Fragwürdige Hinterfragungen
Carolin Lanos „Verdachtsmomente“ sezieren medienwissenschaftlich fundiert das ungebrochen aktuelle Phänomen der Verschwörungstheorien
Von Marcus Neuert
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie Instrumentalisierung „der Wissenschaft“ durch einander widerstreitende, ihre jeweils eigene Sichtweise zur alleinverbindlichen erklärenden Interessengruppen hat in den letzten Jahren, nicht zuletzt auch durch die Pandemie, zu monströsen und die Gesellschaft spaltenden Verwerfungen geführt. Eine gebräuchliche Volte war dabei der Vorwurf an die jeweilige Gegenseite, Verschwörungstheorien zu verbreiten.
Carolin Lano ist promovierte Medienwissenschaftlerin und geht das Thema der Verschwörungstheorien konsequent von dieser Fachrichtung aus an. Lanos Buch Verdachtsmomente ist natürlich nicht das erste Werk zu diesem Thema. Die Autorin stützt sich bei ihrer Studie auf eine Fülle von hierzu bereits erschienenen Arbeiten. Auch sie selbst, heute an der TH Nürnberg im Wissenschaftsmanagement tätig, beschäftigt sich schon seit einigen Jahren mit dem Thema. So trat sie bereits 2011 mit dem Buch Die Inszenierung des Verdachts an die Öffentlichkeit, in welchem es um sogenannte mockumentaries, also fingierte Dokumentarfilme und ihre medialen Wirkungsweisen ging.
In ihrem aktuellen umfangreichen Werk, welches auf der Grundlage ihrer Doktorarbeit verfasst wurde, widmet sich Lano vor allem der Frage, weshalb zeitgeschichtliche Ereignisse in ihrer (massen-)medialen Verarbeitung so oft Anlass zu verschwörungstheoretischen Spekulationen bieten. Wo Nachrichtenlagen nicht eindeutig sind, ergeben sich Irritationen, voreilige Schlussfolgerungen und Verallgemeinerungen, welche eine angemessene Trennschärfe vermissen lassen. Diese sind häufig in der Lage, paranoiden Phantasien enormen Vorschub zu leisten. Es geht Lano also weniger um eine eindeutige Kategorisierung, ob es sich im jeweiligen Einzelfall nun gerade um eine Verschwörungstheorie handelt oder nicht, sondern um das komplizierte, aber in der Beurteilung der jeweiligen Sachlage ungemein wichtige „Wie“ des medialen Entstehens einer ambivalenten Sichtweise.
Carolin Lano geht methodisch präzise und mit dem notwendigen Fingerspitzengefühl an ihren Untersuchungsgegenstand heran. Ausgehend von den systemtheoretischen Positionen Niklas Luhmanns und deren konzeptionellen Modifikationen, etwa durch Foucault, Peirce und Eco widmet sie sich zunächst der Frage nach Theorie und Geschichte der Verschwörungstheorie und arbeitet deren transkulturelle und überzeitliche Manifestationen heraus, die von Anbeginn bis heute Analogien aufweisen, hinter denen eine „teleologische Ausrichtung und ein manichäisches Weltbild“ stehen. Die den Anhängern von Verschwörungstheorien oft vorgeworfene Tendenz zu unstatthafter Komplexitätsreduktion fällt zuweilen auch auf ihre Kritiker zurück. Entsprechend verweist die Autorin auf zunehmende Tendenzen der Forschung, sich „vermehrt im Rahmen einer vorurteilsfreien Herangehensweise, die einer vorschnellen Abwertung kritisch gegenüber steht“ zu bewegen und zumindest ansatzweise verschwörungstheoretische Argumentationen auch „als deviantes beziehungsweise heterodoxes Wissen ernst zu nehmen“. Dies ist durchaus als notwendige Voraussetzung für die eigentliche Zielsetzung des Buches zu sehen, nämlich die medienkontextuellen Verknüpfungen mit verschwörungstheoretisch relevanten Ereignissen in den Blick zu nehmen: die Massenmedien sind deren „zentraler Verhandlungsort“, wobei „der verschwörungstheoretische Verdacht gegenüber einer Scheinwirklichkeit […] seine Entsprechung in einer vordergründigen Undurchschaubarkeit (massen-)medialer Vermittlungszusammenhänge“ findet.
