Ein etwas geschichtsvergessener Blick in die Zukunft

Isabella Hermanns Sachbuch „Science Fiction zur Einführung“ kann nicht ganz überzeugen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Einführungen in das Genre der Science Fiction (SF) sind im Laufe der Jahre und Jahrzehnte schon einige erschienen. Zumeist konzentrieren sie sich auf ein Medium, etwa das gedruckte Wort, beleuchten ihr Objekt unter einem bestimmten Aspekt oder sie befassen sich mit einem Subgenre wie etwa Zeitreisen.

Die Politikwissenschaftlerin Isabella Hermann wiederum nähert sich dem Genre mit einer bestimmten Methode: der Diskursanalyse. Denn der Autorin zufolge sind SF-Werke unabhängig davon, ob es sich bei ihnen um Bücher, Filme oder Hörspiele handelt, um Teile eines Netzes „intertextuelle[r] Verbindungen“ innerhalb und außerhalb des Genres. Wie Hermann weiter argumentiert, tätigen sie zudem stets „sozialpolitische Aussagen“, indem sie von einer „fiktive[n], aber wissenschaftlich-technisch bzw. argumentativ begründete[n] Veränderung der uns bekannten Welt“ ausgehen. Das mag zwar oft, vielleicht sogar in aller Regel der Fall sein, ist aber keineswegs immer so, wie etwa die Kurzgeschichte Liebe ist der Plan, der Plan ist Tod von James Tiptree jr. zeigt, in der weder Menschen, noch die „uns bekannte Welt“ vorkommen, sondern literarisiert wird, wie ein denkbar fremdartiges Wesen auf einem ebenso fremdartigen Planeten Nachkommen gebiert. Jedenfalls aber plädiert Hermann dafür, Werke der SF in den schulischen Unterricht einzubeziehen und die SchülerInnen so zur kritischen Auseinandersetzung mit „Zukunftsthemen“ zu motivieren. Denn sich mit dem Genre zu befassen, sei „per se politische Zukunftsbildung“.

Von diesem SF-Verständnis ausgehend erklärt Hermann, dass die in den Werken des Genres erdachte „Zukünftigkeit […] die Entwicklung in der Welt plausibel [macht], da sie sich im Sinne eines modernen Fortschrittglaubens begründen lassen“. Auch diese Feststellung bleibt fragwürdig, blendet sie doch all die zahlreichen technischen, gesellschaftspolitischen und umweltpolitischen und sonstigen Dystopien aus, deren Anzahl von jeher die der hoffnungsfrohen Zukunftsvisionen der SF bei weitem übertreffen dürfte. Andere wiederum literarisieren eine politisch, sozial und oder technisch regredierte Gesellschaft. Hinzu kommt, dass keineswegs alle SF-Werke in der Zukunft handeln.

Im Laufe ihrer weiteren Argumentation spannt Hermann ein über die quasi ‚realistische Lesart’ von SF hinausgehendes „Kontinuum“ auf, in dessen „Bedeutungsebenen“ sich die Werke des Genres bewegen. An einem seiner beiden Enden stehen „mögliche Entwicklungen in Wissenschaft und Gesellschaft“, am anderen „Metapher, Projektionsfläche, Gedankenexperiment“.

Vor diesem Hintergrund möchte die Autorin in dem vorliegenden Band darüber informieren, „auf welche Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft das Genre hinweist“. Hermann hat ihrer drei ausgemacht, denen sie jeweils einen der drei Hauptteile widmet: „Klimawandel und Umweltkatstrophen“, „Roboter und künstliche Intelligenz“ sowie drittens „die Eroberung des Weltraums“, wobei ins Auge springt dass sie, in der Kapitelüberschrift zumindest, nicht von einer (friedlichen) Erkundung des Alls, sondern eben von dessen Eroberung spricht, mithin also von einer implizit aggressiven Inbesitznahme.

