, so Heideggers Bestimmung des menschlichen Daseins, in ihrem Sein um dieses Sein selbst geht. Die Seinsfrage wird bei Blanchot zur Frage der Literatur. Damit wird die Frage nach dem Wesen des Menschen und der Literatur komplexer. Es ist im Verhältnis zum traditionell bestimmten Wesen nicht etwas fest Vorgegebenes, es bildet sich im Vollzug des Schreibens sowie nach Maßgabe der unterschiedlichen Autoren erst aus. Im Verhältnis zum überkommenen Wesen ist es ein Unwesen, das sich in dem Maße, wie es offenbar wird, auch wieder entzieht.

Ausgehend von Mallarmé zeigt Blanchot, wie das Wort als Repräsentation und der Begriff als Abstraktion der Dinge Bedeutung erzeugen, aber auch Abstand und Leere zwischen den Worten und Dingen. In diesem Raum der Abwesenheit bildet sich das Gedicht. Das Wort erzeugt ein Gleiten vom Ding zur Bedeutung. Deshalb muss es, um die Abwesenheit des Dings in der Bedeutung auszugleichen, durch ein anderes Wort ersetzt werden, das wiederum Abstand schafft, der ausgeglichen werden muss, etc. Das ergibt „das Reich der Bilder“, die ihrerseits keine festen Gebilde sind; das Bild als Gestalt ist ein Übergang, ein Moment auf einem „unendlichen Weg“. Diese Gleitbewegung – das Gleiten des Signifikanten, das Lacan in den folgenden Jahren erkundet – bildet das Gedicht, das aus Wörtern, Metrum, Rhythmus besteht und davon getragen wird. Das Gedicht ist eine „Ganzheit“, die sich „auf nichts stützt“, was in irgendeiner Weise fest und bestimmt wäre. „Alles ist Rede gegen Rede, die sich gegenseitig aufhebt“, schreibt Hölderlin in den „Anmerkungen zum Ödipus“. Aber diese Aufhebung ist selbst nicht Nichts, pures Sprachspiel ohne Sinn, wie die postmodernen Adepten dieser Einsichten in die relationale Verfassung der Sprache leichtfertig und denkfaul daraus ableiteten. Sie ist le mystère dans les lettres, das Geheimnis der Sprache und der Dichtung.

Aber, so fügt Blanchot sofort in seiner dialektisch geschulten Form des Denkens hinzu, schon Mallarmé selbst hat diese Gestalt des Geheimnisses und der Wahrheit als Täuschung erkannt. Ein solches Gedicht ist in seiner absoluten Form nicht realisierbar. Allerdings zielt die „wirk­liche Dichtung“ auf dieses „Nichtrealisierbare“, dieses Unmögliche. Deshalb ist die Wahrheit der Dichtung nicht die dialektische Aufhebung der Widersprüche in ein zuletzt absolutes Wissen, sondern das Paradox, das sich in der Sprache allgemein und der Dichtung besonders abzeich­net. In der Gestalt des Gedichts – und je vollkommener es ist, desto stärker ist das Paradox – wird das Gegenstrebige der Sprache als Intention auf Bedeutung und damit Erzeugung von Abwesenheit und Leere verwirklicht, so dass die gelungene Dichtung es nicht aufhebt in ein absolutes Gedicht, sondern in ihr Gelingen das Scheitern einbezieht. Und eben das ist das Geheimnis, in dem sich Bedeutung und Wahrheit nicht schlicht auflösen, sondern immer neu und immer anders konfigurieren.

Die Metamorphose des Gedichts ist die Verwandlung von Ding und Wort in Bedeutung und Wahrheit, die in der materiell-sprachlichen Gestalt gründet und von ihr getragen wird. Das ist die Wirklichkeit des Gedichts, seine Substanz als Sprache, die aber gerade darin besteht, die Wirklichkeit der Welt in Abwesenheit und Leere zu verwandeln und auf diese Weise Bedeutung zu bilden. Die dichterische Gestalt der Wahrheit gründet in diesem Paradox, in dieser Gestalt gewordenen Ambivalenz. Sie zu erfassen, sie denkbar und verstehbar zu machen, erfordert eine ungeheure denkerische Anstrengung: nicht aber als Arbeit der Logik und des Begriffs, sondern als Arbeit der Sprache und des Gedichts. Die Überlegungen Blanchots stehen in der Spur dessen, was Heidegger zu der Zeit im deutschsprachigen Raum erschlossen hat. Sie ermöglichen – nach den Exerzitien der Entgrenzung des Sinns, des unendlichen Sprachspiels und dem Getändel mit der Materialität des Signifikanten – den Anfang eines ernsthaften Nachdenkens über Sprache und Dichtung: die Grundlegung von Dichtung und Kritik aus dem Geist des Geheimnisses in seiner paradoxen Verfassung.  

