Postkoloniale Rechtsprechung?
Yasmin Angoes Thriller über eine junge afrikanische Killerin ist vielversprechend, aber dennoch ist „Echo der Gewalt“ ein Fehlschlag
Von Walter Delabar
Eine junge schwarze Frau ist als Killerin im Auftrag einer afrikanischen Geheimgesellschaft aktiv, die den wirtschaftlichen und politischen Aufstieg Afrikas zum Ziel hat. Die Aktivitäten der kurz „Tribes“ genannten Geheimgesellschaft ist gegen die fortdauernde Ausbeutung gerichtet, die innerhalb der afrikanischen Gesellschaften und von Seiten der früheren Kolonialmächte praktiziert wird. Die Protagonistin, die sich Nena nennt, Tarnname Echo, ursprünglich aber Aninyeh, ist die Ziehtochter des führenden Repräsentanten der Tribe, der auf den sprechenden Namen „Noble Knight“ hört. Die Gewalt, die vom Tribe und von Nena ausgeht, wird durch die gewaltbelastete Vorgeschichte Nenas legitimiert: Sie ist Tochter des Oberhauptes eines ghanaischen Dorfes, das von einem seiner Konkurrenten namens Paul überfallen wird. Die meisten Dorfbewohner werden ermordet, die verbliebenen werden entführt, missbraucht und soweit möglich zu Geld gemacht werden. So auch Aninyeh, die an einen sadistischen Franzosen („Monsieur“) verkauft wird und so nach Frankreich gerät. Es gelingt ihr nach langen Monaten, nach Paris zu entkommen. Dort trifft sie auf eine vornehme Dame, Delphine, die mit Noble den Tribe federführend betreibt, rettet sie vor zwei Straßenräubern und wird in die Familie Knight als Ziehtochter aufgenommen.
Die Geschichte eskaliert, soll heißen, beginnt in dem Moment, in dem Nena einen amerikanischen Staatsanwalt umbringen soll, der hinter einem Drogendealer und Menschenhändler her ist. Der Tribe will auf diese Weise ein neues Mitglied für sich einnehmen. Was Nena intuitiv für unangemessen, für eine illegitime Maßnahme hält, selbst dort wo Legalität eh keine Rolle spielt.
Soweit, so Handlung, die eigentlich nicht erzählt sein soll (und die sich in dieser Skizze auch nicht erschöpft). Aber das Problem des Thrillerdebuts der afroamerikanischen Autorin Yasmin Angoe, das nun bei Suhrkamp vorgelegt wird, liegt auf zwei Ebenen, zum einen auf der handwerklichen, zum anderen auf der konzeptionell-politischen.
Zuerst das Handwerkliche: Angoe baut ihren Thriller auf der Engführung zweier Handlungsstränge auf, zum einen auf der Vorgeschichte Nenas bis zu dem Zeitpunkt, zu dem sie die „falsche“ Anweisung erhält, und zum anderen auf der von dort ausgehenden Geschichte, die schließlich in einer zumindest vorläufigen Lösung endet, die erst als die Gegenwart des Romans, als „Jetzt“ gekennzeichnet wird. Das Problem, das damit verbunden wird, ist vor allem, dass schnell erkennbar wird, dass die Vorgeschichte Nenas die weitergeführte Erzählung bestimmt, freilich nicht nur, weil Nenas Taten sich aus ihrer Vergangenheit legitimieren, sondern weil diese Vergangenheit in den Akteuren der früheren Gewalttaten, also Pauls und seiner beiden vorrangigen Gefolgsleute, erneut auftritt. Angoe dekliniert mit Fortdauer ihrer Erzählung also nur noch durch, was absehbar passieren wird: Paul und seine Leute treten in neuen Rollen auf, Nena wird sie töten. Kein Suspense, nur die frühe Klarheit, dass alles so passiert, wie es passieren soll.
