Die schönsten Blüten der Kunst

Blumenbilder und Blumengedichte schenken in „O Stern und Blume, Geist und Kleid …“ Freude

Von Thorsten PaprotnyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Paprotny

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Marianne Schneider, die Mitherausgeberin dieses bibliophil und wahrhaft kunstsinnig gestalteten Bandes, verstarb am 2. Februar 2023 – und auch zu ihrem Andenken wird dieses 2001 erstmals publizierte Buch, das deutsche Blumengedichte aus fünf Jahrhundert beherbergt, begleitet von Grafiken, Aquarellen und Skizzen, neu herausgegeben. Auf gewisse Weise erzählt dieser kostbare Gedichtband eine lyrisch vielfarbig komponierte Liebesgeschichte, in der bekannte Dichtungen zueinander gefügt und verwoben werden. In der Einleitung zur Erstausgabe schreibt die Herausgeberin 2001: „Eine Sammlung von Bildern und von Gedichten: Blumen, Bäume, Gras und Gärten folgen aufeinander in zwei parallelen Strängen. Sehen sie einander an oder aneinander vorbei? Und wie steht das Pflanzliche vor dem Betrachter und wie vor dem Leser?“ Nicht Engagement oder hohe politische Absichten – wie die Rettung von Welt und Umwelt, Natur, Flora und Fauna –, sondern die Freude an der Poesie, an der Schönheit und an der Kunst werden sichtbar. Die Gedichte und die ausgewählten Bilder stehen für sich selbst, zeigen Blumen, Pflanzen und Menschliches, ja Allzu-Menschliches. Handelt es sich hier also um ein zuinnerst romantisches Buch? Ja, auch von der „blauen Blume“ lesen wir, und zugleich scheint es, als würde sie neu erblühen.

Über Dürers Aquarell der roten, wilden Pfingstrose schreibt Marianne Schneider:

Die Blüte ist von einem tiefen Rot, aber die Blütenblätter sehen mitgenommen aus, wie ein wenig vom Wind zerzaust, die Stengel sind auf halber Höhe abgeschnitten, also nicht unbedingt eine Darstellung, die für ein Herbarium geeignet wäre, sondern eher das dramatische Bild einer Pflanze, genauestens gemalt in einem Augenblick der Stille nach dem Wind oder kurz vor dem Verwelken. Die Vergänglichkeit der Blume ist in ihrem noch schönen, aber nicht mehr ganz unversehrten Abbild mitgemalt.

Sanft, auch einfühlsam beobachtet und beschrieben wird die Blütenpracht, die im Augenblick ein Bild der dahinschwindenden Schönheit zeigt, ein „tiefes Rot“, in das schon die Vergänglichkeit eingezeichnet ist. Friedrich von Logaus „Sinn-Gedichte“, aus dem 16. Jahrhundert, schenkt eine Perspektive hierzu:

Wie willst du weiße Lilien
Zu roten Rosen machen?
Küß eine weiße Galathee:
Sie wird errötend lachen.

Daneben zeigt sich die welke Pracht, die nicht mehr „errötend lachen“ wird, aber der Strauch, der neue Knospen treibt, vielleicht schon. Dürers wilde Pfingstrosen blühen noch – und das Gedicht wie das Aquarell zeigen Sehweisen auf Rosen, nicht weniger auf das menschliche Leben, in dem Werden und Vergehen, Pracht und neues Erwachen junger Triebe zu gedankenvollen Betrachtungen anregen.

Auch religiös gestimmte Lyrik findet sich in dem Band, etwa der vielstrophige, weithin in der kirchenmusikalischen Vertonung bekannte „Sommergesang“ von Paul Gerhardt. Hier ist nicht die blütenreiche Frömmigkeit der bestimmende Akzent, sondern eine vielstimmige Dankbarkeit für den Reichtum dessen, was Christenmenschen Schöpfung nennen. Gerhardt besingt das „grüne Kleide“ der Bäume, hört Lerchen singen und Nachtigallen, singt förmlich mit und schaut darüber hinaus auch, aber nicht nur in die Sphären des Geistlichen und Transzendenten hinein. Er ist sehnsüchtig nach dem „Himmelszelt“, möchte aber wohl gern noch in der Natur verweilen:

Mach in mir deinem Geiste Raum,
Daß ich dir wird ein guter Baum
Und laß mich wol bekleiden:
Verleihe, daß zu deinem Ruhm
Ich deines Gartens schöne Blum
Und Pflanze möge bleiben.

In Novalis‘ „Heinrich von Ofterdingen“ wird die „blaue Blume“ farbig vor dem inneren Auge sichtbar, kontrastiert mit einer Federzeichnung von Philipp Otto Runge, die karg, doch sinnreich einen Lilienstängel mit fünf Blüten und einer Knospe zeigt. Novalis schreibt:

Was ihn aber mit aller Macht anzog, war eine hohe lichtblaue Blume, die zunächst an der Quelle stand, und ihn mit ihren breiten, glänzenden Blättern berührte. Rund um sie her standen unzählige Blumen von allen Farben, und der köstlichste Geruch erfüllte die Luft. Er sah nichts als die blaue Blume, und betrachtete sie lange mit unnennbarer Zärtlichkeit.

Die Betrachtung öffnet einen Horizont, lässt hinausschauen ins Weite und zugleich auf die Blume, die unvergesslich bleibt, Sehnsucht ausstrahlt und verkörpert. In der leuchtenden Blütenpracht, auch in den Blüten der Lyrik können wir uns verlieren. So singt Nikolaus Lenau von der „schönen jungen Rose“ – eine Blume, vielleicht eine begehrte Frau –, deren „Glut“ noch spürbar ist, die aber bald wie „verweht in Abendwinden“ sein wird:

O weilten wir in jenen Lüften,
Wo keine Schranke wehrte,
Daß ich mit deinen Zauberdüften
Die Ewigkeiten nährte! –

Hier nahn die Augenblicke, – schwinden
An dir vorüber immer,
Ein jeder eilt, dich noch zu finden
In deinem Jugendschimmer;

Und ich, wie sie, muß immer eilen
Mit allem meinem Lieben
An dir vorbei, darf nie verweilen,
Von Stürmen fortgetrieben.

Dieser prachtvolle Gedichtband lädt ein zum Verweilen, zu einer lyrisch gestimmten Schau auf die vielen Farben von Blumen und Blüten, schenkt Ausblicke auf die Künste, die das Leben bereichern und wahrhaft verschönern, stets im stillen Wissen um die Endlichkeit. Doch niemand ist gehindert, jeder darf sich an der Schönheit freuen. Die Blumen dienen niemandem, sie erblühen absichtslos – und wer sein Herz an sie verlieren oder auch sich neu verlieben möchte, der darf sich an diesem wunderbar gestalteten und kunstvoll komponierten Gedicht- und Bildband erfreuen.

Titelbild

Marianne Schneider / Lothar Schirmer (Hg.): O Stern und Blume, Geist und Kleid …. 75 Blumenbilder und die 75 schönsten deutschen Blumengedichte.
Schirmer/Mosel Verlag, München 2023.
184 Seiten , 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783829609937

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