Eine Dimension der Bestimmung von Dichtung hat Blanchot aus Heideggers Hölderlin-Deutung übernommen. Dichtung stiftet Welt, indem sie das Seiende im Ganzen und als Ganzes – als Natur, Offenes, Heiliges – konfiguriert. Ohne sie wäre auch alles da, aber ohne einen Zusammenhang. Die Sprache würde die Dinge bezeichnen, es gäbe die Möglichkeit von Mitteilung und pragmatischer Lebensfähigkeit – aber keine Welt als Ganzes und den Menschen Gemeinsames, die deshalb in Zweckgemeinschaften und nicht in Sinngemeinschaften lebten. Wenn aber die Sprache immer auch und womöglich zuerst referentiell, informativ und pragmatisch orientiert ist, ergibt sich die Frage, ob eine durch Dichtung gestiftete Sinngemeinschaft als Bezug auf ein Weltganzes überhaupt möglich ist. Deshalb bestimmt Blanchot das dichterische Wort ausgehend vom Unmöglichen. Im Feld des Modalen liegt es außerhalb von Möglichkeit und Wirklichkeit. Aber es ist, soll das Leben der Menschen Sinn haben, notwendig. Das ist der tiefste Grund des Paradoxes der Dichtung; sie ist notwendig, aber unmöglich.

An Rimbaud zeigt Blanchot, dass er nicht ein „ästhetisches Ideal“ hat und auf „schöne Wer­ke“ aus ist. Die Dichtung soll „dem Menschen helfen auszutreten (à aller quelque part), mehr zu sein, als er ist, mehr zu sehen, als er sehen kann, das zu erkennen, was er nicht erkennen kann“; sie soll „aus der Literatur eine Erfahrung machen, die das gesamte Leben und das gesamte Wesen betrifft“. Das ist eine Intention der modernen Literatur allgemein: eine Gestalt dessen zu bilden, was in der mystischen Überlieferung innere Erfahrung heißt. Blanchot er­kundet – wie zuvor sein Freund Bataille in Die innere Erfahrung (1943) – die Möglichkeiten einer profanen Mystik. Sie betrifft das Leben als Ganzes und verändert es – wenn es hoch kommt radikal und von Grund auf; sie macht den, der eine solche Erfahrung macht, zu einem neuen Menschen. Schreiben und Lesen bilden nicht einfach Bedeutung, sie zielen darauf, eine Erfahrung zu machen. Die mystische innere Erfahrung führt zur verwandelnden Konversion; in der Dichtung wird sie zu einer weltlichen Verwandlung. Das gibt einer Persönlichkeit die mentale Tiefe eines komplexen und weiten Innenraums, in dem sich ein starkes Fühlen und Denken entwickeln kann. Der Übergangscharakter der Dichtung bedeutet, dass die Wahrheit der Verwandlung in der Verwandlung selbst liegt: in der Umgestaltung eher als in der neuen Gestalt. Das „Wesentliche der literarischen Erfahrung“ ist „der Versuch einer Entfremdung (dépossession) sowohl von der Sprache als auch von uns selbst“. Verwandlung ist die Erfahrung des Verlustes von Gestalt, des Formlosen, das „selbst“ gar nicht möglich ist, da jede Materie irgendeine Gestalt hat. Die reine Materie wäre die schiere „Dichte und Undurchdringlichkeit“, das Opake überhaupt als das andere jeder Gestalt. Die Umgestaltung in eine andere Gestalt ist dann der „Vorwand“, um die Erfahrung der Ungestalt zu machen: der Gestalt an der Grenze zur Auflösung der Gestalt.