Im ersten der drei Hauptteile „Roboter und künstliche Intelligenz“ werden selbstverständlich so gängige Themen wie Asimovs Roboter-Gesetze vorgestellt. Doch ist in einem Unterabschnitt auch von Geschlechterrollen die Rede. Am Beispiel des Films Ex Machina (2014) geht Hermann auf „weibliche Roboter“ ein, bei denen es sich (in den Augen der Autorin?) offenbar um eine Abweichung von den ‚eigentlichen’ Robotern handelt. Anders als ‚weiblichen’ Robotern hat die Autorin ‚männlichen’ weder einen eigenen Abschnitt gewidmet, noch werden sie von ihr als solche thematisiert. Das mag durchaus (auch) am Gegenstand ihrer Einführung liegen. Denn die SF selbst thematisiert nur selten das ‚Geschlecht’ von Robotern, sofern sie nicht ‚weiblich’ sind. Sollte dies der Grund für Hermanns Fokussierung auf einen ‚weiblichen’ Roboter sein, wäre es sinnvoll gewesen auf ihn hinzuweisen. Ihre Interpretation der androiden Figur Ava des besagten Films spricht jedoch eher gegen diese wohlwollende Annahme. Denn „im Rahmen des Science-Fiction-Kontinuums betrachtet“ handelt es sich bei ihr Hermann zufolge um „eine Studie über Frauenbilder und Geschlechterrollen“. Auch hier führt sie Frausein und ein Geschlecht haben implizit eng. Denn über männliche Geschlechterrollen sagt die Figur rein gar nichts. Zwar weist Hermann auf die lange SF-Tradition von Robotern in Frauengestalt hin, die mit dem – von ihr allerdings nicht erwähnten – erstmals 1817 erschienenen Roman E. T. A. Hoffmanns und dessen damals noch als Automat bezeichneter Roboter-Figur Olimpia ihren Ausgang nahm und mit der Fernseh-Serie Westworld sicher noch lange nicht endet. Auch merkt die Autorin den alles andere als unwesentlichen Umstand an, dass der Erbauer seine ‚weiblichen’ Roboter in Ex Machina „ausdrücklich […] als Sexobjekte“ geschaffen hat, doch unterlässt sie einen Vergleich mit explizit ‚männlichen’ Robotern, die Frauen als Sexobjekt dienen, wie etwa Victor der Titelheldin in der Comic-Serie Barbarella. Dabei hätte gerade ein derartiger Vergleich Erhellendes über weibliche und männliche Geschlechterrollen von Robotern in der SF zutage fördern können. So aber endet der Abschnitt mit der banalen Feststellung, dass „‚weibliche’ KI und Fembots […] als Projektionsfläche für Fragen rund um Gender und Sexismus unserer Gegenwart [dienen]“.

Der zweite Hauptteil behandelt seinem Titel zufolge wie erwähnt die „Eroberung des Weltraums“. Da die Erde „allumfassend kartographiert“ sei, bleibe allein der extraterrestrische Raum als „Sehnsuchtsort“, in dem „Unbekanntes zu entdecken“ sei.  Nun werden die unendlichen Weiten des Weltalls in diesem Zitat zwar einmal nicht erobert, sondern entdeckt. Dass Entdeckungen auf unserem Planeten nicht mehr möglich seien, ist allerdings keineswegs zutreffend. Die Tiefsee etwa ist noch immer weithin eine Aqua incognita. Auch werden (nicht nur) dort nahezu täglich bislang unbekannte Spezis entdeckt.

