Ein Lebenskunstwerk
Alice Schwarzer führt in „Mein Leben. Lebenslauf & Lebenswerk“ ihre Lebenserinnerungen zusammen
Von Stefanie Steible
Mit Mein Leben verbindet Alice Schwarzer die beiden Teile ihrer Autobiografie, den „Lebenslauf“ aus dem Jahr 2010 mit dem „Lebenswerk“, das genau zehn Jahr später erschienen ist, zu einem Gesamtwerk. Während sie sich im ersten Teil auf die Suche nach ihren Wurzeln begibt, beschäftigt sie sich im zweiten Teil damit, wohin sie diese gebracht haben, was sie aus ihrem Leben gemacht hat und eruiert auch, warum sie dorthin gekommen ist, wo sie sich heute befindet.
Von ihrer Kindheit, in der sie – positiv formuliert – als Extravagante in der Familie wahrgenommen wird, während ihre Mutter früh zum Ausdruck bringt, was sie von ihr hält und ihr eine Perspektive als Nichtsnutz in Aussicht stellt. So hangelt sich Alice Schwarzer als junge Frau von einem Ausbildungsversuch zum nächsten, bevor sie schließlich ein Volontariat beginnt und mit ihrer Jugendliebe Bruno nach Frankreich geht. Sie macht die Erfahrung, dass die Franzosen gern unter sich bleiben.
Dass ich Deutsche bin, spielt für Bruno und seine Freunde eigentlich keine Rolle. Die finden das zwar leicht exotisch, aber eher nett. Doch in den französischen Kreisen, in denen ich mich von nun an bewege, begegne ich in den Jahren nicht ein einziges Mal einem anderen Ausländer.
Früh setzt sie sich damit auseinander, wie Frauen behandelt werden, welche Voraussetzungen sie mitbringen, welche Chancen sie haben und wie sie lange Jahre diskriminiert werden. Sie entwickelt in dieser Zeit auch den Wunsch, eines Tages selbst über die Frauenbewegung zu schreiben. Nach und nach erfährt sie, dass die Frauenverdummung keine deutsche Spezialität ist, sondern ein weltweites Problem und sie lernt Vorbilder kennen, an denen sie sich orientiert, wie Leona Siebenschön, die Ende der 1960er Jahre eine Serie über den Teufelskreis der Ehe in der ZEIT veröffentlicht.
Ob es in den Jahren danach Fernseh- oder Radioauftritte sind – die Medien wenden immer dieselbe Taktik der Isolation an. Es wird nach dem Schema vorgegangen: „Seht her, das machen wir mit einer, die das wagt“. Gemeint ist der offene Widerspruch, wenn eine Frau nicht nach dem Beifall der Männer herrscht. Als exemplarischen Mundtot bezeichnet Alice Schwarzer dieses Vorgehen der Medien dieser Zeit. Doch sie macht weiter und findet ihren Weg.
Dazu gehört auch ihre sexuelle Orientierung, die gleichfalls von außen mit beeinflusst wird. Anfang der 1970er Jahre verliebt sie sich in ihre beste Freundin. Schwarzer schreibt: „Wir wurden schon als lesbisch beschimpft als wir selber noch nicht wussten, dass wir es sind.“ In dieser Zeit entdeckten die Feministinnen jedoch, dass man auch miteinander Spaß haben kann, ohne dass es immer um Sexuelles gehen muss. Miteinander Tanzen und andere Vergnügungen unternehmen, sie erlauben es sich, echte Liebe zu Frauen zu empfinden, mit denen sie nicht zwingend zusammen sein müssen. Das unterscheidet sie vielleicht bis heute von den Nicht-Feministinnen.
Recht und Gerechtigkeit machen sich für Alice Schwarzer auch in dem langen Fortbestehen des Abtreibungsverbotes bemerkbar und zwar in der Form, dass es zwei verschiedene Dinge bleiben. Während andere Länder längst die Fristenlösung implementiert haben und 98,5 % der abtreibungswilligen Frauen trotz Verbotes dennoch eine solche Lösung für sich suchen, scheint die katholische Kirche lange Zeit übermächtig.
Alice Schwarzer spricht auf über 700 Seiten alles an, was es an Themen im Kontext der Frauenbewegung zu besprechen gibt: Vergewaltigungen, Kindesmissbrauch, den Stern-Skandal u.v.a. Auch auf ihre Begegnungen mit Angela Merkel blickt sie in einem Zeitraum über 30 Jahre zurück, und am Ende stellt sie ihre Beziehung zu ihr ambivalent dar: „ob sie es nun will oder nicht, sie entkommt dem Frausein nicht, weder für ihre Gegner noch für ihre Anhänger – für die Mädchen und Frauen dieser Welt ist sie eine Ikone“.
Die Alice Schwarzer, die wir hier kennenlernen, ist eine emotional-rationale Person, die sich sehr tiefgehend mit allen Themen beschäftigt und ihre Position im Laufe der Zeit durch Lektüre, Gespräche, Beobachten und das eigene Erleben entwickelt hat. Wer genauer erfahren möchte, was sie auf ihrem Weg bewegt hat, was sie heute anders machen würde und warum sie ihren Weg beharrlich immer weitergegangen ist, kann hier eine sympathische Autorin kennen- und für ihr Lebenswerk schätzen lernen.
![]() | ||
|
||
![]() |