Ein leitendes Motiv der modernen Literatur ist, so zeigt Blanchot mit Sartres Romanen, als Fiktion eine „offenbarende Erfahrung zu werden“ und als „Erkennt­nismittel“ zu dienen. Wenn Dichter und Denker, Romanciers und Philosophen in Fiktionen von theoretischen Problemen und in Theorien von Fragen handeln, die den theoretischen Zugriff übersteigen, ist die Fra­ge, wie sich dieses „und“ von Dichten und Denken, Roman und Philosophie gestaltet. Sein Artikulationsagent ist die Kritik. Sie ist im Spannungsfeld von Dichten und Denken angesiedelt. Sie bildet den Lichtbogen zwischen Fiktion und Erkenntnis, poetischer Figur und theoretischem Begriff; sie bildet figurative Erkenntnis. Die Artikulation ist in ihrem Konzept angelegt. Das Wort Kritik entstammt dem griechischen Wortfeld von krinein, krisis – unterscheiden, Unterscheidung. Aufgabe der Kritik ist das Unterscheiden von Momenten, die in einem Werk wirksam sind. Die Ambivalenz von Dichten und Denken wird in der Kritik entfaltet. Das bedeutet auch, dass sie im Unterscheiden ihr Wesen und im Unterschied ihren Ort hat: dass die Örtlichkeit des Orts vom Unort des Zwischen und das Wesen aus der Relation zu bestimmen ist. Die Kritik ist sowohl Dichten wie Denken, Literatur wie Theorie.

Eine starke Strömung der gegenwärtigen Literatur legt die Frage nahe, ob die Heutigen sich einer solchen Erfahrung auszusetzen gewillt sind. Es scheint, dass Kunstwerke aller Art dazu dienen sollen, die Künstler und ihr Publikum in ihrer Gegenwart und ihrem Eigenen zu bestätigen. Die marktgängige Autofiktion hat nicht die von Blanchot erörterte Verfassung. Sie ist nicht Erprobung des Eigenen in einem Fremden, sondern die Ausgestaltung des Eigenen zu dessen Bestätigung. Das erweckt den Anschein von Authentizität, durch die eine Dar­stellung der eigenen Erlebnisse bedeutsam sein soll, ohne sie in eine Figur oder Geschichte zu verwandeln, mit der wiederum andere, Leser und Leserinnen, eine Erfahrung im angesprochenen Sinn zu machen vermöchten. Es werden persönliche Befindlichkeiten ausgestellt, die wiederum zur Bestätigung ähnlicher Befindlichkeiten der Leser und Leserinnen dienen. Eine Frau erzählt die Stationen ihres Lebens nach, von der Kindheit über die Pubertät bis zum Erwachsenenleben und Alter, unterbrochen von aus dem Geschichtsbuch gezogenen Erläuterungen zum historischen Umfeld. Das ist weitgehend belanglos und langweilig, allerdings höchst erfolgreich. Man liest es als interessierter Zeitgenosse aus intellektueller Redlichkeit bis zum Ende, in der Hoffnung, einen Grund für die Beliebtheit dieser Art von Literatur zu finden. Es scheint das Bedürfnis zu sein, sich bestätigt zu sehen, mit dem Vertrauten zufrieden zu sein, sich in der Banalität des Eigenen einzurichten, ohne den mühseligen Umweg über ein verwandelndes Fremdes. Eine Frage der Kritik wäre, was es für die Gegenwart bedeutet, wenn sie dergestalt vom Bedürfnis nach Eigenem und Heimischem, nach Identität geprägt ist.

Die leitende Denkfigur der Überlegungen Blanchots ist, etwas riskieren, um möglicherweise etwas zu gewinnen, und etwas gewinnen, indem etwas anderes verloren geht. Sie ist im Titel La part du feu angedeutet. Das französische (faire) la part du feu ist eine idiomatische Wendung mit der Bedeutung, bei einem Brand etwas verbrennen zu lassen, um anderes zu bergen, im Weiteren, etwas aufzugeben oder zu opfern, um anderes zu erhalten oder zu retten. Die Wendung entspricht der geistigen Haltung Blanchots in Fragen der durch Sprache und Dichtung geschärften Erkenntnis. Gewinn im Verlust und Verlust im Gewinn ist die Ur-Figur der Dekonstruktion; sie zeigt, warum Derrida in Blanchot einen Vorläufer erkennen konnte. Die Denkfigur der part du feu ist die Gestalt der ursprünglichen Einsicht Blanchots in die objektive Verfassung von Sprache, Dichtung und Denken: in die Wirklichkeit des Geistes und die Gegenstrebigkeit des Seins überhaupt.