Carolin Lano nimmt sich dreier exemplarischer, zeitgeschichtlicher Schwerpunkte an: des Attentats auf John F. Kennedy 1963, der amerikanischen Mondlandung 1969 sowie der Vorgänge um Nine-Eleven 2001. All diesen Ereignissen ist gemeinsam, dass sie im Kern den politischen und gesellschaftlichen Raum der „conspiracy nation“ USA betreffen, dass sie ein ungewöhnlich breites Medienecho hervorriefen, zu vielfältiger Legendenbildung beitrugen und eine Vielzahl von Fakten, Einordnungen und Statements medial überdurchschnittlich gut dokumentiert sind.
An ihnen zeigt Lano systematisch die medialen Schnittpunkte auf, die jene Irritationen hervorrufen, welche ihrerseits das Entstehen von Verschwörungstheorien fördern. Im Fall der Ermordung John F. Kennedys wäre ein Beispiel von vielen der Umgang mit dem Amateurfilm von Abraham Zapruder, der das Attentat zufällig mit seiner privaten Kamera aufnahm: der Film wurde zu Anfang vor allem „in Form nummerierter Einzelbilder“ rezipiert, um Details der Projektileinschläge nachvollziehen zu können. Gleichzeitig dient die „filmische Zeitachsengenauigkeit wiederum zur temporalen Verortung und Vermessung des Geschehens“. Durch den Wechsel zwischen Einzelbildbetrachtung und Film entsteht nach Lano eine intermediale Lesart: „Verschwörungstheorien nutzen eine solche Verschiebung von Mediengrenzen, um die vermeintliche Unhintergehbarkeit der medialen Zeichenoberfläche temporär zu suspendieren.“ Durch den Wechsel der medialen Rahmung komme es zu einer permanenten „Verlagerung des Beobachterstandpunkts“. Später kursierten unautorisierte Fassungen des Films, die bzgl. optischer Stabilisierung, vergrößerter Bildausschnitte sowie Farbanpassungen vermeintlich Neues zu dokumentieren versprachen, was bei näherer Untersuchung wieder in sich zusammenfiel.
Die steile These, die erste Mondlandung 1969 sei im medialen Sinne im Grunde nichts weiter als eine Wiederholung gewesen, wie es der von Lano zitierte deutsche Medienwissenschaftler Lorenz Engell ausdrückt, da sie bereits im Vorfeld mit zahllosen „Modellen, Animationen und lebensechten Studiokulissen“ im Fernsehstudio vorweggenommen worden war, zeigt zumindest, dass die Medienwelt anlässlich dieses Ereignisses nichts unversucht ließ, auch noch „das Unbeobachtbare darzustellen“ – ein Umstand, welcher der Verschwörungstheorie, das Ereignis sei insgesamt eine inszenierte Täuschung gewesen, besonders spezifische Nahrung zu geben imstande war. Die mediale Ausgangssituation war fundamental anders beim Kennedy-Mord: es gab (außer den Astronauten) keine Zeugen vor Ort, keine privaten Aufnahmen, die mediale Rahmung war für alle Rezipienten umfassend. Allein etwa die Vielzahl der Kopien der NASA-Aufnahmen und Filme und deren Abweichungen untereinander gaben Anlass zu Spekulationen. Obendrein lieferte Stanley Kubricks 1968 entstandener Spielfilm 2001 – A Space Odyssey und seine „vermeintlich perfekte Illusion von authentisch wirkenden Weltraumbildern“ offenbar für weite konspirative Kreise eine fiktional-mediale Vorbereitung für die NASA-Operation der Mondlandung. Lano beschreibt an deren Beispiel zudem die Interview-Praxis von Verschwörungstheoretikern und deren rhetorische Kniffe: Experten mit hoher Glaubwürdigkeit würden gezielt Fragen gestellt, die ihren „eigenen Wissensbereich überschreiten, um die offizielle Darstellung des Geschehens damit ins Wanken zu bringen.“ Daneben existieren auch immer wieder sogenannte confrontations wie etwa die physische Verfolgung von Buzz Aldrin durch einen Verschwörungstheoretiker, der ihn solange bedrängte, auf die Bibel zu schwören, dass er tatsächlich auf dem Mond gewesen sei, bis ihm Aldrin vor laufender Kamera entnervt einen Kinnhaken verpasste: „Die durch Konfrontation provozierten Abwehrgesten der Befragten werden dabei meist schon als Schuldeingeständnis gewertet, so wie umgekehrt die bloße Anschuldigung allein schon ihre Glaubwürdigkeit untergraben soll.“
