Mark Twain und Ernest Hemingway auf Besuch in Süddeutschland

Thomas Fuchs beleuchtet die historischen Reisen der beiden amerikanischen Schriftsteller

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist schon bemerkenswert, dass Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert bei amerikanischen Schriftstellern ein beliebtes Reiseziel war. Die Beweggründe waren sehr unterschiedlich – von Neugier über neue Eindrücke bis hin zum Rückzug aus dem stressigen Schriftstellerleben. Zahlreiche Reiseeindrücke fanden dann ihren Niederschlag in ihren Werken.

Der Autor Thomas Fuchs, der bereits mit Biografien über Mark Twain und Ernest Hemingway hervorgetreten ist, verfolgt nun ausführlicher die Deutschland-Besuche der beiden amerikanischen Schriftsteller. Um die beiden Trips, zwischen denen ein knappes halbes Jahrhundert lag, besser einordnen zu können, beschreibt Fuchs auch die wichtigsten Ereignisse vor und nach den Reisen – einschließlich einer jeweiligen Kurzbiografie.

Mark Twains ehrgeiziger Plan, 1878 die Alte Welt zu Fuß zu erkunden, war eher eine Recherche-Dienstreise für sein neues Buchprojekt A Tramp Abroad (1880, dt. Bummel durch Europa, 1892), indem er humorvoll und nachdenklich seine Reise als „argloser“, unverbildeter Amerikaner durch Süddeutschland und die Schweiz nach Oberitalien beschrieb und den Bericht mit Anekdoten und satirischer Kritik würzte. Außerdem wollte Twain mit der Reise eine Schreibblockade für seine folgenden Werke Life on the Mississippi (1883, dt. Leben auf dem Mississippi, 1890) und Adventures of Huckleberry Finn (1884, dt. Die Abenteuer des Huckleberry Finn, 1890) lösen.

Nach einer stürmischen Überfahrt erreichte Twain samt Familie am 25. April 1878 Hamburg. Von der Hansestadt ging es über Frankfurt nach Süddeutschland, wo man am 6. Mai in Heidelberg eintraf. Detailliert beschreibt Fuchs den Aufenthalt in der Stadt am Neckar, an die Twain schnell sein Herz verloren hatte. Besonders die Heidelberger Schlossruine war für ihn ein König „Lear der unbelebten Natur“. Am Neckarufer kamen Erinnerungen an seine glückliche Kindheit am Mississippi und seinen mehrjährigen Aufenthalt in Nevada wieder.

Von Heidelberg aus unternahm Twain auch zahlreiche Ausflüge; so besuchte er Worms oder in Mannheim eine Theateraufführung von König Lear. Richard Wagners Oper Lohengrin empfand er allerdings als „Katzenmusik“. Außerdem verbrachten Twain & Co einige Tage in Baden-Baden mit Ausflügen in den Schwarzwald. In Heilbronn war er begeistert von einer Floßfahrt auf dem Neckar. Ob diese ihn zu Huck Finns Floßfahrt auf dem Mississippi inspirierte, ist jedoch nicht belegt. Doch keine Euphorie hält ewig, und so führte die Reise im September von der Schweiz nach Italien. Den Winter 1878/79 verbrachte Twains Familie in München, ehe es dann über Paris ins vertraute England ging. Am 23. August 1879 verließ die Reisegruppe schließlich im Hafen von Liverpool den europäischen Kontinent.

Während Mark Twain als etablierter Schriftsteller nach Deutschland gekommen war, bereiste fast fünf Jahrzehnte später, im August 1922, der damals 23-jährige Ernest Hemingway mit seiner Frau Hadley und einem Team für drei Wochen den Schwarzwald. Fuchs beschreibt nicht nur den Aufenthalt im Südwesten Deutschlands sondern auch ausführlich die Pariser Lehrjahre, wo Hemingway seit einem Jahr Korrespondent des Toronto Star war. Das Jahr 1922 sollte ein Wendepunkt in Hemingways Karriere werden: „Am Anfang des Jahres wollte er Schriftsteller werden, im Jahr darauf war er einer.“

Eigentlich war der Aufenthalt eine Flucht aus der Pariser Sommerhitze; dazu war der Wechselkurs durch die Inflation in Deutschland äußerst günstig. Doch für den Schwarzwald konnte sich Hemingway nicht recht erwärmen, auch zu den Einwohnern in Kinzig- und Elztal wollte sich kein richtiger Kontakt einstellen. Allein die liebliche Natur und die frische Landluft inspirierten den Geschichtenerzähler; besonders angetan war er jedoch von den kristallklaren Gebirgsbächen voll fetter Forellen. Da er keinen Angelschein besaß, wurde er mitunter von den Bauern mit Mistgabeln vertrieben. Oder er besänftigte sie mit ein paar Dollarscheinen. Hemingway kehrte auch in einige Gasthäuser ein, wo er als amerikanischer Gast mit seinen Pöbeleien nicht sehr willkommen war. Revanchiert hat er sich mit dem Artikel Deutsche Gastwirte, in dem er sich wortreich, aber nicht unbedingt nett abarbeitete. Zu guter Letzt stürzte der Naturbusche auch noch beim Wandern.

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Hemingway und der Schwarzwald wurden keine Freundschaftsbeziehung. Dennoch war das Jahr 1922 Hemingways Wandlung zum Schriftsteller. Und so fragt sich Fuchs am Schluss, wo in diesem Jahr der entscheidende Moment war. Vielleicht während eines Schwarzwaldausfluges, der „erst so banal schien, aber in der Erinnerung so wichtig wurde“. Vielleicht hat sogar der Leser eine Idee, „wann und wo das war“.

Der spätere Literaturnobelpreisträger kehrte nie wieder in den Schwarzwald zurück, doch die Erinnerungen an den Black Forest verarbeitete er Jahre später in der Kurzgeschichte The Snows of Kilimanjaro (1936, dt. Schnee auf dem Kilimandscharo, 1949).

(Übrigens erschien zu Beginn des Jahres in gleicher Aufmachung Goethe in Schwaben. Wer braucht da noch Italien? von Andrea Hahn.)

Titelbild

Thomas Fuchs: Mark Twain am Neckar. Zwischen Floß und Fluss.
8 grad verlag, Freiburg 2023.
161 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783910228115

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Titelbild

Thomas Fuchs: Hemingway im Schwarzwald. Über den Fluss und in den Wald.
8 grad verlag, Freiburg 2022.
177 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783910228016

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