Und wenn es schon ums Handwerkliche geht: Angoe hat die unangenehme, und leider eben auch dilettantische Neigung stets alles auszuerzählen und ganz genau zu erklären, gern ein bisschen psychologisch, so dass dann auch nichts unmotiviert bleibt. Suspense? Deutungsspielräume? Nada. Immer muss Nena erklärt und legitimiert werden. Da wird dann ihre Rekrutierung als Killerin nicht als Fortsetzung traumatisierender Gewalterfahrungen erkennbar, sondern als Selbstermächtigung begründet: Zur Killerin der Tribe wird Nena also deshalb, weil sie nur so in die Lage versetzt wird, ihre Vorgeschichte zu bewältigen. Nur indem sie tötet, kann sie mit der Gewalt, die ihr angetan wird, umgehen lernen. Was eine These ist, die in der Literatur der Moderne weite Verbreitung hat. Problematisch bleibt sie.
Und zwar deshalb – womit wir auf der konzeptionellen und damit politischen Ebene wären –, weil sie die modernen Rechtssysteme (aber nicht nur die, da das Racheprinzip eigentlich aus allen Gesellschaften verbannt worden ist) aushebelt. Die gehen auf den Ausgleich von Interessen und Ansprüchen hinaus, schreiben zudem ein transparentes und geregeltes Verfahren vor, bleiben dabei aber vergleichsweise abstrakt. Das Recht in Angoes Thriller aber wird nicht nach einem geregelten Verfahren gesprochen, sondern wird personalisiert und direkt exekutiert. Die Entrechteten schlagen zurück, und das mit aller Gewalt. Schuld wird dabei nicht nachgewiesen, sondern nurmehr erkannt, was zudem noch als sicherer Nachweis etikettiert wird. Nena erkennt Schuld intuitiv, wie sie eben auch erkennt, wem sie vertrauen kann und wem nicht. Wenn sie da mal nicht irrt (was sie nicht tut).
Die Abwendung Nenas von der Urteilskompetenz der Tribe setzt dabei nur fort, was in der nicht kontrollierbaren, intransparenten, sehr persönliche Rechtsprechung der Tribe bereits angelegt ist: Dieses Recht ist unmittelbar, direkt und – vor allem – es kennt nur ein Urteil, das Todesurteil.
Das wird in Angoes Roman letztlich durch die gewaltbelastete Vorgeschichte, die in aller Detailliertheit ausgeschrieben wird, legitimiert. Dabei spielt es kaum eine Rolle, dass die Gewalt in Angoes Thriller vor allem von schwarzen Akteuren ausgeübt wird. Nenas Vorgeschichte ist entscheidend. An dieser Legitimation richtet sich die gesamte Anlage des Thrillers aus. Anders gewendet, hier findet sich auf der fiktionalen Ebene ein Gewalttraum, wie er – offensichtlich – im Actionthriller mittlerweile Konvention ist. Hier wird nicht mit Kleingeld gezahlt, sondern gleich mit dem Leben. Und die Akteure sind keine Leute von nebenan (hinter denen ab und zu auch mal kaltblütige Killer zu finden sind, die Netflix-Serie „Killing Eve“ lebt in der ersten Staffel davon, oder auch „Dexter“ seinerzeit), sondern bestausgebildete Killer, die in jeder Situation die finale Auseinandersetzung suchen und finden. Nena ist also nicht ohne Grund eine kompetente Killerin, sondern eine extraordinäre Figur, die den Selbstermächtigungsphantasien in den Strukturen der Gegenwart Ausdruck gibt: Endlich jemand, der handelt und nicht nur schwätzt.
Dass ein solches Konzept Resonanz findet, ist kaum verwunderlich, so wenig es als realpolitische Handlungsanweisung tauglich ist. Weder der Tribe noch Nena sind auf eine Realität übertragbar, in der rassistische Haltungen und Handlungen sich immer noch halten. Als postkoloniales Rechtsprinzip wäre dieses Konzept ein Desaster, gerade weil das Ziel von gesellschaftlichem Handeln sein muss, kolonial geprägte Denk- und Handlungsstrukturen zu tilgen.
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