Neben dem „utopische[n] Star-Trek-Entwurf“ wendet sich Hermann in diesem zweiten Teil insbesondere dem Erdtrabanten und dem Planeten Mars „als reale[n] Weltraumziele[n]“ zu und geht auf fiktionale BewohnerInnen des letzteren ein. Wie öfter lässt die Autorin hier einmal mehr ein höchst interessantes Werk unbeachtet, das am metaphorischen Ende des von ihr vorgestellten „Science-Fiction-Kontinuums“ angesiedelt ist, von einer längst vergessenen Autorin namens Helene Burmaz erdacht wurde, aus dem Jahr 1919 stammt, Geschlechterthemen behandelt und den Titel Die Marsbewohner trägt. Überhaupt sind Science-Fiction-Werke, die vor dem Zweiten Weltkrieg verfasst wurden, in Hermanns Einführung nur höchst selten präsent. Denn sie haben allenfalls dann eine Chance erwähnt zu werden, wenn sie kanonisiert sind. Das führt zu manchen Fehleinschätzungen. So ist Ursula K. LeGuins 1969 erschienener Roman The Left Hand of Darkness zwar überaus bedeutend, zählt aber keineswegs zu den „ersten Werken feministischer Science-Fiction“. Mehr als ein halbes Jahrhundert zuvor waren allein im deutschsprachigen Raum Helene Judeichs Neugermanien. Zukunftsschwank aus dem Jahr 2075 (1903), Rosa Voigts Anno Domini 2000. Zukunftsbilder für das deutsche Volk (1909) und Magda E. Trotts Vor dem Frauenstaat. Eine utopische Novelle erschienen, bei denen es sich tatsächlich um drei frühe feministische Werke des Genres handelt. In anderen wie etwa Bertha von Suttner Der Menschheit Hochgedanken. Roman aus der nächsten Zukunft (1911) spielen neben pazifistischen auch feministische Vorstellungen und Ideale eine tragende Rolle.

Im Abschnitt über „Klimawandel und Umweltkatastrophen“ wiederum bleibt der Roman Présence de la mort unerwähnt, in dem der Schweizer Autor Charles Ferdinand Ramuz bereits 1922 die Folgen einer katastrophalen Erderwärmung schildert. Stattdessen konzentriert sich die Autorin ganz auf einige „emblematische Filmbeispiele“ jüngeren Datums, um deutlich zu machen, „wie Climate Fiction und Solarpunk alternative Gesellschaft- und Wirtschaftssysteme aufzeigen können“.

Zu den wenigen vorgestellten Werken aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zählen Kurd Laßwitz’ Klassiker Auf zwei Planeten und Fritz Langs Verfilmung des von seiner Frau Thea von Harbou verfassten Romans Frau im Mond. Der Roman selbst interessiert Hermann hingegen nicht. Bedauerlich ist auch, dass sie nicht auf Geschlecht und Geschlechterrollen in dem Film (und schon gar nicht im Roman) eingeht, obwohl doch schon beider Titel den gängigen Topos vom Mann im Mond kontrastiert. Stattdessen weist sie wie schon andere vor ihr darauf hin, dass der Film eine „Inspiration für die technische Entwicklung der Raumfahrt und von Raketenantrieben“ war. Was nun die „utopische[n]“ Star-Trek-Serien und -Filme betrifft, so ist es zwar nicht ganz verkehrt, dass sich an ihnen „über Jahrzehnte hinweg […] die Emanzipationsgeschichte von Frauen und anderen benachteiligten Gruppen ablesen“ lässt. Auch sind die von Hermann angeführten Beispiele triftig. Doch unterschlägt sie die Vulkanierin t’Pol, bei der es sich um die wichtigste weibliche Figur der von 2001 bis 2005 ausgestrahlten Serie Star Trek: Enterprise handelt. Ist sie zu Beginn der Serie eine intelligente, selbstbewusste und tatkräftige Frau, wird sie im Laufe der Geschichte gründlich demontiert.

Isabella Hermanns Einführung in die Science Fiction wirft zwar einige Schlaglichter auf Themen, die in der jüngsten und gegenwärtigen Science Fiction prominent vertreten sind, doch lässt sich in ihr nichts über die Geschichte des Genres erfahren. Zu monieren ist auch, dass der Band zwar eine (lückenhafte) Literaturliste bietet, nicht aber eine Filmographie. Dies wiegt umso schwerer, als Hermann vorwiegend auf cineastische Werke rekurriert und Romane allzu oft nur als deren Vorlage erwähnt, was als weiteres Manko hinzukommen oder aber auch hinnehmbar, vielleicht sogar willkommen sein mag.

Titelbild

Isabella Hermann: Science Fiction zur Einführung.
Junius Verlag, Hamburg 2023.
192 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783960603214

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