Das Geschäft mit dem Artensterben
Ned Beaumans polit-satirischer Ökothriller „Der gemeine Lumpfisch“ zeigt eine Welt in naher Zukunft
Von Michael Fassel
Literarische Darstellungen klimabedingter Katastrophenszenarien haben derzeit Hochkonjunktur. Gegenwärtig entwerfen zahlreiche Romane eine in nicht allzu ferner Zukunft existierende Welt, die sich angesichts des Klimawandels radikal verändert. Der britische Schriftsteller Ned Beauman setzt sich in seinem Roman Der gemeine Lumpfisch (2023) mit dem Artensterben auseinander. Der unter anderem mit dem Encore Award ausgezeichnete Autor greift in einem ungewöhnlich humorvoll-sarkastischen Ton aber auch weitere brisante Themen unserer Zeit in einer immer komplexer werdenden Welt auf.
Im Mittelpunkt des Geschehens steht die Tierschützerin Karin Resaint. Ihre Mission ist es, den Gemeinen Lumpfisch vor dem Aussterben zu bewahren. Nicht, weil er besonders schön aussieht („wenn man ihn ansah, hatte man den Eindruck, wäre er ein Mensch, hätte er die ganze Zeit Schweiß auf der Stirn und trotzdem einen erschreckend kalten Handschlag.“), sondern weil er die intelligenteste Spezies unter den Fischen ist. Außerdem sinnt Resaint auf Rache gegen die Menschheit, die für ihre klimaschädlichen Untaten bestraft werden soll. Im Gemeinen Lumpfisch vermutet sie einen Komplizen, der ihr bei ihrem Racheplan helfen kann. Der Kreuzzug Ende der 2020er Jahre gegen diejenigen, „die gegenüber dem Planeten die unverzeihlichsten Verbrechen begangen hatten“, genügt ihr nicht.
Resaints Aufgabe, diese Spezies zu finden, gestaltet sich trotz des Beschlusses der Weltkommission, zur Bekämpfung des Artensterbens Zertifikate für Unternehmen auszuhändigen, alles andere als einfach. Diese Zertifikate – eine Anspielung an die handelsüblichen CO₂-Zertifikate – sind Teil der freien Wirtschaft und können von Firmen zuweilen günstig erworben werden. Gute Absichten also in der Theorie, bedingte Wirksamkeit in der Realität. Denn letztendlich entscheidet die sogenannte Extinktionsindustrie über das Schicksal einzelner Arten. Die entsprechenden Zertifikate sind sogar Preisschwankungen ausgesetzt und zuweilen günstig zu erwerben.
Mit dieser Ausgangslage entwirft Beauman einen polit-satirischen Öko-Thriller, der an Absurditäten kaum zu überbieten ist. Die Klimapolitik verstrickt sich zunehmend in wirtschaftliche Interessen; längst werden die Zertifikate als mögliche Geldanlagen betrachtet. Der Versuch, Synergie-Effekte aus dem Zusammenspiel von Ökologie und Ökonomie zu gewinnen, scheitert. Selbst der Begriff des Aussterbens wird von der Weltkommission neu ausgelegt: Eine Art gelte nicht als ausgestorben, wenn Genomdaten auf den Biobanken existieren.
Umweltverträglichkeitskoordinator Mark Halyard, ein Vertreter der Extinktionsindustrie, wittert einen Geldregen und ahnt, dass die Preise für die Zertifikate weiter fallen. Er verspekuliert sich jedoch mit dem Leerverkauf von Lumpfisch-Zertifikaten. Er ahnt zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass ein Hackerangriff auf die Biobanken sämtliche genetische Daten vernichtet, so dass die Preise für die Zertifikate plötzlich ins Unermessliche steigen. Halyard hat wie Resaint ebenfalls Interesse am Auffinden des Gemeinen Lumpfischs. Zudem hat sein Unternehmen durch einen KI-Fehler ironischerweise den Lebensraum des Gemeinen Lumpfisches zur Gewinnung von Ressourcen abgebaut. Halyards Mission besteht nun darin, zu beweisen, dass noch lebendige Exemplare des Fisches existieren. Ansonsten sieht er sich gezwungen, die Zertifikate für horrende Preise zurückzukaufen. Er schließt sich Resaint auf ihrer Mission an. Beide haben ein gemeinsames Ziel, aber unterschiedliche Motive.
Beauman stellt eine neben all den angedeuteten Absurditäten eine krisengeschüttelte Welt dar. Leser:innen werden sich nicht fragen ob, sondern wann die Apokalypse eintritt. Oder befindet sich die Erde schon mittendrin? Zweifelsohne werden der Klimawandel, das kapitalistische Streben nach wirtschaftlichem Wachstum, Öko-Terrorismus und letztendlich auch KI in einen komplexen Zusammenhang gesetzt. Klima-Demonstranten, die felsengroße Panda-Tumore auf Geschäftsleute der Extinktionsindustrie werfen oder eine KI, die Medikamente herstellt – Beaumans ausgeprägter Sinn für Absurdes greift die Themen unserer Zeit auf unterhaltsam-sarkastische Weise auf, so dass einem zuweilen das Lachen im Halse stecken bleiben könnte. Nicht nur die plauderhafte Erzählstimme, sondern auch die Dialoge prägen den Sarkasmus der Figuren in diesem Roman. Für Halyard ist und bleibt der Lumpfisch lediglich Schlüssel für seine existenzielle Rettung:
„Ich liebe Fisch, aber aus diesem hier wird kein Sushi gemacht, was bedeutet, dass ich einen Scheißdreck über ihn weiß.“
Beauman hält den sarkastischen Ton in seinen 16 Kapiteln und zwei Epilogen umfassenden Roman durch. Dies ist auch eine Leistung der Übersetzerin Marion Hertle, die an dieser Stelle lobende Erwähnung finden sollte. Angesichts der unermüdlichen Fabulierlaune Beaumans dürfte die Übertragung ins Deutsche eine Herausforderung gewesen sein.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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