Auch die Kritik ist – wie die Literatur – nicht eine klar und deutlich bestimmbare Sache. Die Frage „Was ist Kritik?“ wird durch den Sachgehalt dessen, wonach sie fragt, selbst fraglich. Der Begriff der Kritik bezeichnet ein Zweifaches, das durch den Akt der Unterscheidung erkennbar wird und entsprechend nicht in der eindeutigen Form der Antwort auf die Frage „Was ist?“ zu bestimmen ist. Deshalb ist Kritik nicht definierbar; sie ist, indem sie die definierende Bestimmung durch entgrenzende Unterscheidung auflöst und fraglich macht, ein Denken, das sich im Unterscheiden verwirklicht und im Zwischen des Unterschieds seinen Denkraum entfaltet. Unterscheiden bildet das wesenlose Wesen der Kritik. Sie findet in dem durch das Un­ter­scheiden eröffneten Raum statt, ohne einen festen Ort zu haben, denn sie ist die Bewegung des Unterscheidens. Deshalb ist sie atopisch: ungreifbar und unbestimmbar.

Abschließend einige Anmerkungen zur deutschen Ausgabe der Essays. Das Buch ist bemerkenswert großzügig gestaltet. Das Format der Großoktav ermöglicht ein augenfreundliches Layout; die 330 Seiten des Originals werden zu 400 Seiten in dieser Ausgabe. Hilfreich ist auch, dass die Zitate, die in der französischen Form des Essays nicht belegt werden, in der deutschen Version in einem Anmerkungsteil nachgewiesen werden, allerdings auch bisweilen etwas eigenwillig nach Ausgaben, die nicht jedem zugänglich sind. Deshalb ist es erstaunlich, dass bei der Gestaltung der Seiten einfach die Absatzkontrolle des Word-Programms aktiviert wurde, um zu vermeiden, was in der Sprache der Setzer „Hurenkinder“ und „Schusterjungen“ heißt. So finden sich Dutzende von Seiten, die einfach eine Zeile kürzer sind als die anderen. Das wäre mit geringem Aufwand ästhetisch anspruchsvoller zu gestalten gewesen. Auch die zahlreichen Fehler in Orthographie und Syntax hätte ein Lektorat korrigieren können.

Die deutschen Versionen der zweiundzwanzig Aufsätze stammen von einem Dutzend ver­schie­dener Übersetzer. Das führt zu stilistischer Varietät und unterschiedlicher Qualität, was bei einem stilbewussten und denkscharfen Autor mit einer prägnanten Individualität wie Blanchot befremdet. Es führt vor allem zu Uneinheitlichkeit und bisweilen zum Mangel an Kohärenz. Das französische Wortfeld von mystère, das die Überlegungen grundiert, wird – sogar innerhalb desselben Textes – mal mit Mysterium, mal mit Geheimnis und sogar mit Rätsel übersetzt; dafür wird mystifié zu mystisch. Gleichwohl ist die Ausgabe unbedingt zu begrüßen, da sie dieses große Werk zum ersten Mal vollständig auf Deutsch zugänglich macht.

Befremdlich ist der deutsche Titel. Feuers Anteil entspricht dem französischen La part du feu arg manieriert. Es steht – anders als die französische idiomatische Wendung – in keinem Echoraum der deutschen Sprache und klingt nachgerade unidiomatisch. Das Nachwort raunt von der „verstörenden Zwiegestalt“ aus „Asche und Pragmatik“ und verkündet, das Buch gebe „entweder Unwesentliches oder zur Unleserlichkeit Zersetztes zu lesen“. Hilfreich wäre auch ein Hinweis auf andere durch den Titel nahegelegte Bücher gewesen. Parallel ist Batailles La part maudite – Der verfemte Teil erschienen, und zuvor Rougemonts La part du diable – Der Anteil des Teufels; sie bilden höchst erhellende Intertexte zu Blanchots Buch.

Titelbild

Maurice Blanchot: Feuers Anteil.
Turia + Kant Verlag, Wien 2022.
421 Seiten , 39,00 EUR.
ISBN-13: 9783985140558

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