Im Kontext der Verschwörungstheorien um 9/11 stehen zum großen Teil auch wieder die filmischen Zeugnisse im Brennpunkt. Lano schreibt: „Im Gegensatz zur sprachlichen Explikation weist das Bild die Eigenschaft auf, den Sachverhalt vermeintlich unmittelbar zum Ausdruck zu bringen.“ Doch auch hierbei werde wieder die mediale Vermittlungsebene negiert und der falsche Eindruck erweckt, das Bildliche liefere eine „Botschaft ohne Code“. Die Interpretierbarkeit von Schattenwürfen und unauflösbaren Ungenauigkeiten in der Darstellung bleibe jedoch stets unhintergehbar, was die Autorin u. a. eingehend an Detailaufnahmen der Boeing 767 darlegt, die in den Südturm der Twin Towers einschlug und an deren Rumpf sich nach konspirativer Lesart offenbar noch ein unidentifizierter Gegenstand (Bombe? Rakete? Zusatztank?) befunden haben soll.
Allerdings wird nicht immer plausibel, warum sich Carolin Lanos Argumentation vor allem auf solche Detailfragen stützt. Interessanter wäre vielleicht in diesem Zusammenhang eine Untersuchung des Einsturzes von WTC7 gewesen, einem Nebengebäude der Twin Towers: dessen filmische Dokumentation, die nach Lesart auch zahlreicher Experten aufgrund des vollkommen gleichmäßigen Zusammensackens eindeutig eine Sprengung des Gebäudes nahelegt, lässt sich auch unter der Prämisse der Codiertheit nur schwer mit den offiziellen Verlautbarungen des Abschlussberichtes in Einklang bringen, welcher einen Einsturz durch herabfallende Trümmerteile und einen Brand als Ursache postulierte. Will sagen: die Gewichtung der Gründe, durch die Verschwörungstheorien entstehen, wird durch die medienfokussierte Brille der Untersuchung in der Gesamtwahrnehmung des Phänomens nicht unwesentlich verschoben. Es geht eben dabei nicht nur um massenmediale Detail-Vermittlung, sondern auch um die reine Semantik offizieller Verlautbarungen, die erst in ihrer Übermittlung wieder selbst einen massenmedialen Akt darstellen. In jedem Fall erscheint Lanos Ansatz jedoch von großem Interesse, nicht zuletzt aufgrund der Beobachtung, „dass Verschwörungstheorie wie Gegenseite von ein und demselben Phantasma angetrieben zu sein scheinen, nämlich vom Versuch, die mediale Vermittlung so weit wie möglich zu umgehen, um zur Sache selbst zu gelangen.“
Carolin Lano gelingt mit ihrem umfangreichen Buch trotz des stellenweise etwas sperrigen Stils eine Sensibilisierung für die grundsätzliche Medienbezogenheit von Verschwörungstheorien und der Ausweitung ihrer Möglichkeiten durch den digitalen Wandel. Gleichzeitig nimmt sie in den Blick, dass Verschwörungstheorien immer auch Teil gesellschaftlichen Alltags sind, schon allein dadurch, dass eine Gesellschaft entscheiden muss, wo die Grenzziehungen zu ihnen verlaufen. Es bleibt darüber hinaus auch eine individuelle Aufgabe, zu reflektieren, wer oder was hierfür die ausschlaggebenden Argumente liefert und wie sie einzuordnen sind.
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